Vorführungen von DIE ZÄRTLICHKEIT DER WÖLFE und ADOLF UND MARLENE in Amerika ließen einen Protagonisten und Förderer der „Underground“-Filmkultur aufhorchen: Andy Warhol, welcher Lommel in Folge das Angebot machte, ihm einen Film im Rahmen seiner „Factory“ zu produzieren. Der Ruf nach Amerika, jenem Land, dessen Name fast schon als Synonym mit großem Showbusiness steht, konnte von Ulli Lommel nicht ungehört bleiben.
Nach über einem Jahrzehnt gegenseitiger Abhängigkeit musste die Zusammenarbeit mit Fassbinder nun ein Ende finden.
„Ich habe Fassbinder geliebt. Psychisch und physisch.“
Schnell wurde von Lommel ein Filmprojekt aus der Taufe gehoben, um seinen neuen Mentor Warhol, welcher zuallererst damit beschäftigt war, von Lommels Penis Polaroidaufnahmen anzufertigen, zufriedenzustellen:
BLANK GENERATION (1979) hieß das Werk, welches auf originelle Weise auf Warhol „zu-inszeniert“ wurde. Lommel bediente sich aus dem kulturellen Fundus, welche die Warhol-Connection ihm bot. Auf diese Weise entstand mit BLANK GENERATION ein nicht zu unterschätzendes Dokument über das Lebensgefühl im New Yorker „Underground“ der frühen achtziger Jahre, welches zumindest indirekt Einblicke in das Umfeld der „Factory“ (zumindest ihrer Spätphase) vermitteln konnte.
Seine Zeit bei Warhol sollte Lommel später in einem Buch zusammenfassen. Falls es die Fassbinder-Vergangenheit nicht schaffte, stand Lommel nun auch die Warhol-Referenz zur Verfügung, um im weiteren Leben entsprechende Türen zu öffnen.
„In Deutschland werden die Leute ganz ehrfurchtsvoll, wenn sie von meiner Zusammenarbeit mit Warhol hören. In Amerika interessiert das wenig. Aber dort werden die Leute ehrfurchtsvoll, wenn sie von Fassbinder hören…“
Zu Paul Morrissey, Warhols bisherigem Stamm-Regisseur, blieb das Verhältnis distanziert.
„Mit ihm kam ich weniger gut aus. Ich halte ihn für einen bürgerlich denkenden und handelnden Menschen, mit dem ich nur wenige Gemeinsamkeiten finden konnte“.
Auch zu Udo Kier (welcher seinerseits der Meinung ist, Lommel habe nie wirklich zum „harten Kern“ der „Warhol-Factory“ gezählt) wurde keine Freundschaft aufgebaut.
„Da hat natürlich auch das Aussehen eine Rolle gespielt. Wir galten beide in den Siebzigern als „attraktivste Männer“, was schon damals zu entsprechender Rivalität führte…“
Lommels zweite Warhol-Kollaboration, COCAINE COWBOYS (1979), mit Jack Palance und Drogenboss Tom Sullivan in den Hauptrollen, gab sich schon deutlich unspezifischer, mit weniger Zeit- und Lokalkolorit versehen als der Vorgänger. Auch erschien die Rolle, welche diesmal Warhol bekleidete, austauschbar. Auffallend blieb jedoch, mehr noch als in BLANK GENERATION, die stilistische Flexibilität Lommels. Kaum mehr ließ sich die Machart des Films von anderen amerikanischen B-Produktionen dieser Zeit unterscheiden. Kaum mehr ließ sich eine europäische Handschrift darin erkennen, die Inszenierung wurde der Montage zunehmend untergeordnet. Wie ein Chamäleon schaffte Lommel es, sich dem deutschen Autorenkino geradezu konträre Prinzipien zu eigen zu machen.
Für Ulli Lommel war klar, dass die Ostküste der USA lediglich Durchgangsstation sein konnte. Der Weg musste konsequent weiter gegangen werden, und das Ziel konnte nur Hollywood heißen.
Vor allem ein Film hatte dort in den letzten Jahren für Schlagzeilen gesorgt: HALLOWEEN (1978), eine kleine, unabhängige Filmproduktion, brach sämtliche Kassenrekorde.
Beinhalteten seine bisherigen Filme nicht auch Elemente des Schreckens? Sollte sich ein Erfolg wie der von John Carpenter nicht vielleicht von ihm, Ulli Lommel, wiederholen lassen?
Elemente von weiteren Erfolgsfilmen, wie THE EXORCIST, sowie die „kreativen Morde“ von Filmen wie THE OMEN wurden hinzugefügt. Koproduziert von seiner damaligen Frau, Suzanna Love, welche in diesem und weiteren Filmen auch die Hauptrolle bekleiden sollte, wurde innerhalb von 21 Drehtagen mit einfachen Mitteln ein effektiver Schocker abgedreht und nachträglich mit Szenen ergänzt, für welche John Carradine als „Star“ verpflichtet wurde. Der Höhenflug des Ulli Lommel, welcher früh begann und von Fassbinder und Warhol getragen wurde, fand mit dem BOOGEY MAN 1980 seinen Zenit. Die Rechnung ging auf, selbst die kühnsten Erwartungen wurden übertroffen:
BOOGEY MAN führte vorübergehend die amerikanische Hitliste an und brachte Ulli Lommel als maßgeblichem Produzenten Millionen ein (wenn auch der Löwenanteil der Einnahmen beim Verleiher blieb). Heutzutage gilt der Film als Klassiker des Horrorkinos der frühen achtziger Jahre. Das Leben Ulli Lommels als Filmemacher wurde durch kein anderes Ereignis derart beeinflusst wie durch den Erfolg seines bis zum Tod „heiß geliebten Kindes“.
Finanziell gut ausgestattet hieß es 1982 Bühne frei für seine größte Produktion: BRAINWAVES, ein gut inszeniertes Science Fiction-Horror-Drama mit Keir Dullea, Vera Miles und Tony Curtis.
„Tony Curtis hatte ich nur für wenige Tage am Set, er war der Star des Filmes. Es war nicht angenehm, mit ihm zu arbeiten, da er uns den Star-Status spüren ließ…Die ersten Minuten des Filmes liebe ich sehr, was Szenenauflösung und Montage angeht. Würde ich jemandem fünf Minuten Film zeigen müssen, auf welche ich besonders stolz bin, dann wäre es der Anfang von BRAINWAVES…“.
Der Film ließ sich zwar gut verkaufen, der finanzielle Erfolg blieb aber weit hinter dem des wesentlich billiger produzierten BOOGEY MAN zurück.
Daher entschloss Lommel sich, eben dieses Erfolgsschema für seinen nächsten Film wieder anzuwenden. OLIVIA (1983), gedreht an attraktiven Schauplätzen in Venice, L.A., zeigte unübersehbare Parallelen und wiederholte zuweilen einstellungsgenau gelungene Szenen von Lommels größtem Hit.
„Für mich bleibt OLIVIA mein persönlichster Film. Viele Elemente meiner damaligen privaten Situation mit Suzanna sind darin untergebracht. Leider blieb der Film unverstanden. Meines Erachtens handelt es sich hier um den am meisten unterbewerteten Film, den ich bislang gemacht habe. Zudem markierte der Film einen Wendepunkt – nachdem ich zahlreiche Kameramänner gefeuert hatte, übernahm ich selber die Kameraführung und Lichtsetzung. Bis heute habe ich bei vielen, vor allem kleineren Produktionen, daran festgehalten“.
Noch im selben Jahr folgte DEVONSVILLE TERROR (1983), welcher damals trotz ordentlicher Produktionswerte keinen deutschen Verleiher fand. Für die atmosphärisch und effektvoll inszenierte Geschichte konnte Lommel Donald Pleasance verpflichten, den Star aus dem bewunderten HALLOWEEN.
„Mit Donald Pleasance konnte man wunderbar zusammenarbeiten – kein Vergleich zu den Allüren-behafteten Tony Curtis oder David Carradine…für den Film hatte uns der Maskenbildner einen Wachskopf gestaltet, welchen wir im Rahmen eines Insert-Shots zum Schmelzen brachten. Das Ganze war natürlich RAIDERS OF THE LOST ARK- inspiriert“…
Gedreht wurde auf Grund und Boden von Bill Rebane, welcher den Film auch co-produzierte. Die Zusammenarbeit wird von Lommel mit unfreundlichen Worten geschildert: „Ein bürgerliches Arschloch. Zudem unseriös…“.
Rebane revanchierte sich und drehte in Folge, durch Lommel unbemerkt, seine eigene Version der Geschichte (THE DEMONS OF LUDLOV, 1983).
Ebenfalls 1983 sollte noch eine ungeliebte Aufgabe erledigt werden:
„Die Produzenten wollte natürlich nach dem sensationellen Erfolg von BOOGEY MAN eine Fortsetzung haben. Ich hatte damals dazu aber überhaupt keine Lust. Ich hatte den Eindruck, schon mit dem ersten Teil alles gezeigt zu haben, was mir zu diesem Thema einfiel. Also entschloss ich mich, meine Ablehnung durch eine ‚Pseudo-Fortsetzung’ zu zeigen, die ganz klar machen sollte, dass ich eigentlich gar kein Sequel machen will…“
So wurde BOOGEY MAN 2 ein bizarres Werk mit stark autobiographischen Zügen, dessen stärkste Szenen Flashbacks aus dem ersten Teil darstellen. Trotzdem BOOGEY MAN 2 zu den ersten Filmen gehörte, die in Deutschland auf Videokassette verboten wurden, hatte sich Lommel mit seinem Konzept die Sympathien vieler Fans des ersten Teils wieder verspielt. Seinen Namen hatte er erst gar nicht dafür hergegeben – unter dem Pseudonym „Bruce Starr“ erhielt Lommels Regieassistent, ein Mann aus dem Umfeld Roger Cormans, den Zuschlag.
Ein Kulthit sollte es werden, irgendwo zwischen ROCKY HORROR PICTURE SHOW und LIQUID SKY und sich mit der Titelanalogie an den Jarmusch-Erfolg im selben Jahr hängen: STRANGERS IN PARADISE (1984). Doch Kultfilme lassen sich nur selten bewusst fabrizieren, und die große Verbreitung des Films blieb aus. Tatsächlich wurde der Film in kaum einem Land veröffentlicht. Zu offensichtlich waren die budget-bedingten Unzulänglichkeiten bei einem derart opulent angelegten Filmstoff.
Die finanziellen Ressourcen schwanden dahin. Ein Hit musste wieder her, und fortan wechselte sich Horrorfilm und Komödie ab.
Auch im INDIANA JONES-inspirierten REVENGE OF THE STOLEN STARS (1986) sollte Lommel mit Klaus Kinski in der Hauptrolle sein BOOGEY MAN-Konzept der kreativen Morde wiederholen, jedoch – trotz einiger interessant-bizarrer Elemente – wiederum ohne Erfolg.
„Es gibt Gründe, warum der Film so misslungen ist. Ich befand mich in einer sehr schlechten Lebensphase, war gereizt, schrie am Set herum, hatte depressive Phasen und trank Unmengen an Alkohol. Eines Tages setzte ich mich in mein Auto, sturzbetrunken, und fuhr mit Vollgas auf den Klippenrand zu. In der allerletzten Sekunde bremste ich ab…“.
Für I.F.O. (1987), eine SF/CIA-Geschichte mit jugendlichem Zielpublikum, griff Ulli Lommel auf gekauftes Filmmaterial zurück – „Stock footage“, um die Geschichte verwirklichen zu können und dem Film ein teureres Aussehen zu verleihen.
Mit YEAR OF THE DRAGON thematisierte Cimino 1985 organisierte Kriminalität in Chinatown. Der Weg für Nachfolger und Plagiatoren war bereitet. Grund genug für Lommel, in Co-Produktion mit seiner neuen Ehefrau Cookie den nächsten Film OVERKILL (1987) im Yakuza-Millieu von Downtown L.A. anzusiedeln. Abermals durfte abwechslungsreich gemordet werden. Die Charakteristika des amerikanischen B-Action-Kinos, angefangen von der Auswahl der Besetzung (hier: ein Tom-Selleck-lookalike), bis hin zur Lichtsetzung (frontal!) und Montagetechnik hatte Lommel nun vervollkommnet, und es scheint nicht mehr vorstellbar, dass es sich hierbei um einen Film aus den Händen des Schöpfers eines DIE ZÄRTLICHKEIT DER WÖLFE handeln soll.
Lommels Hang zur Esoterik, zur indianischen Lebensweise und zu fernöstlichen Weisheiten lassen den Film stellenweise wie einen (preisgünstigen) Vorgriff auf Filme wie KILL BILL wirken, und mit der Zusammenarbeit mit David Carradine sollte sich Jahrzehnte später dieser Kreis auch schließen.
„Die Verwendung von ‚Stock footage’ in I.F.O. war noch gar nichts im Vergleich zu meinen nächsten Filmen: Ich nenne sie die ‚Stock-footage-Trilogie’. Ich hatte massenweise left-overs von Majorproduktionen eingekauft, unter anderem von TOP GUN. Um dieses Material herum habe ich meine Filme inszeniert“.
Und da kam er wieder – der lange ersehnte Hit:
„WARBIRDS (1989) hat mir Millionen eingebracht. Er verkaufte sich in alle Länder zu Spitzenpreisen. Ich konnte kaum glauben, was da geschah. Das ‚Stock-footage’ habe ich mit Szenen verbunden, für welche ich in meinem Garten eine Flugzeugkanzel nachgebaut habe und darin die Darsteller hin- und herwackeln ließ. Das ganze habe ich in Richtung Himmel gefilmt, damit man das Gras nicht sieht… WARBIRDS blieb nach BOOGEY MAN der finanziell erfolgreichste Film in meiner Karriere.“
Die zwei folgenden Filme – COLD HEAT (1989) und THUNDERDRIVE (1990) – wiederholten das Konzept und wurden um aufgekaufte Autorennen- und Karambolageszenen „heruminszeniert“.
Diesmal konnten wieder bekannte Namen verpflichtet werden, wie John Phillip Law, Britt Ekland, Robert Sacchi oder Robert Z’Dar, welchen Ulli Lommel aus MANIAC COP sehr schätzte. Beide Filme ließen sich international verkaufen, ohne jedoch den Erfolg von WARBIRDS wiederholen zu können.
Die achtziger Jahre waren vorbei. Ein Jahrzehnt, welches für Ulli Lommel Tief-, aber auch grandiose Höhepunkte gebracht hatte.
Im folgenden Jahrzehnt konnte Lommel zu keiner Zeit mehr an seine Erfolge anknüpfen.Die (Film-)Welt hatte sich weitergedreht, und mit der unkonventionellen Arbeitsweise und den begrenzten Produktionsmöglichkeiten war es schwer, sich noch einen Platz in der Publikumsgunst erkämpfen zu können. Viele seiner Filme wurden nun allenfalls marginal, manchmal auch gar nicht mehr veröffentlicht, wie der episodische A SMILE IN THE DARK (1991), welcher Elemente der späteren Filme DANIEL – DER ZAUBERER und MONDO AMERICANA vorwegnahm.
…wie SEX-CRIMES (1992), eine Co-Regie in „Sexploitation“-Gefilden. Wie der semidokumentarische MARILYN, MY LOVE (1994) über ein Thema, welches Lommel in späteren Film- und Theaterprojekten nochmals bearbeitete.
…wie MILLENNIUM DAY (1995), eine weitere „Stock footage“-Orgie mit Miles O’Keefe.
…wie EVERY MINUTE IS GOODBYE (1996) mit Karen Black (welche eine Freundin bleiben sollte), Lommels „größte“ Produktion in den neunziger Jahren.
…wie EVA BRAUN (1996), ein Zusammenschnitt aus Dokumentarmaterial, welcher, ebenso wie ADOLF UND MARLENE, auf eine Visualisierung der grausamen Folgen des Regimes verzichtete.
…wie BLOODSUCKERS (1997), eine Teenie-Vampir-Komödie, welche wie ein Vorläufer zum späteren ZOMBIE NATION wirkt.
…wie ALIEN X FACTOR (1997), welcher Szenen aus BRAINWAVES neu montierte.
…wie RETURN OF THE BOOGEY MAN, der das Prinzip von BOOGEY MAN 2 auf die Spitze trieb und ausgedehnt Szenen aus BOOGEY MAN und BRAINWAVES montierte, verbunden durch Aufnahmen, welche nicht mehr auf Zelluloid, sondern mittels Videokamera entstanden.
…wie DANNY AND MAX (1999), der nicht nur, wie schon AUSGERECHNET BANANEN, mit einen Schimpansen aufwarten kann, sondern auch mit Jeff Frentzen, welcher sich journalistisch mit Lommels Gesamtwerk befasst hatte, seitdem zu Lommels Freundeskreis zählte und auch im späteren KILLER PICKTON die Hauptrolle übernehmen durfte.
Das Jahrzehnt war beendet. Künstlerisch und finanziell befand sich Lommel in einer Sackgasse. Er musste neu ansetzen. Sein Blick ging folgerichtig wieder zurück über den Ozean. Richtung Deutschland, dem Land des Beginns, der kulturellen Wurzeln, der ersten Erfolge.
Die 80er und 90er Jahre in den USA.
Schlagwörter: Andy Warhol, Blank Generation, Boogey Man, Cold Heat, Marian Dora, Overkill, Ulli Lommel
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