Nach 17,5 Stunden gibt‘s auch ein richtiges Ende. Keinen Cliffhanger. Soviel sei verraten. Und die spanische Bankraub-Serie HAUS DES GELDES geht runter wie Öl (bei Netflix: 2 Staffeln). Nicht zu tiefsinning, aber auch nicht zu banal. Spannung wie weiland in „24“. Nur, dass hier nebst der aristotelischen Einheit der Zeit und der Handlung selbst die Einheit des Ortes eingehalten wurde. Der 21-teilige Thriller in Aristoteles’ Sinn hat ein schönes Setup: Ein kluger, überlegter Mann, von allen der „Professor“ genannt, sammelt Ganoven um sich, die Spezialisten ihres Fachs sind und nichts zu verlieren haben. Er unterzieht sie einem intensiven, aber beinahe romantischen Training in einer abgelegenen Villa – und schwört sie auf seinen ausgeklügelten, größenwahnsinnigen Plan ein: Die Truppe überfällt Spaniens Banknotendruckerei, hält dort 11 Tage lang Geiseln fest und druckt während der Zeit 2,4 Milliarden Euro.
Auf der einen Seite steht der erwähnte rationale, alles berechnende „Professor“ (Alvaro Morte), der als Kopf des Überfalls agiert und in einem Versteck außerhalb der Bank Gespräche mit der Polizei führt. Dass er Professor genannt wird, demonstriert das Vertrauen, das die Menschen immer noch in die Wissenschaft haben. Seine Truppe besteht aus gesellschaftlich chancenlosen Kriminellen, die er in letzter Sekunde vor der Verhaftung gerettet hat. Sie erhalten Städtenamen, um während der Geiselnahme anonym zu bleiben. Als Ich-Erzählerin der ganzen Serie fungiert die attraktive und sehr emotionale Tokio (Ursula Corbero), die immer mal wieder mit vermeintlich prophetischen Pseudoweisheiten die Spannung anheizt: „Wenn du am Boden aufschlägst, bist du noch längst nicht in der Hölle angekommen.“
Chef des Kommandos innerhalb der Bankdruckerei ist Berlin (Pedro Alonso), ein kalter Sadist. Er gefährdet die Aktion zwischenzeitlich mit seinen gewalttätigen Ausbrüchen, ist aber auch derjenige, der in entscheidenden Momenten kühlen Kopf bewahrt. Wie er wird praktisch jede der Personen genügend ausführlich charakterisiert, um Empathie oder Abscheu hervorzurufen. Nairobi ist eine zielgerichtet denkende und handelnde Frau, Rio der (in Tokio) verliebte, unerfahrene Lümmel, Helsinki ein grobschlächtiger, aber liebenswerter Killer, Denver ein liebenswerter Dummkopf, Moskau sein altersweiser Vater.
Als sie mit Salvador-Dali-Masken (ja, Salvador Dali als Metapher für Genialität und Wahnsinn des Unterfangens – und die Gangster mit den Masken sehen atemberaubend aus) die Bank stürmen und in Beschlag nehmen, erbeuten sie jede Menge Geiseln, die als Versicherung vor der Polizeierstürmung dienen. Unter ihnen den Leiter der Bank, der ewig renitente, Aufstände und Finten planende Arturo (Enrique Arce), die von ihm geschwängerte Sekretärin (Esther Acebo) und die „Promigeisel“ Alison (Maria Pedraza), eine Botschaftstochter.
Da braut sich in 11 Tagen unter Stress und mit wenig Schlaf natürlich einiges an Konflikten und Gefahren zusammen. Die liebenswerte Unterschichtstruppe gerät oft durch die Emotionen Einzelner aus dem Tritt und braucht den Professor, der beinahe alle potenziellen Gefahren berücksichtigt, damit die Besetzung der Bank aufrecht erhalten bleibt. Zumal die Polizei natürlich mit allen Mitteln der Psychologie und der Technik eine Belagerung durchführt, die sich immer näher an die Geheimnisse der Einbrecher herantastet.
Doch auch dem Professor unterlaufen nach und nach Fehler. Er mag zwar alles geplant haben, doch improvisieren zählt nur bedingt zu seinen Stärken. Und nicht zuletzt drängt sich permanent die Frage auf, wie emotional auch er sich verbandelt – verliebt er sich ausgerechnet in die Inspectora Raquel Murillo (Itziar Ituno), an die er sich zum Aushorchen heranmacht. Dadurch gerät die Leiterin der gesamten Polizeiaktion anfangs zwar massiv ins Hintertreffen – doch natürlich gibt es auch gute, professionelle Gründe, weshalb gerade sie diese Jahrhundert-Polizeiaktion leitet.
Um die Spannung voran zu treiben, wird nichts ausgelassen in HAUS DES GELDES: Abhöraktionen, Smartphonekamera-Takeover, bewaffnete Scharmützel, Geisel-Aufstände, Verrat, Negotiator, Tunnelgrabungen, Stockholm-Syndrom, you name it! Doch die faszinierenden Wendungen sind natürlich diejenigen, auf die man nicht einfach so kommt. Auch die gibt es.
Und nebst dem stetig voranpreschenden Plot ist die gesellschaftliche Versuchsanordnung überaus spannend. Um die Staatsgewalt zu überlisten, braucht es zwei Gesellschaftsklassen in einem raffinierten Zusammenspiel. So stellen sich das die Macher der Serie vor. Denn mit HAUS DES GELDES wird die Story des guten Bankräubertums noch einmal neu erzählt. Nicht kleine „Zellen“ wie Bonnie & Clyde oder Butch und Sundance bringen die Staatsgewalt ein wenig ins Wanken – zumindest fürs persönliche, monetäre Glück -, es braucht schon ein kluges Gehirn und eine rücksichtslos ausführende Gewalt – Intellektueller und Proletariat.
Kein Wunder stammt die Serie aus Spanien, einem der Länder, dem die EU bisher keine Prosperität gebracht hat. Im unter hoher Arbeitslosigkeit und sozialen Problemen leidenden Land, in dem die linke Podemos-Partei einen hohen Wähleranteil erreicht, fällt es dem Professor leicht, glaubhaft darzulegen, wie viel Geld die Europäische Zentralbank in den letzten Jahren drucken ließ – Geld, das nur den Banken zufloss. Warum also nicht einmal ein paar Milliarden für 10 Chancenlose? Deshalb singen der Professor und Berlin in der Nacht vor dem Überfall auch das alte Partisanenlied „Bella Ciao“. Ob der Film so endet wie der Song aus dem 2. Weltkrieg, soll hier erst einmal offen bleiben. Alles ist möglich.
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Las casa del papel | Spanien 2017 | Idee: Álex Pina | Kamera: Miguel Amoedo | Darsteller: Úrsula Corberó, Itziar Ituño, Álvaro Morte, Pedro Alonso, Alba Flores. Erschienen in 15 Episoden à 70min. (Antena). Auf Netflix in 2 Staffeln.