Früher wies so ein Film eine Länge von eineinhalb Stunden auf, hieß Exploitation Movie, spielte in einem kleinen Schmuddelkino und hangelte sich von schauderhafter Szene zu schauderhafter Szene. BRIMSTONE dagegen dauert zweieinhalb Stunden, protzt mit opulenter Ausstattung und berühmten Schauspielern, suggeriert mit Kapitelgebung und Zeitsprüngen Tiefgang und hangelt sich ebenfalls von schauderhaften Szenen zu schauderhaften Szenen. So hat sich die Welt verändert.
So heißt auch gleich das erste Kapitel „Revelation“ („Offenbarung“). Die stumme Liz (Dakota Fanning) lebt mit ihrem Ehemann und zwei Kindern auf einem bescheidenen Hof in einer tristen Umgebung an der Frontier. Sie leben von etwas Ackerbau, bescheidener Schafzucht und manchmal von Liz’ Fähigkeiten als Hebamme. Das wird ihr zum Verhängnis, als sie in der Kirche notfallmäßig entbinden muss und sich jäh zwischen dem Leben der Mutter oder dem des Babys entscheiden muss. Sie entscheidet sich für die Mutter, was ihr nicht nur von deren Ehemann als Verbrechen wider Gottes Wille angelastet wird, sondern auch vom neuen Priester (Guy Pearce, „The Reverend“). Beide fordern ihr Leben ein, das Leben der Familie, das Leben der Schafe. Der religiöse Wahn gebiert nicht nur brutale, unverhältnismäßige Taten – klar wird auch, dass der Reverend anscheinend noch ganz andere Gründe mit sich herumträgt, die stumme Frau physisch und psychisch zu quälen.
Das Schicksal der Joanna erinnert wohl nicht zufällig an zwei Heldinnen des Marquis de Sade, ganz viel an den Roman „Justine oder Das Missgeschick der Tugend“ und ansatzweise an „Juliette oder Die Vorteile des Lasters“. Joanna versucht zwar immer mal wieder, sich wie Juliette über die Tugendhaftigkeit des gesellschaftlich-religiösen Rahmens hinweg zu setzen, findet sich aber stets in der Situation der Justine wieder, und wird gröbsten psychischen und physischen Misshandlungen ausgeliefert. Mit ihrer Menschlichkeit (heute würde man sagen: ihrem „normalen Menschenverstand“) wird sie ihr ganzes Leben hindurch zum Opfer einer Männergesellschaft, die zur Entdecker- und Siedlerzeit der Vereinigten Staaten alle ethischen Schranken einer perversen Familien- und Wirtschaftsdoktrin opfert. Aus den Immigranten wurden Fanatiker. Als Familienoberhaupt, als religiöse Führer und als sexuelle Wesen. Wie bei De Sade geht es denjenigen Frauen noch am besten, die mit männlicher Sexualität hantieren müssen.
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Brimstone | NL/BRD/B/F/Swe/GB 2016 | Regie: Martin Koolhoven | Drehbuch: Martin Koolhoven | Darsteller: Dakota Fanning, Guy Pearce, Carice Van Houten, Kit Harington, Emilia Jones, Paul Andersen | 142 min.
Anbieter: Koch Media