Wann endete eigentlich die Zeit, in der Filme wie ESCALATION möglich waren? Wann hörte es auf, dass einen schon die ersten Meter belichteten Zelluloids so packen konnten mit ihrer Unbekümmertheit und leichten Melancholie? Ob es nun die Morricone-Musik ist, die sich nach einem kindlichen Hauptmotiv in einen mit Barockanliehen verzierten Soft-Beat wandelt, die Kamera von Luigi Kuveiller, die einem radelnden Sitarträger durch die Straßen des ‚Swinging London‘ folgt. Die buntesten und wildesten Farbkreationen, die sich aus dem Bild herausschälen wie eine wilde und unformatierte Blumenwiese. „Stop Reality“ steht auf einem Mädchen-T-Shirt – und genau diesem Traum eifert auch ESCALATION zu Beginn nach, ehe er sich mehr als einmal um die eigene Achse dreht und storytechnisch Haken schlägt.
Dass der Regisseur, obschon damals frischgebackener C.S.C.-Absolvent, mit ESCALATION sein Regiedebut fertigte, ist dem Film nicht anzusehen. Für einen Erstling gelang Faenza ein bemerkenswert stimmiges und kritisch besetztes Bild der Gesellschaft. Während etwa Elio Petri mit DAS VERFLUCHTE HAUS (1968) einen erzählerisch und optisch radikaleren Ansatz wählte – übrigens ebenfalls mit Luigi Kuveiller an der Kamera – um die Gesellschaft vor dem alles verschlingenden Kapitalismus zu warnen, setzte Faenza auf ein wirkungsvolles Konglomerat aus Versatzstücken der Commedia all’italiana, des Dramas, der Pop Art und der Satire.
Dank eines fabelhaften Darstellerensembles, dem zwei 007-verbundene Akteure angehörten – Auger hatte als Bond-Girl in FEUERBALL (1965) geglänzt, Ferzetti spielte nach ESCALATION in IM GEHEIMDIENST IHRER MAJESTÄT (1969) – stand die „Eskalation“ im Mittelpunkt. Die allmähliche Steigerung, Verschärfung und Ausweitung einer Situation wurde durchdekliniert wie in einer psychologischen Grundlagenarbeit, jedoch immer publikumswirksam, mit Augenzwinkern und den optisch eindrucksvollen Bildern und Schauplätzen. Die Geschichte hielt doppelte Böden, fintenreiche Wendungen und abstrakte Arrangements parat und konnte sich rühmen, bei aller Satire nie die erdige und im Grunde ernüchternde Botschaft aus dem Auge zu verlieren.
Dass ESCALATION nun nicht nur einigen Festivalgängern publik wird, sondern allen Fans im Heimkino, verdanken wir Forgotten Film Entertainment. Der Film feiert seine HD-Weltpremiere in einer brandneuen 2K-Abtastung, wobei die Restauration durch LSP Medien vollends überzeugt und den Ruf dieses Studios weiter festigt. Die blitzsaubere und natürliche Wiedergabe des Eastmancolor-Bildes lässt die ganze Pracht der Sets und Locations so erstrahlen, wie es Luigi Kuveiller anno dazumal durch seinen Kamerasucher gesehen hat. Die italienische Originalfassung lässt sich wahlweise mit deutschen Untertiteln goutieren, die bei der Berliner Union-Film entstandene Synchronbearbeitung punktet neben hintergründigem Witz mit Christian Brückner in der Hauptrolle. Bei den Extras lässt sich das Label ebenfalls nicht lumpen und serviert mit „1968 WAYS TO BE A PROTESTER“ ein halbstündiges Interview mit Roberto Faenza sowie die „ENDLESS ESCALATION“, in der Lino Capolicchio seinen heutigen Blick auf das Damals schweifen lässt. Ein unterhaltsamer Audiokommentar von Leonhard Elias Lemke und Robert Wagner offenbart nochmals zusätzliche Verknüpfungen und Querverweise, der deutsche Vorspann ist ebenso dabei wie die kleine Drehortfeaturette „Die weißen Strände von Rosignano Solvay“ und opulente Bildergalerien. Als Abrundung versteht sich ein dickes, 56-seitiges Booklet mit umfangreichen Texten von kundigen Genreprofis wie Thomas Hübner, Endre Udvari, Sebastian Schwittay, Gerald Kuklinski und Richie Pistilli. Eingefasst in einen stabilen Pappschuber darf man für diese Blu-ray die volle Punktzahl ziehen.
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Escalation, I 1968 | Regie: Roberto Faenza | Darsteller: Lino Capolicchio, Claudine Auger, Gabriele Ferzetti, Didi Perego, Leopoldo Trieste, Paola Corinti
Anbieter: Forgotten Film Entertainment