Fundamentalisten, Terroristen, Idioten.

Alex de la Iglesia bastelt konsequent und beständig an seiner Vision der hysterischen schwarzen Komödie. Manchmal überaus innovativ (CRIMEN FERPECTO) und meist einfach gut, versucht er jedenfalls immer etwas Neues (siehe z.B. MY BIG NIGHT von 2015). Alex de la Iglesia’s Werk steht eindeutig in der Tradition der frühen Filme Pedro Almodóvars, wo noch Blut fließen durfte, zotiges Verhalten die Gemüter erregen wollte und hysterisch agierende Szenis auftraten (meist sexuellen Subkulturen entstiegen).

ElBar_Poster Stammten bei Almodóvar diese Charaktere noch vom sexuellen und kulturellen Rand der Gesellschaft, so gab es spätestens seit den Neunzigern, den Anfangstagen De La Iglesias, keine Subkultur mehr, um Identitätspolitik schräg erscheinen zu lassen. Denn die absonderlichen Personen gehören spätestens seit Tarantino, KILLING ZOE, ROMEO MUST DIE und allen ähnlichen Filmen in die krank gewordene Mitte der Gesellschaft. Perversion und Hysterie sind normal geworden, jedenfalls als Filmcharaktere.

Während Almodóvar für seine Charaktere das Melodram entdeckte, konzentrierte De La Iglesia seinen durchgeknallt-sezierenden Blick auf die Schwächen des Zusammenlebens. Bereits die Outcasts der Behinderten-Guerilla in De La Iglesias Erstling ACCION MUTANTE (1993) entpuppen sich als proletarische Idiotentruppe. Das Pärchen in PERDITA DURANGO (1997) entspricht genau den nicht mehr coolen, gewalttätigen und übersexualisierten Dumpfbacken der Neunziger und ab LA COMMUNIDAD (2000) unterhält uns De La Iglesia definitiv mit Gesellschaftsstudien, welche die ganze Breite an Personal der spanischen (westlichen) Gesellschaft aufbieten. Eigentlich geht es ihm längst nicht mehr um einzelne Charaktere, sondern um das Zusammen-Funktionieren (oder eben: Nicht-Funktionieren) in unserer egomanen Gesellschaft.

ElBar_4 Kann – und wie kann – da ein positiver gruppendynamischer Prozess noch zustande kommen? EL BAR zeigt ein Kammerspiel in einer Extremsituation: Zufällig zusammengewürfelte Menschen befinden sich in einer Bar in Madrid, als vor der Tür ein Mann erschossen und draußen die Straßen evakuiert werden – und jede Person, die die Bar verlassen will, wird von Heckenschützen erschossen. Das Rätselraten über die Gründe geht gleichzeitig mit dem Überlebenskampf los. Als ein Barbesucher scheinbar ohne äußere Einwirkung stirbt, ist klar: Das Unheil kommt nicht nur von Polizei und Militär draußen, sondern hat mit uns Menschen zu tun. Ein Virus vielleicht? (Hm, wir Zuschauer haben wohl deshalb im Vorspann Vergrößerungen von Zecken, Geißeltierchen, Viren etc. gesehen …)

ElBar_3 Naja, im ersten Moment könnte jeder der Terrorist sein, nach der zweiten Verschwörungstheorie könnte jeder infiziert sein. Darum gilt erstmal – ganz pseudoliberal – völlige Transparenz. Dem Hipster und Werbetexter Nacho (Mario Casas), der seines Bartes wegen für einen islamistischen Terroristen gehalten wird, zertritt man präventiv die Festplatte des Laptops; ein gequält-dreinblickender Vertreter muss seinen Koffer öffnen und seine Leidenschaft für Damenunterwäsche offen legen. Aber just in dem Moment, in dem die Charaktere ihr Innenleben preiszugeben beginnen, beginnt die Klamaukshow. Weil einige den Toten berührt haben und andere nicht, wird die Gruppe zweigeteilt: Die potenziell Infizierten werden in den Keller verbannt, die Nicht-Infizierten bleiben oben. Die unten versuchen zu entkommen, Menschen werden durch ein enges Loch in die Kanalisation gedrückt, gehen aber nicht durch, weil sie zu dick sind, das vermeintliche Serum fällt in die Scheißgülle der Kanalisation.

Dabei hätten die Charaktere so etwa die Ingredienzen, die den gesellschaftlichen Mikrokosmos in De La Iglesias Filmen üblicherweise mit Vergnügen und Vielseitigkeit füllen. Da steht die dominante Barbesitzerin (Terele Pavez) ihren Mann, mit ihrer verunsicherten Bedienung Satur (Secun de la Rosa), da sind der ehemalige Polizist Andres (Joaquin Climent) oder die unpassend elegante und schöne Elena (Blanca Suarez), die es – ständig am Smartphone – für ein absurdes Blind Date in die Bar verschlug.

ElBar_1 Als irrste und unzurechnungsfähigste Person entpuppt sich Israel (Jaime Ordonez), ein christlicher Fundamentalist und arbeitsloser Säufer, der permanent die Bibel und idiotische erfundene christliche Sinnsprüche zitiert („Selig sind die Toten, weil sie den Herrn früher sehen werden.“) und damit gehörig Öl in den Unruheherd gießt. Dass er im Schlussteil die letzten Überlebenden durch die Kanalisation jagt, Elena dabei nicht viel mehr als Strapse trägt und wir Zuschauer über die Idiotie des Finales nicht mehr als peinlich berührt sein können, markiert einen Tiefpunkt in De La Iglesias Schaffen. Und das nach dem grandiosen MY BIG NIGHT. Das zeigt zumindest auch, dass Humor im Film eine unglaublich schwierige Sache bleibt.

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El Bar | Spanien 2017 | Regie: Alex De La Iglesia | Drehbuch: Alex De La Iglesia, Jorge Guerricaechevarria | Kamera: Angel Amoros | Darsteller: Blanca Suarez, Mario Casas, Carmen Machi, Secun de la Rosa, Jaime Ordonez, Terele Pavez | 102 min.

Anbieter: Koch Media

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