SKIN behandelt die Entnazifizierung eines Skinheads in Ohio. Bryon Widner (Jamie Bell) ist nicht einer dieser modernen Alt-Right-Nazis, die dank Donald Trumps Hilfe heute auf gutem Weg sind, Faschismus wieder salonfähig zu machen, sondern noch „Subkultur“. Er gehört dem Vinladners Social Club an, einer kleinen Gruppe der Viking-Bewegung, die von Fred und Shareen Krager geleitet wird (Bill Camp, Vera Farmiga). Sie rekrutieren ihre Mitglieder von der Straße. Hungernden, weißen Teenagern lehren sie die Ideologie von der Überlegenheit der arischen Rasse und üben mit ihnen Hass und körperliche Aggression ein. Der Kampf gegen die Antifa, ein Überfall und Brandsatz auf ein muslimisches Zentrum und schließlich die grausame Ermordung von Muslimen zeigen, wie weit man die verlorenen Seelen zu seelenlosen Kampfmaschinen trimmen kann.
Die Aggression zeigt sich auch in den Beziehungen untereinander. Streitereien um Freds Führerschaft werden mit harten Schlägereien entschieden, Bryons Liebesbeziehung ist geprägt von aggressivem, unromantischem Sex (und darauf folgendem Rausschmiss) und als es später darum geht, dass Bryon die Gruppe verlassen will, wird das zum Kampf um Leben und Tod.
Die ganze Truppe rekrutiert sich um die Kragers: Fred ist der harte Anführer, Shareen ist die seltsam liebevolle Mutterfigur, die gleichzeitig auch eine beinahe erotisch-zärtliche Beziehung zu all ihren Stiefkindern pflegt (Sie identifiziert sich mit der nordischen Göttin Freya, die ja den Liebesgöttinnen Venus und Aphrodite ähnelt). So übernimmt sie alle Bedürfnisse, die die faschistischen jungen Männer vom kämpferischen Dasein ablenken könnten und die sie anderweitig suchen könnten. Nur bei Bryon klappt das auf einmal nicht mehr: Er lernt Julie Price (Danielle Macdonald) kennen, Mutter von drei Mädchen (und auch körperlich eine überaus mütterliche Person), zu der er sich hingezogen fühlt.
Es ist dieser weibliche Haushalt, gegen den die Wikingerbruderschaft nicht mehr ankommt. Das, was die Bruderschaft ständig versuchte, außen vor zu lassen. Und es ist die Konsequenz, mit der sich Julie (deren Kinder von einem Nazi stammen) gegen ein erneutes Hineingleiten in eine Nazigruppe wehrt. Sie stellt Bryon vor die Wahl. Entweder die Nazitruppe oder die Familie.
Der Zuschauer weiss von Anfang an, dass Bryon den Ausstieg schafft. Denn der Film zeigt den talentierten Tätowierer (vornehmlich von mehr oder minder kodierten Nazi-Tattoos, die alle eine Auszeichnung bedeuten), wie er unter den Fittichen des FBI und des SPLC (Southern Poverty Law Center, eine gemeinnützige Organisation, die Rassismus bekämpft) schmerzhafte Entfernungsoperationen am ganzen Körper, und insbesondere im Gesicht, erduldet. Die Metapher ist einfach: Der Skinhead hat nicht nur den Kopf zur Kampfmaschine rasiert, sondern sein Haupt auch noch mit Symbolen und Botschaften der Zugehörigkeit überzogen, mit denen es eigentlich kein Zurück gibt. Außer ein äußerst schmerzhaftes.
Die Dramatik des Films, der im Gegensatz zum ähnlichen AMERICAN HISTORY X sehr realistisch, mit wenig Musik (unauffällig und abwechslungsreich komponiert von Dan Romer, der den nächsten Bond vertonen wird) und ganz ohne märchenhaftes Beiwerk daherkommt, entfaltet sich im zweiten Teil über die Flucht vor der Gang. Und da geht es um alles. „Ich kann für die Mädchen nicht garantieren“, droht Shareen in säuselnder Mafiamanier. Zuvor wurde bereits Bryons Schäferhund „Boss“ umgebracht – der Hund, der gleichzeitig Symbol der Herrenrasse wie auch Bryons von Anfang an existierendem Funken an Fürsorge und Empathie darstellte. Ironie des Schicksals ist jedoch, dass es sich bei Bryons Fluchthelfer Lamont Jenkins um einen afroamerikanischen Aktivisten handelt (Mike Colter).
Der israelische Regisseur Guy Nattiv hat mit SKIN eine hervorragende und schauspielerisch überzeugende Charakterisierung des tristen Underground-Nazimilieus geliefert. Er zeigt, wie das faschistische Bewußtsein auch körperlich fabriziert wird, wie der Körper durch Gewalt und der direkten „Belohnung“ durch die Tattoo-Auszeichnungen direkt zum einem „soldatischen Panzer“ (Klaus Theweleit) umgeformt wird, dessen Inneres durch stete Aggressionen angetrieben wird. Mit der 20-minütigen Kurzversion dieses Films erhielt Nattiv übrigens Anfang des Jahres einen Oscar für den „Best Live Action Short Film“. Das soll jedoch niemanden davon abhalten, sich die lange Version anzusehen.
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Skin | USA 2018 | Regie: Guy Nattiv | Kamera: Arnaud Potier | Darsteller: Jamie Bell, Danielle Macdonald, Vera Farmiga, Bill Camp, Mike Colter u.a. | Laufzeit: 118 min.