Ein Giallo aus Spanien, in Madrid gedreht, aber in Mailand spielend. Mit allen Insignien des Genres, aber dennoch anders. Mit gebremsten Schaum und trotzdem ganz zwingend. Das ist TODESKREIS LIBELLE, mit Paul Naschy als ermittelndem Polizianten und der göttlichen Erika Blanc als sein putziges Beiwerk. Klingt gewagt, ist aber pure Unterhaltung. Die Libellen lassen bitten:
Kommissar Scaporella (Paul Naschy) qualmt nicht nur die Zigarre – in Mailand geht ein brutaler Serienkiller um, der in der Unterwelt kräftig das Feld bestellt; mehreren Luden, Dealern und Prostituierten wies Freund Hein bereits den Weg ins Totenreich. Einziger Anhaltspunkt ist eine Brosche in Libellenoptik, die bei jedem Opfer gefunden wird, sozusagen das Markenzeichen des Sensenmannes. Als Scaporellas Freundin (Erika Blanc) sich in die Ermittlungen einmischt, er selbst Bekennerschreiben erhält und sein eigener Bekanntenkreis dezimiert wird, ist für ihn das Maß voll – und flugs wird aus der Mörderhatz ein Kampf ums eigene Überleben.
Seitdem Mario Bava die Insignien des ‚Giallo‘ definiert und Dario Argento die moderne Spielart des Genres festgezurrt hatte, führte für italienische Filmschaffende neben der Komödie und den Polizeifilmen kein Weg mehr an den Gialli als einer der bestimmenden Spielarten des Mainstreamkinos aus dem südlichen Teil Europas vorbei. Auch die Spanier blieben nicht untätig und so hievte Paul Naschy, gebürtig Jacinto Molina und seines Zeichens größter Horrorstar des Landes, schon mit JACK EL DESTRIPADOR DE LONDRES (1972), LOS CRIMENES DE PETIOT (1973) und LOS OJOS AZULES DE LA MUNECA ROTA (1974) entsprechende Vehikel an die Rampe. Doch dann kam TODESKREIS LIBELLE … und so als sein Meisterstück in Sachen Giallo-Suspense.
Zur Legitimation einer Libelle als Mördersignet bemühte Molina einen kultischen Ritus des Volkes der Chaldäer. Dass er es sich damit ähnlich einfach machte wie viele andere Filmschaffende, die sich an den durch Dario Argento lancierten Umstand eines Tieres im Filmtitel hängten, sei verziehen – hier gab es argumentativ wesentlich dünnere Bretter, die in Cinecittà gebohrt wurden. In Punkto Innendekors, Zeigefreudigkeit und Stilempfinden gibt es an TODESKREIS LIBELLE ohnehin nichts zu rütteln, auch das Zeitkolorit kommt nicht zu kurz – dass die marodierende Wehrsportgruppe mit Nazi-Symbolen aus heutiger Sicht läppisch wirkt, verweist auf Zeit und Hintergrund.
Wenn man TODESKREIS LIBELLE einen Vorwurf machen wollte, dann höchstens, dass er durch Regisseur Klimovsky – euphemistisch gesprochen – handwerklich solide, aber für das experimentierfreudige Genre recht „unaufgeregt“ erzählt ist. Das ändert nichts daran, dass Klimovsky einen sauberen Giallo zusammengedreht hat, der fünf Jahre früher sicher auf der Höhe seiner Zeit gewesen wäre. Naschy jedenfalls kann sich als Schauspieler richtig beweisen, versieht seinen Kommissar mit selbstironischen Zügen und pendelt auf einer souveränen Phalanx irgendwo zwischen Lino Ventura und Louis de Funès – und Erika Blanc zieht blank, was will man mehr?
Die Filmmusik versteht sich – wie bei so manchem Naschy-Film aus dieser Zeit – vollständig aus bereits existentem Material zusammengeleimt, d.h. es erklingen Zweitverwertungen, wohin man auch hört. Verantwortlich zeichneten hierfür die rührigen CAM-Musikverlage aus Rom, die aus Vermarktungszwecken nicht nur eine spanische Dependance in Madrid eingerichtet hatten, sondern auch dort schmal budgetierten Filmproduktionen mit Archivaufnahmen aushalfen. So geschehen auch bei TODESKREIS LIBELLE – und dankenswerterweise macht die Tonspur dadurch an musikalischer Atmosphäre wett, was Regisseur Klimovsky filmisch an bildlicher Giallofinesse liegenließ. Für die Untermalung der Spannungssequenzen griff man auf Kompositionen für zwei Top-Titel des Giallogenres zurück, die darüber hinaus auch noch beide von Mario Bava inszeniert worden waren. Carlo Rustichelli hatte BLUTIGE SEIDE (1964), Stelvio Cipriani IM BLUTRAUSCH DES SATANS (1971) beschallt und von letzterem finden sich so etwa der „Teen-Agers cha-cha-cha (#2)“ oder das Stück „Le Mans, Scorciatoia per L’Inferno (Seq. 4)“ hier wieder.
Für die diversen Szenen in Bars, Betten, Boutiquen und Bordellen schnappte man sich außerdem die 1972 bei CAM verlegte Library-LP „Attualita – Monoscopio – Siglette“. Neben Piero Piccioni, mit gleich vier Titeln besonders dick vertreten, erklangen Fiorenzo Carpi, Bill Conti, Gianni Marchetti, Gianni Ferrio, Daniele Patucchi und sogar ein Titel des weltberühmten Ennio Morricone. Wer sich also nach der CAM-Schallplatte CML 006 umsehen möchte, hat nicht nur einen Großteil des Soundtracks zu TODESKREIS LIBELLE beisammen, sondern in Zeiten des LP-Revivals auch noch einen fetten Pluspunkt in der Hipster-Statistik á la Berlin-Prenzlauer Berg.
Lag der Film schon von seiner Produktion bis zur Veröffentlichung in Italien gute zwei Jahre herum, so fanden Kommissar Scaporella und seine Libellensammlung erst im Videoboom Anfang der 1980er den Weg nach Deutschland. Die Synchronbearbeitung entstand bei MGS-Synchron GmbH in Düsseldorf, die Michael Geimer-Gründgens, ein Neffe von Gustaf Gründgens, 1973 zusammen mit seinem Kompagnon Diether Krebs gegründet und die sich über die Jahre als preisgünstige Brandt-Schnodderdeutsch-Aushilfe etabliert hatte. Auch bei TODESKREIS LIBELLE lederte Geimer manch kesse Lippe und hemdsärmelige Unkorrektheit ins Dialogbuch und da störte es auch nicht weiter, das Kristina Walter mit Susana Mayo und Maria Vidal gleich zwei Schauspielerinnen sprechen musste. Paul Naschy mit dem brummigen Organ Günter Königs zu hören gefällt, ebenso Eva Garg auf der feurigen Erika Blanc; Klaus Lange, Rosa Maria Hoffmann und Marianne Hoika runden ein Sprecherensemble ab, das eine patente deutsche Fassung garantiert und passig stilecht geriet.
Erschienen ist TODESKREIS LIBELLE als gelungene Blu-ray-DVD-Kombo innerhalb der Reihe „Paul Naschy – Legacy Of A Wolfman“. Der Hauptfilm, den man ungeschnitten in der breitwandigen Export-Fassung – die gegenüber der Clothes-Fassung nackte Tatsachen präsentiert – oder open matte in der prüden Fassung des ausklingenden Franco-Spaniens genießen kann, zeigt sich in hervorragender Abtastung und bestem Glanz. Der spanische Originalton kommt wie die deutsche Fassung rauscharm und klar daher. Als Extras findet sich der spanische Kinotrailer, der wie so häufig in der damaligen Zeit Liveszenen und Comiceinschübe schnittige miteinander montiert, eine umfangreiche Bildergalerie mit Plakatmotiven sowie Aushang-, Set- und Dreharbeitenfotos, der alternative spanische Vor- und Abspann sowie die einstige deutsche VHS-Fassung, nur echt mit legendärem 80ies- HF-Videos-Vorspann. Ein Booklet „Giallo Mortale der Libelle oder: Naschy in Gelb“ von David Renske rundet das Paket ab, wobei die auf 1500 Exemplare limitierte Edition im schmucken O-Ring-Card-Schuber jedes Europloitation-Fanherz höher schlagen lassen dürfte.
Una libélula para cada muerto | Spanien 1975 | Regie: León Klimovsky | Darsteller: Paul Naschy, Erika Blanc, Ángel Aranda, María Kosty, Ricardo Merino, Antonio Mayans u.a.
Anbieter: Subkultur Entertainment