Sleasy Rider mit Pensionsanspruch.

„Wünsche frohe Weihnachten“ ruft ihr Väterchen Frost noch zu, doch für die Dame ist es Essig mit dem Fest. Schon im nächsten Moment greift ein Räuber von seinem ‚heißen Ofen‘ aus nach Ihrer mit Barem gefüllten Handtasche – und da sie partout das Weihnachtsgeld nicht hinfahren lassen will, zieht’s die Schickse meterweit über den Asphalt, bis sie von einem Laternenpfahl unsanft abgebremst wird. Gespaltener Schädel inklusive. Ungefähr so muss sich Fernando di Leos Drehbuch gelesen haben, als er EISKALTE TYPEN AUF HEIßEN ÖFEN schrieb. Klingt überdreht, ja? Keine Sorge, das ist nur die Ouvertüre zu Ruggero Deodatos ‚Tour de force‘ des schlechten Geschmacks.

Cover ÖFEN Antonio (Marc Porel) und Alfredo (Ray Lovelock) sind Beamten einer Motorrad-Spezialeinheit der römischen Polizei, von deren Existenz kaum einer weiß: sie verhaften die Kriminellen, denen sie auf die Schliche kommen, nicht, sondern töten sie. Ihr Chef (Adolfo Celi) belässt es meist bei Ermahnungen. Mit besonderem Fleiß widmen sie sich der Suche nach Pasquini (Renato Salvatori), dem Besitzer etlicher Spielhöllen, einem sadistischen Erzgauner. Nachdem sie etliche von Pasquinis Bütteln zu langfristiger Ruhe verholfen haben, können sie ihn in seinem Versteck aufspüren – doch unter Ihren Füßen wartet ein großer Haufen Dynamit … und die Zündschnur brennt.

ÖFEN 01 Italienische Polizeifilme der 1970er Jahre waren von jeher keine Kinder von Traurigkeit, spiegelten sie doch die gesellschaftliche Realität der „bleiernen Zeit“ wieder. Doch was Deodato mit EISKALTE TYPEN AUF HEIßEN ÖFEN für ein Feuerwerk abbrennt, ist noch mal eine Klasse für sich und in jeder Hinsicht „drüber“. Selten sind die Gesetzeshüter selbst so von Grund auf schlecht, verroht und brutal vorgegangen, wie unsere beiden Schätzchen. Dass sie beim präventiven Abschuss der Kriminellen auch noch so herrlich sympathisch aussehen, dafür können Marc Porel und Ray Lovelock am Allerwenigsten. Deodato sichert sich mit seiner Inszenierung nach allen Zuschauerseiten ab: wer in diesem Film eine überspitzte und brutale Karikatur des Genres seht, wird sich delektieren können an den hemmungslos überzeichneten Verfolgungsjagden, den Schießereien und Schweinereien, die hier präsentiert werden. Wer es ernst meint und den Filmhelden – die oft genug den Verbrechern schon mal prophylaktisch das Licht ausblasen – ein „Genau meine Meinung“ zurufen möchte, der kann sich sicher mit manchem zeitgenössischen Kinogänger die Hand reichen. Dass das ganze Treiben Deodato-typisch bestens erzählt, handwerklich auf Klasse getrimmt und außerdem noch hochunterhaltsam fotografiert ist, zeigt die Fähigkeiten, die der Regisseur einzubringen wusste. Und es gibt auch kleine, tröstliche Lichtblicke: etwa wenn der bemitleidenswerte Bruno Corazzari, der schon bei so manchem Italokracher das pappige Ende der Salzstange erwischte, hier nach Abpfiff wenigstens als „Einäugiger unter den Blinden“ den Platz verlässt.

Komponist Ubaldo Continiello, der kurz darauf auch den ebenfalls von Lovelock behauptrollten Prosperi-Schangel TOTE PFLASTERN SEINEN WEG (1976) vertonte, schmierte die schmierigen Filmbilder von EISKALTE TYPEN AUF HEIßEN ÖFEN mit unglaublich öliger Discomusik und dickem Big-Band-Library-Jazz, der noch jeden Schmierlappen ins Bahnhofskino zieht. Continiello, der sich für MONDO CANNIBALE 2 – DER VOGELMENSCH (1977) nochmals mit Regisseur Deodato zusammentat und später Lamberto Bavas stimmungsvollen MACABRO – DIE KÜSSE DER JANE BAXTER (1980) musikalisch untermalte, blieb leider einen Release seines Scores schuldig – wie vieles aus dem Archiv von Nazionalmusic wohl einem Tiber-Hochwasser zum Opfer gefallen. Lediglich die beiden von Lovelock gesungenen Titel „Won’t Take Too Long“ und „Maggie“ wurden damals beim kleinen Idea-Label als Single veröffentlicht.

Plata ÖFEN 02 Wer als deutscher Fan die Auswertungsgeschichte etwas intensiver verfolgt hat, weiß die jetzt vorliegende Veröffentlichung des Streifens ausgesprochen wertzuschätzen – mehrfach erwies sich ein bereits angekündigter Release als Makulatur, verschwand produziertes Material im Nirwana des Fandoms. Innerhalb der in stilechten, roten Amarays verpackten „Polizieschi Edition” erschien nun vor einiger Zeit Eiskalte Typen auf heißen Öfen als #012 als DVD-/Blu-ray-Kombo. Für den hervorragenden Bildtransfer, der auf der italienischen Fassung basiert und in bester Qualität die ungeschnittene Fassung präsentiert, stehen neben dem italienischen ‚Originalton‘ – wobei Produktionen aus dem Land in Stiefelform grundsätzlich „übersprochen“ wurden und demnach nur einen Originalton mit Gänsefüßchen darstellen – und der englischen Exportsynchronisation auch die deutsche Fassung zur Verfügung. Diese nimmt sich in Bezug auf flippige Sprüche, derbe Wortwahl und politische Inkorrektheit einiges heraus und zählt nicht zuletzt aufgrund der „Berliner Garde“ an Sprecherurgesteinen (Lutz Mackensy, Randolf Kronberg, Martin Hirthe, Wolfgang Draeger, Inge Wolffberg, Edgar Ott, Michael Chevalier, Arne Elsholtz, Joachim Nottke und Manfred Lehmann) zu den kleinen Klassikern deutscher Sychronkultur.

In der Bonussektion findest sich ein unterhaltsamer und analytischer Audiokommentar von Pelle Felsch und Oliver Nöding sowie die durch LSP Medien aus der Italofassung extrahierte, unzensierte deutsche Kinofassung, die der honorige Constantin-Filmverleih damals in die Kinos brachte. Neben dem englischen Vor- und Nachspann sowie Kinotrailer aus Italien, England und Deutschland findet sich im Gedenken an Ray Lovelock sein Filmsong “Won’t Take Too Long” in bester Audioqualität. Abgerundet wird das Paket durch ein achtundzwanzigseitiges „Tenebrarum“-Booklet von Martin Beine, der in gewohnter Manier szenenspezifische Analyse und Querverweise liefert. Mit Ausnahme des Booklets ist die mittlerweile nachgeschobene Amaray-Variante zur beim Label inzwischen ausverkauften Erstauflage identisch ausgerüstet und somit auch empfehlenswert.

Plakat ÖFEN „Warum seid ihr eigentlich zur Polizei gegangen? Ihr unterscheidet euch doch kaum von denen, die ihr verfolgt“ – derart werden die beiden eiskalten Typen von ihrem eigenen Chef eingewertet. Die Polizei, Dein Freund und Henker – mit ordentlich PS auf zwei Rädern unter’m Hintern und viel Testosteron in den Extremitäten. EISKALTE TYPEN AUF HEIßEN ÖFEN ist sicher kein Film für Zartbesaitete, für alle Fans des Italo-Kinos ist er jedoch ein Fest. Für die einen die Spencer & Hill-Variante des Polizeifilmgenres, für die anderen ein schonungsloser Zeitkommentar. Egal, auf welcher Seite man steht – kaltlassen wird diesen Film niemanden. Omas Enkel fahren im Hühnerstall Motorrad.

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Uomini si nasce poliziotti si muore | Italien 1976 | Regie: Ruggero Deodato | Darsteller: Marc Porel, Ray Lovelock, Adolfo Celi, Silvia Dionisio, Franco Citti, Marino Masè u.a.

Anbieter: filmArt