Auf dem Filmfestival von Rotterdam wurde Ulaa Salims Debütfilm SONS OF DENMARK nach A PRIVATE WAR gezeigt – einem biographischen Werk nach dem Leben der in Syrien umgekommenen Kriegsjournalistin Marie Colvin. Es war an diesem kalten Januartag eher von einem Zufall im Programm auszugehen; trotzdem sind solche Koinzidenzen eines von vielen Argumenten für den Besuch von Filmfestivals und die durch die Programmierung gewollt und ungewollt entstehenden neuen Zusammenhänge und Erkenntnisse: A PRIVATE WAR liefert mit der Schilderung der unmenschlichen Ereignisse in Syrien genau das Szenario, dem die Protagonisten in SONS OF DENMARK entflohen sind – nur, um in ihrer Zuflucht von den heimischen Dänen angefeindet zu werden, rechte Schmierereien an Fassaden und Schweinsköpfe vor ihrer Haustür zu finden. Nach einem verheerenden Bombenattentat sehen sich die Immigranten einer Welle von Hass ausgesetzt. Angestachelt werden die immer übergriffigeren nationalen Hitzköpfe durch die rassistischen Kommentare eines aufstrebenden rechten Politikers. Mit dieser bitteren, frustrierenden Ausgangssituation beschäftigen sich die ersten Minuten des Films, schaffen dabei moralische Ambivalenzen, die den Zuschauer wie auch bald die Protagonisten in ein Wechselbad der Gefühle stürzen. Denn damit hält sich Regisseur Salim gar nicht lange auf, sondern nutzt sie als Motivation für die Aktivitäten einer arabischen Untergrundbewegung inmitten der dänischen Hauptstadt, die mit Angriffen auf die titelgebende rechte Gruppierung „Söhne Dänemarks“ gegen die ausländerfeindliche Stimmungsmache vorgehen will. Zwangsläufig gerät dabei auch der kurz vor einem Erfolg in den kommenden Wahlen stehende rechte Politiker Nordahl ins Visier, und dessen Bewegung hat noch ganz andere Pläne für die Wahlnacht.
SONS OF DENMARK folgt dem 19jährigen Zakaria auf seinem Weg in den Untergrund. Für ihn ist die Situation unerträglich, in der er zunehmend um das Leben seiner Freunde und Familie fürchten muss, so dass er sich zum Handeln genötigt sieht. Im Zuge seiner zunehmenden Radikalisierung trifft er auf den älteren Ali. Die Männer werden bald vor Entscheidungen gestellt, die tragische Konsequenzen für die Familien beider nach sich ziehen. Das ist umso erschütternder, als Salim es mit seinen überzeugenden Schauspielern hervorragend versteht, zunächst ein tiefes Gefühl von Zusammenhalt und Geborgenheit zu vermitteln. Hervorzuheben sind hier gerade die ruhigen, intimen Szenen mit Zakaria im Kreis seiner Familie, die eine Zärtlichkeit und Liebe offenbaren, wie man sie in ihrer Subtilität lange nicht mehr auf der Leinwand gesehen hat.
Die Handlung von SONS OF DENMARK verlegt die heutige angespannte soziale Lage in den Ländern Europas in ein Dänemark im Jahr 2025 und denkt die aktuelle Situation nur konsequent weiter. Statt linker Gruppierungen sind es nun die Immigranten selbst, die tägliche Anfeindungen nicht mehr länger hinnehmen und gegen den rechten Feind zurückschlagen. Und dass ein rechter Politiker sich anschickt, die Regierung zu übernehmen, ist schon heute in Anbetracht der hohen Wahlergebnisse der Rechten so unwahrscheinlich nicht mehr. Das macht SONS OF DENMARK zu einem beunruhigend brandaktuellen Film, der alles andere als belehrend daherkommt, sondern sich in der zweiten Hälfte ganz auf sein Thrillerpotenzial konzentriert. Daher sollte man auch nicht den Fehler begehen und Antworten auf wichtige gesellschaftliche Fragen erwarten. Dazu ist der Film dann doch zu sehr Genrekost, zu sehr an einer spannenden, wendungsreichen Handlung interessiert. Das genau ist auch Salims Absicht, der laut eigenen Aussagen keine unmittelbare Botschaft vermitteln, sondern vielmehr eine spannende Geschichte erzählen möchte vor dem Hintergrund der aktuellen sozialen Situation. Hier wird nicht die Vielfalt der verschiedenen Meinungen in der Gesellschaft auseinanderdividiert, sondern das Geschehen aus der subjektiven und damit immer auch eingeschränkten Sicht der Charaktere erzählt. Dennoch bleibt SONS OF DENMARK über lange Strecken überraschend hellsichtig und komplex. Dabei gelingt es dem ausgesprochen spannenden Film vorzüglich, die Ambivalenz seiner Protagonisten bis zum packenden Ende aufrechtzuerhalten, dem bei aller vermeintlichen Gerechtigkeit alles andere als eine Lösung innewohnt.
SONS OF DENMARK erlebte seine Weltpremiere in Rotterdam. Dass ihm als Eröffnungsfilm eine besondere Sichtbarkeit zukam, zeigt das Bemühen des Festivals um eine deutliche politische Positionierung in einem Land, in dem der rechte Politiker Geert Wilders um ein Haar in die Regierung eingezogen wäre. Seit Jahren bemüht man sich in Rotterdam um die Entdeckung und Förderung internationaler Talente, unterstützt im Rahmen des Huber Bals Funds die Produktion von Filmen in finanzschwachen Ländern. Damit ist dieses Statement für eine Förderung der interkulturellen Verständigung fast schon zwingend und die erwartete Antwort auf eine ohnehin rhetorische Frage. Dennoch ist sie ein wichtiges Zeichen in einer Zeit der Extreme, in der jegliche Grautöne einem harten Schwarz-Weiß-Kontrast gewichen zu sein scheinen. Die Stärke von SONS OF DENMARK ist gerade, dass die Grautöne als moralische Ambivalenzen nie ausgespart werden – ein Kunstgriff, der den Zuschauer am Ende nachdenklich zurücklässt. Wie Regisseur Salim in einem Interview während des Festivals sagte: Als er zu Beginn seines Filmstudiums von der Idee des Films erzählte, hielt man sie für zu weit hergeholt. Als er kurz vor dem Abschluss stand, war seine Idee für viele schon zu nah an der Realität. Eine Erkenntnis, die erschaudern lässt.
Danmarks sønner, Dänemark 2019 | Regie, Drehbuch: Ulaa Salim | Kamera: Eddie Klint | Musik: Lewand Othman | Darsteller: Zaki Youssef, Mohammed Ismail Mohammed, Imad Abul-Foul, Rasmus Bjerg u.a. | Laufzeit: 123 Min.