Die große Phase von Brian De Palma waren die siebziger und frühen achtziger Jahre. Doch auch spätere Werke des Meisters hatten stets ihre besonderen Reize. So sind etwa CARLITO’S WAY (1993), MISSION: IMPOSSIBLE (1996) oder FEMME FATALE (2002) auf sehr unterschiedliche Weise ganz tolle Filme, wenn man sich dem Zauber seiner Zuschauerführung hingibt und sich nicht allzu sehr um die Glaubwürdigkeit der Handlung schert. Die große Gemeinsamkeit aller De Palma-Filme ist der Hitchcock-Touch, also die Ausgestaltung der Szenen durch die größtmögliche Steigerung der visuellen Dramaturgie (das braucht man eigentlich nicht zu erwähnen…).
Auch in DOMINO gibt es diese Szenen. Nur sind sie dieses Mal nicht ganz so gut, bzw. sie gehen in der Fernsehästhetik des Films unter. Ja, Fernsehästhetik. Denn Brian De Palma dreht seine Filme inzwischen in Europa und mit bescheidenen Budgets. Das hat schon bei manchem Film geklappt (FEMME FATALE), funktioniert aber in dieser dänischen Produktion überhaupt nicht. Auch Europa bietet nicht zwingend himmlische Bedingungen für den US-Altmeister: „DOMINO is not my project, I did not write the script. (…) I never experienced such a horrible movie set. (…) This was my first experience in Denmark and most probably my last.“ (theplaylist.net, 5.6.18)
Trotzdem beginnt der Film mit einer durchaus aufregend gefilmten Eingangsszene, wenngleich etwas zu voraussehbar. Der dänische Polizist Christian (Nikolaj Coster-Waldau) vergisst bei einem dringenden Polizeieinsatz seine Handfeuerwaffe (unbewusst schuldig werden dadurch seine Freundin und die sexuelle Zerstreuung, die sie liefert). Zusammen mit seinem Partner schnappt er sich den verdächtigen libyschen Immigranten Imran (Eriq Ebouaney) im Gang eines Mietshauses. Während er sich die Waffe seines Partners ausleiht, um die Wohnung im obersten Stock zu inspizieren, bewacht sein Partner den Verdächtigen. Eine unnötige längere Unachtsamkeit, und schwupps hat der Libyer dem Polizisten die Kehle durchgeschnitten. Die Verfolgung Christians über nächtliche Dächer ist gut gemacht und nimmt geradezu skurrile Züge an, als sich die beiden auf der Dachrinne hängend eine Verfolgung im Schneckentempo liefern.
Nach dieser doch spektakulären Szene spult De Palma eine Story ab, die selbst für einen Fernsehkrimi zu einfältig ist und höchstens als mittelmäßiger TATORT durchgehen würde. Natürlich geht es Christian ab sofort um Rache für seinen Partner und Freund (ein Aktionismus, der jeweils die Beschäftigung mit der eigenen Schuld überspielt). Auf seiner Suche nach Gerechtigkeit entdeckt er tatsächlich Polizeikorrupion, Verschwörung, Isis-Connections und einen CIA-Agenten, der sich mit den Islamisten verbündet. In einem eher langweiligen, nach De Palma-Hitchcock-Manier choreografierten Finale in einer spanischen Arena, für heutige Zeiten einfach zu lahm, gibt‘s noch mal ein irres Goody vom Altmeister. Eine Selbstmordattentäterin sprengt sich auf einem Filmfestival auf dem roten Teppich zusammen mit unschuldigen Schauspielern und Publikum in die Luft. Das sehen wir als Live-Übertragung online. Und auf einmal wirkt De Palmas Split Screen wieder äußerst modern, nicht nur, weil er das Starsystem des „alten Kinos“ sterben lässt.
Apropos: im Film treffen sich ja mehrere Vertreter des „neuen Kinos“ der Serien: GAME OF THRONES Stars Nikolaj Coster-Waldau (Jamie) und Carica van Houten (Melisandre – sie war aber auch Hauptrolle in Verhoevens BLACK BOOK). Inhaltlich warnen der Regisseur und Drehbuchschreiber Petter Skavlan (KONTIKI) uns Sozialstaat-Europäer vor den Amerikanern: De Palmas Landsleute treiben ein Doppel(agenten)spiel mit den Europäern („We’re Americans. We read your Emails.“). Da sind durchaus Themen drin, die De Palma auch schon besser behagt haben – schließlich verhandelte bereits THE FURY (TEUFELSKREIS ALPHA, 1978) das Dreieck Naher Osten, CIA und Terrorismus, doch mit dem Einbezug telekinetischer Fähigkeiten des Terroristenkindes hievte der Regisseur den Film auf ein ganz anderes Level. Das fehlt hier definitiv.
Auch wenn DOMINO für De Palma einen Alptraum-Film darstellt und er sich herauszureden versucht: Für sein angekündigtes (über-)nächstes Projekt PREDATOR muss er sich definitiv nochmal richtig warm anziehen, um weiterhin ernst genommen zu werden: Er will einen Film über einen Filmproduzenten drehen, der seine Macht gnadenlos für sexuelle Gefälligkeiten missbraucht. Hat hier jemand Harvey Weinstein gesagt?
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Domino | Belgien/Dänemark/Frankreich/Italien/Niederland 2019 | Regie: Brian de Palma | Drehbuch: Petter Skavlan | Musik: Pino Donaggio | Kamera: José Luis Alcaine | Darsteller: Nikolaj Coster-Waldau, Carice van Houten, Guy Pearce, Nicolas Bro, Paprika Steen, Jon Lange u.a. | Laufzeit: 89 min.