Worauf der Titel anspielt, muss wohl niemandem erklärt werden. Dass es im neuen Tarantinofilm um Spaghetti und um Western geht, ist nur ein Teil des Ganzen. Und um Spaghettiwestern nur ein ganz kleiner. Dass es sich um ein Märchen handelt, verdeutlicht der Titel mindestens ebenso sehr. Es geht um Hollywood in den späten Sechzigern. Tarantino erzählt die Geschichte vom Massaker der Manson Family an Polanskis Frau Sharon Tate aus der Perspektive der Nachbarn. Und er erzählt sie so, dass sein Film nur von Leuten verstanden wird, die die Story bereits kennen. Und er ändert auch etwas Grundlegendes … doch dazu später.
Denn in erster Linie bereitet der Film Vergnügen. ONCE UPON A TIME IN HOLLYWOOD führt uns in eine Welt der Hippies und Hipster in der Filmmetropole 1969. Und das so Bubblegum-mäßig, wie wir es aus Pop-B-Movies von PSYCH-OUT bis hin zu Camp-Perlen wie Russ Meyers Meisterwerk BEYOND THE VALLEY OF THE DOLLS kennen. Also überaus vergnüglich, bunt, schrill und Leben auf der Überholspur. Obwohl Tarantino ganze Straßenzüge L.A.’s aus der Zeit nachbauen ließ, ging es ihm nicht um Realismus (Wer hätte das gedacht?!), sondern um das Hollywood-B-Movie-Feeling. Dazu erklingen stimmungsvolle Hits der Ära, sobald einer der coolen US-Schlitten durch die sonnendurchfluteten Straßen braust. Wir sind in einem (Märchen-)Film, nicht im realen Hollywood der Zeit.
Im Zentrum des Märchens steht der abtretende Western-Filmstar Rick Dalton (Leonardo Di Caprio). Obwohl ein cool agierender Mittvierziger, der ein Leben im Überfluss führt – hier ein Drink, dort ein flotter Spruch -, muss er damit klarkommen, dass er bald nicht mehr in der obersten Liga der Stars mitspielt. Er ist zwar überaus begabt und übt nachts im Pool fleißig seine Texte, doch schließlich muss er sich mit dem verachtenswertesten Job in seiner Situation abgeben: einer Reise nach Cinecitta, wo er Spaghettiwestern unter der Regie von Sergio Corbucci, Antonio Margheriti und anderen dreht.
Nicht von seiner Seite weicht sein Stuntman Cliff Booth (Brad Pitt), auch er ausrangiert. Er lebt mit seinem Hund in einem Trailer und wird von Rick mit dem Job als Privatchauffeur durchgefüttert.
Frisches Blut und großer Erfolg tauchen allerdings plötzlich in Ricks Nachbarschaft in Cielo Drive auf, ein europäischer Vorbote des New Hollywood: Roman Polanski, mit seiner Frau Sharon Tate und Mitbewohner, Exlover und Hairstylist Jay Sebring (Emile Hirsch).
Während Polanski (Rafal Zawierucha) eher gesichtslos bleibt, erhält seine Frau mehr Bedeutung in Tarantinos Universum. Nachbarin Sharon Tate (Margot Robbie) „has ist all“, wie der Amerikaner sagt: Sie ist ein semiprominentes Starlet mit bestem Aussehen, coolem Auto und dem heißesten Regisseur als Lover: Roman Polanski hat sie bei den Dreharbeiten zu TANZ DER VAMPIRE kennen gelernt – und in der Zwischenzeit hat er den wohl angesagtesten Streifen des Jahres abgedreht, ROSEMARYS BABY. In der Playboy Mansion tanzen und turteln sie mit der attraktiven Michelle Phillips der Band „Mamas & Papas“ herum (falls die jemand nicht kennt: „California Dreaming“ war deren Hippie-Hymne-goes-Welthit) und Steve McQueen, der unbedingt noch ein paar Sprüche gegen Hippies fallen lassen muss. (Dass vorher übrigens „Hush“ von Deep Purple läuft, ist einem der ersten Auftritte von Deep Purple 1968 in der Sendung „Playboy after dark“ geschuldet, in der Hugh Hefner vorab mit Ritchie Blackmore und John Lord herumalbert. Mit subtilen Bezügen wie diesem ist Tarantinos Film natürlich übervoll.)
Rick und Cliff stehen derweil nicht mit der jungen Generation auf der Tanzfläche. Sie sind noch Stars und Westernhelden von altem Schrot und Korn. Cliff lässt sich auch keinen Blowjob geben, als er eins der Hippiemädchen der Manson Family auf deren Homebase fährt: die Spahn Ranch. Cliff begleitet sie vielmehr an diesen Ort, weil er hier früher Western drehte und den inzwischen 80jährigen George Spahn wieder einmal treffen will (gespielt von einem Inbegriff des New Hollywood-Schauspielers, Bruce Dern). Was er antrifft, schockiert ihn: Eine nahezu vollständig weibliche Truppe lebt auf dieser Ranch, führt sie, veranstaltet Ausritte für Touristen und hält den 80jährigen mit Sexdiensten und BONANZA-Visionierungen bei Laune. Die Spahn Ranch wird zur Metapher des ausgedienten alten Hollywood-Kinos und zum Inbegriff eines von der Gegenkultur machtgierig und ambitionslos besetzten Ort des Kinos. Dazu passt natürlich bestens, dass der alte Spahn praktisch blind ist (was er übrigens auch in der Realität war).
Ein paar angenehme Schlenker versüßen den Weg zum unausweichlichen Ende der Geschichte. Cliff verprügelt den damaligen GREEN HORNET-Star Bruce Lee (der übrigens im echten Leben von Jay Sebring entdeckt wurde), Rick lässt sich bei einem Western von einer alles wissenden 8jährigen Göre die hohen Weihen der Schauspielkunst erklären, auf dem Italientrip heiratet er eine angesagte, schlechtgelaunte italienische Filmdiva.
Doch dann kommt es, das unausweichliche Ende (Vorsicht, Spoiler): Zusammen mit dem Mord der Hell‘s Angels an Meredith Hunter beim Altamont-Festival 1969 gelten die Morde der Manson-Family als düsterer Wendepunkt in der Geschichte der Hippiebewegung. Susan Atkins und drei weitere Mitglieder der Family ermordeten in der Nacht des 9. August 1969 die schwangere Sharon Tate, Jay Sebring, Drehbuchschreiber Wojciech Frykowski und dessen Freundin Abigail Folger auf grauenhafte Weise, nach Anweisungen von Charles Manson. Doch bei Tarantino ist das Ende nicht unausweichlich. Dank den alten Hollywoodrecken Rick und Cliff werden die Morde nicht begangen. Sie „erretten“ das New Hollywood vor seinem bösen Zwilling und mit diesem Showdown verändert Tarantino seine Story, die sich bis anhin durchaus an die Fakten gehalten hat. Weshalb macht er das?
Als Tarantino in INGLORIOUS BASTERDS Hitler und Goebbels erschießen ließ, war das Teil eines Bubblegum-Kinos, das sich an Nazifilmen delektierte (wie heute wieder viele Superheldenfilme), und bei dem sich niemand mehr um Wirklichkeit schert. Im vorliegenden Film über die Filmwelt der späten Sixties wirkt es viel schockierender, wenn die Realität derart gefälscht wird. In beiden Fällen aber verleiht Tarantino der Geschichte ein Happy End. Ist das die Macht des Kinos – selbst die Schattenseiten des Films mit Film zu heilen? In unserem Fall rettet das alte Hollywood das New Hollywood vor dessen dunkler Seite.
Aber nicht nur das: Mehr oder weniger bewusst verarbeitet Tarantino auch die heutige Zeit, in der Moral und Unmoral massiv getrennt sind, in diesen so unglaublich polarisierten USA. Nicht nur wegen seiner Frauenfiguren geriet Tarantino etwas unter Verdacht des progressiven Hollywood, sondern weil er seiner damaligen Freundin Mira Sorvino zu wenig Glauben schenkte, als sie auf Tarantinos Hauptkarrieremacher Harvey Weinstein als Frauenjäger hinwies. Trotz keiner effektiven Fehlhandlung öffentlich angeprangert: kein Wunder, hat er mit dem aktuellen New Hollywood Mühe und sehnt sich nach den alten Filmzeiten zurück (als er mit Gewalt und Witz erfolgreiche Filme machte). Andererseits ist Tarantino viel zu aufgeklärt und modern, als dass er sich in irgendeiner Weise mit den mächtigen, regierenden, rückschrittlichen Kräften der USA identifizieren könnte. Daher die Ambiguität seiner Filmhandlung zwischen sexy Sexismus und politischer Korrektheit – und dem Wunsch, den Lauf der Geschichte ins eindeutig Gute zu wenden.
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Once upon a time in Hollywood | USA 2019 | Regie: Quentin Tarantino | Darsteller: Brad Pitt, Leonardo di Caprio, Margot Robbie, Emile Hirsch, Bruce Dern, Dakota Fanning, Luke Perry, Kurt Russell u.a. | 161 min.