Neu auf Netflix: Vier Kriegsveteranen kehren nach Vietnam zurück, finden aber anders als John Rambo keine Erlösung. Stattdessen lässt Spike Lee in DA 5 BLOODS den Diskurs einfach durchdrehen.
Seit 2015 hat in Spike Lees Kinooutput wieder etwas mehr Selbstverständlichkeit Einzug gehalten. Nach über einem Jahrzehnt mit eher unpersönlichen Hits und persönlichen Flops, dem Kampf mit der eigenen Schublade und einem Film wie OLDBOY (2013) verschwand vor allem die Beiläufigkeit, die die Arbeiten des nun wirklich nicht dezenten Filmemachers zuvor entwickelt hatten. Seit CHI-RAQ (2015) herrscht wieder die Dringlichkeit des Frühwerks vor. Vor allem resonieren seine Erzählungen aus einer von Rassismus durchzogenen Gesellschaft abermals mit den Problemlagen der USA. So sehr, dass Lees neuer Film DA 5 BLOODS mitten in den größten Protesten gegen Rassismus und Polizeigewalt seit langer Zeit veröffentlicht wird. Die Wut im Bauch dieses Films scheint nur auf die Wut auf den Straßen gewartet zu haben.
Das epische Theater von CHI-RAQ setzte noch auf einen Appell an die Zivilgesellschaft von Chicago. Unter absurden Vorzeichen wird darin eben das Heft selbst in die Hand genommen, wenn die Institutionen die Nachbarschaft mit der eskalierenden Gangkriminalität allein lassen. BLACKkKLANSMAN (2018) zog als Farce eine Linie zwischen dem von David Duke reformierten Ku-Klux-Klan und dem Einzug Donald Trumps ins Weiße Haus. Voll Galgenhumor wurde die Schizophrenie afroamerikanischer (und jüdischer) Identität in den USA gezeigt, wo der internalisierte Selbsthass die sehr wenig „arischen“ Protagonisten zu glaubhaften White Supremacists machen kann. Der durchaus spürbaren Verzweiflung mischten diese Filme noch Versöhnliches und Witzeleien bei. In DA 5 BLOODS bleiben nur noch Zorn und Pathos als Mittel gegen die multiplen Widersprüche.
Vier Veteranen des Vietnamkriegs (Norm Lewis, Delroy Lindo, Clarke Peters, Isiah Whitlock Jr.) kehren in den Dschungel zurück, um die leiblichen Überreste ihres gefallenen Squad Leaders und Freundes Stormin’ Norman (Chadwick Boseman) zu bergen und zu überführen. Nebenbei wollen sie außerdem den Goldschatz ausfindig machen und außer Landes schmuggeln, den sie während des Kriegs erbeuteten und versteckten. Was nichts anderes bedeutet, als dass sie die Vergangenheit aufarbeiten müssen, um sich, als Belohnung in Gold, von deren Geistern zu befreien. Doch anders als John Rambo oder James Braddock steht ihnen keine erlösende Erfüllung eines Wunschtraums bevor. Da wo die zwei – in DA 5 BLOODS explizit referenzierten – Vietnamrückkehrer aus RAMBO (1985) respektive MISSING IN ACTION (1985) „fiktive Kriegsgefangene“ retten dürfen und damit dem Dschungel auch ihre eigenen Traumata entreißen, ist der hier zu erbeutende MacGuffin vieldeutiger und tückisch. Denn das Skelett im Boden führt eben auch zu Leichen im Keller, und das Gold weckt Gier und lässt einen neuerlichen Kleinkrieg für die Bloods, wie sie sich nennen, ausbrechen.
Zuerst einmal müssen sie und wir aber durch eine gewaltige Exposition. Fast eine Stunde dauert sie und ist mehr Essay als Spielfilm. Der geänderte zeitliche Horizont, der die Leute in den Szenen aus den späten 1960ern von ihren Ichs aus der Gegenwart unterscheidet, ist schon ins Bild geschrieben. Während das eine im klassischen Academy-Format (4:3) präsentiert wird, sehen wir die vier „Touristen“, die sich für ihre Mission in Stellung bringen, in Scope (2,35:1). Wenn DA 5 BLOODS dann im Hauptteil in einer strafferen Genreform das Aufgebaute sich ausagieren lässt, dann sehen wir dies im ganzheitlichen – diese Netflix-Produktion ist mit ihren kenntlich gemachten Formatwechseln sichtlich für aktuelle Fernseher entworfen – 16:9-Format.
Agitatorisch aufgeladen wird das Geschehen durch vorangesetzte und eingestreute Bilder und Dokumentaraufnahmen des Krieges, Reden von Martin Luther King oder Muhammed Ali, durch korrektive Fakten zur US-Geschichte und die suggestive Darstellung einer nordvietnamesischen Radiosprecherin, die sich im Ton an afroamerikanische Soldaten richtet –warum die für ihre Unterdrücker kämpfen, fragt sie –, doch mit ihrem Blick in die Kamera den Zuschauer einbezieht. Die Szenerien der Gegenwart wiederum ähneln Second Life-Kulissen, die sprechende Bühnen für die individuellen Befindlichkeiten der Vier bilden, auf denen ideologische und gesellschaftliche, seelische und moralische Konflikte in Stellung gebracht werden. Das prominent eingesetzte McDonalds-Logo mitten in Saigon, vor dem entsprechend diskutiert wird, spricht eben ambivalent von der Sinnlosigkeit des Kriegs, wo der kulturelle Imperialismus viel besser zu funktionieren scheint. Sprich: Spike Lee wirft hier förmlich eine Diskursmaschine an, die immer mehr überdreht.
Da gibt es buchstäbliche und symbolische Väter und Söhne; Kinder, die das Stigma ihrer Eltern erben; eine Welt – nicht nur ein Land –, in der Hautfarbe ein Stigma ist. Da gibt es eine Existenz zwischen den Fronten, einen Kampf mit dem Feind vor sich (unter anderem Nordvietnam), hinter sich (die USA) und in sich. Leute, die mit den Traumata des Kriegs leben müssen und die im heutigen Vietnam auf die Opfer ihrer Gewalt stoßen; Ausgegrenzte, die doch als US-Bürger Symbol einer imperialen Macht sind. Da gibt es den Verrat der Ideale an die bürgerliche Existenz – beziehungsweise deren Ermordung. Den Konflikt zwischen individueller und sozialer Gerechtigkeit. Die Flucht vor der eigenen Schuld in einfache Slogans wie „Make America great again“. Da ist schließlich ein Land, das seine Kolonialgeschichte – hier in Gestalt von Jean Reno als zwielichtigen Franzosen – nicht abwerfen kann, das den Krieg in Form von Leichen und Minen noch immer in sich stecken hat.
DA 5 BLOODS ist deshalb auch nicht an physischen Erfahrungen interessiert. Der Dschungel ist weitläufig und irreal und die Kämpfe weder elegante Action noch Schrecken – die wenigen Gorespitzen sind seltsam überzogen, mit einem gewissen, durchaus bewussten Touch von Schmierentheater. Alltag und Verfremdung gehen Hand in Hand. Der Höhepunkt des Films ist deshalb auch eine delirante Schimpftirade in die Kamera, in der all das Aufgeworfene zu einem entstellten Amalgam verbunden wird und ein Gesicht im Wahn zerfließt. Wenn Konflikte gelöst werden, dann greift DA 5 BLOODS zum Kitsch und gibt diese Hoffnungsschimmer damit auch einer Form von Wahnsinn anheim. Statt zu Lösungen zu kommen, dreht der Diskurs einfach durch.
Spike Lee hat damit eine Form gefunden, in der alle seine Stärken sich ergänzen. Irgendwo zwischen Godard und Samuel Fuller ist er angekommen. Wie der erste baut er vielformatige Assoziationsketten, die im Zweifelsfall lieber Dinge aufbrechen lassen als sie zu vereinfachen. Doch gibt er dabei nicht den in Rätseln sprechenden Schalk, sondern ist ungemein direkt. Jeder Konflikt, jeder Standpunkt wird sehr klar vorgebracht. Punch für Punch geht Lee vor. Die damit einhergehende Aufdringlichkeit wird nur durch seine Fuller’sche Aufrichtigkeit genießbar. DA 5 BLOODS nimmt den Kampf mit einer irrsinnigen Welt ohne Umwege auf und rettet sein wildes Treiben gerade dadurch vor der Lächerlichkeit.
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Da 5 Bloods, USA 2020 | Regie: Spike Lee | Drehbuch: Danny Bilson, Paul De Meo, Kevin Willmott, Spike Lee | Musik: Terence Blanchard | Kamera: Newton Thomas Sigel | Darsteller: Chadwick Boseman, Mélanie Thierry, Jean Reno, Van Veronica Ngo, Paul Walter Hauser, Jasper Pääkkönen, Delroy Lindo, Clarke Peters, Isiah Whitlock Jr., Jonathan Majors, Norm Lewis, Rick Shuster, Mav Kang, Alexander Winters, Andrey Kasushkin | Laufzeit: 154 Min.
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors. Erschienen auf critic.de