Juraj Herz’ Film MORGIANA ist ein düsteres Märchen, eine fiese, surreal anmutende gothic story mit atemberaubenden Dekors und Kleidern, dämonischen Make-Ups, irre kräftigen Farben und Farbkontrasten, coolem 70ties Kameragehabe, fremdartigen Katzen-POV-Fahrten, Farbverfremdungen und Kameraeinstellungen, die kalt den Rücken hinunter laufen. Ebenso faszinierend funktioniert der Plot, der auf einer Schauergeschichte des russischen Autors Alexander Grin basiert.
Der Film beginnt mit der Beerdigung des reichen Vaters Tangran und der darauf folgenden Verlesung des Testaments. Seine zwei Töchter werden ungleich bedacht. Victoria, die immer schwarz trägt, eine klar konturierte, riesige schwarze Perücke trägt und ihr grünes Make-Up derart trennscharf und stark aufträgt, dass es den grünen Augen ihrer Katze Morgiana ähnelt, erhält das abgelegene Jagd-Landhaus „Grüne Flöte“ samt Länderei, Personal, Möbeln und Schmuckstücken. Das ist allerdings nicht viel, verglichen mit ihrer Schwester Klara (beide Schwestern gespielt von Iva Janzurova): Frohnatur Klara mit ihren opulenten weißen Kleidern und der wunderschönen, orangen Lockenmähne erhält die Prachtvilla mit dem unglaublich blühenden Garten, Bankkonti und weitere Immobilien. Ausserdem ist Klara das unangefochtene Objekt der Begierde bei Männern. Insbesondere Marek (Josef Abrham) buhlt zu Victorias Leidwesen um Klara.
Nach einem Besuch bei einer Hellseherin lässt sich Victoria ein Gift entwickeln. In einer wunderbaren Szene schüttet sie das Gift in Klaras Wasserglas. Klara bemerkt, dass das Wasser verändert ist: „First it was bubbling water, now it looks like dead water.“ Just in dem Moment, in dem Victoria ihre Tat noch rückgängig machen und ihr das Glas wegnehmen will, trinkt Klara es herzhaft aus. In der Folge wird Klara schwächer und leidet an unverhältnismäßigen Durstattacken, derweil Victoria sich in ihr Landhaus zurück gezogen hat, auf Klaras Tod wartend, doch gleichzeitig zweifelnd, ob es sich bei dem kleinen Fläschchen tatsächlich um Gift handelte. Sie startet Vergiftungsversuche mit einem der Jagdhunde, in die ein Kind dazwischen funkt und aus dem toxischen Hundenapf trinkt.
In die Unsicherheit und die unglaubliche Aggression ihren frei lebenden Angestellten gegenüber (mit gezieltem Steinwurf trifft Victoria eine der nackt badenden Angestellten) platzt die Hellseherin Otylie (Nina Diviskova) herein, dämonisch und berechnend (und in nicht minder opulentem, violettem Kleid) – und erpresst sie. So nimmt die dämonische und teilweise grausame Geschichte richtig Fahrt auf. Doch wir stoppen hier.
Weshalb sich der Filmtitel MORGIANA auf Victorias Katze bezieht, kommt als wunderbarer Manierismus daher. Die Katze ist wie wir Zuschauer die stille, aber machtlose Beobachterin und Mitwisserin des Vergiftungsintrige. Manche Dinge sehen wir gar aus ihrer Perspektive – sie gibt Kameramann Jaroslav Kucera die Gelegenheit, eine seltsam faszinierende Point-of-View-Kamerafahrt dem Boden entlang zu realisieren, die dem gothic fairytale noch einen fremderen Touch gibt. Und dann gibt es die eine Szene, in der die Katze – zufällig oder nicht – einen ganz entscheidenden Einfluss auf die Geschichte ausübt…
MORGIANA wirkt, als wären die allseits geliebten Kindermärchen des tschechischen, sowjetischen oder ostdeutschen Kinos der sechziger und siebziger Jahre endgültig auf die dunkle, surreale Seite gekippt. Da mag man durchaus ein wenig an Harry Kümels Filme denken – und ist doch erstaunt, dass der Film im realen Sozialismus gedreht wurde. MORGIANA wird oft auch als „letzter Film der tschechischen New Wave“ bezeichnet, vier Jahre nach dem Prager Frühling und dessen abruptem Ende durch den sowjetischen Einmarsch. Das spiegelt sich bewusst oder unbewusst in der Geschichte der beiden Schwestern. In Victorias Person zeigt sich der Stalinismus ohne die Kraft Stalins (die Ära Breschnews hatte nach der Machtübernahme 1964 ihren Drive schnell verloren), in Klara die liebenswerte Naivität des Prager Frühlings (und deren unendliche Leichtigkeit). Der Feudalismus des herrschaftlichen Hofes als Metapher für den Widerstreit der kommunistischen Ideen – das soll als amüsanter Hintergrund des Films so stehen bleiben. Eigentlich wollte Herz die Story gar als Schizophreniegeschichte drehen (viele schöne und schauerliche Spiegelszenen erinnern daran), doch das wurde ihm untersagt.
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Morgiana | Tschechoslowakei 1972 | Regie: Juraj Herz | Drehbuch: Vladimir Bor, Juraj Herz | Darsteller: Iva Janzurova, Petr Cepek, Nina Diviskova, Josef Abrham u.a. | 97 min.
Anbieter: Second Run DVD