Wahrscheinlich wusste es der damalige Oberbürgermeister der bayrischen Landeshauptstadt – das erst kürzlich verstorbene SPD-Schlachtross Hans-Jürgen Vogel – selbst überhaupt nicht, wem er da beim Einzug der Wiesnwirte 1968 von seiner Kutsche mit freundlichem Hutschwenken in die Kamera winkte. Dass er dadurch in einem sonderbaren Film landete, den viele Fans schon als unwiederbringlich verloren geglaubt hatten, konnte er noch weniger ahnen. Die Rede ist von JET GENERATION, dem Spielfilmdebut von Eckhart Schmidt, einer Produktion von Roger Fritz.
Schmidt, der auch in späteren, kleinen Genreperlen wie ATLANTIS – EIN SOMMERMÄRCHEN (1970) oder DER FAN (1982) seine Geschichten aus der weiblichen Sicht heraus gedacht und erzählt hat, berichtet uns in JET GENERATION von der amerikanischen Millionärstochter Carol (Dginn Moeller), die in München im Auftrag des todkranken Vaters ihren verschollenen Bruder finden will. Dabei gerät sie an allerlei sonderbare und psychisch teils heftig derangierte Charaktere wie den leichtlebigen Szenefotografen Raoul (Roger Fritz), seinen sinistren, lakaienhaften Assistenten Chris (Jürgen Draeger), die hintergründige Gespielin Hella (Isi ter Jung) sowie allerlei satellitenartiges Personal, was sich um diese Gruppe schart. Als der dubiose Mentler (Rainer Basedow) ein Verbrechen vermutet und Raoul seine Hände im Spiel zu haben scheint, versucht Carol ihn mit ihrer Liebe zum Reden zu bringen – doch bei diesem Spiel kann sie nur verlieren, denn unter der tiefstehenden, alles in trügerisch gemütliches Goldgelb tauchende Sonne Münchens haben die „Eingeborenen“ den wesentlich längeren Atem.
Oft ist JET GENERATION mit Michelangelo Antonionis BLOW UP (1966) verglichen worden und zu einem Gutteil stimmt das auch. Schließlich lässt sich nicht nur kleidungstechnisch eine Nabelschnur von Gunter Sachs über David Hemmings zu Roger Fritz vermuten – dass alle drei in der Fotografie ihre „Passion“ gefunden haben und somit Dinge, Sachen, Menschen anvisieren, um durch das Objektiv etwas unsagbares sichtbar zu machen, passt da gut ins Bild. Doch JET GENERATION ist noch so viel mehr, denn es ist die Nouvelle Vague, die ebenso wie die italienischen Psychothriller eines Umberto Lenzi hier Spuren hinterlässt, gepaart mit einem gewissen Flavour des neuen deutschen Films. Im Grunde ist JET GENERATION eine Art von „Giallo Bavarese“, der das große Drama à la Shakespeare um Schuld und Sühne, Gefühlsverstrickungen und Abhängigkeiten im Rahmen eines Großstadtportraits erzählt, dass bis heute sowohl als Zeitspiegel, wie als thrillendes Publikumskino funktioniert.
Eckhart Schmidt portraitiert in JET GENERATION ein München, dass trotz seines mitunter noch dörflichen Charmes vor entdeckerischer Freiheitskraft scheins kaum laufen kann, in Vorbereitung der Olympiade ’72 mit Subventionen aus Bonn vollgepumpt wird, mit seinem paradiesischen „Weltstadt mit Herz“-Charme wuchern und von sich behaupten kann, die nördlichste Metropole Italiens darzustellen. Schwabing gilt insbesondere für die Jugend als das Nonplusultra eines neuen Lebensgefühls. Hier treffen sich die Künstler, die Intellektuellen, die Studenten – man sieht gemeinsam im Szenekino „Türkendolch“ allerlei B-Movies, trifft sich im „Schwabinger Nest“ zum Bier und auf eine Runde Flippe, prügelt sich im „Big Apple“ plötzlich um die Pfründe des „Dolce far niente“. Währenddessen starten und landen am Riemer Flughafen die Boeing 727-Jets von Lufthansa und PAN AM – es ist ein wilder, schmiegsamer, eiskalter, gemütlicher, kurzum ungemein vielseitiger Ritt durch die Extreme, den JET GENERATION seinem Publikum unterjubelt.
Dginn Moeller schwebt förmlich durch die Inszenierung, mit ihrer Mischung aus eiskalter Berechnung und fehlgeleiteter Sehnsucht taumelt sie umher wie ein Isarfloss in den Stromschnellen. Roger Fritz, der auf dem Regiestuhl von MÄDCHEN MIT GEWALT (1969) noch ein Meisterwerk des Jahrzehnts schaffen sollte, verbreitet denselben toxischen Charme, mit dem südlich der Alpen George Hilton, Jean Sorel oder Robert Hoffmann ihre Begleiterinnen in die Romeo-hafte Liebesfalle, ins Verderben lockten. Für Jürgen Draeger bräuchte es im Grunde gar kein Drehbuch, er verwebt seine schiere Präsenz mit überlegter Kindlichkeit; die unterschätzte Isi ter Jung geizt nicht mit Reizen und gibt eine aalglatte Femme fatale. Auch Rainer Basedow schaut vorbei, der kurz darauf von der Isar an die Elbe wechselte um bei Jürgen Roland DIE ENGEL VON ST. PAULI (1969) zu drehen. Jeder Filmcharakter schmiedet hier kurzfristige Zweckbündnisse, gerade solange gültig, dass man über die Nacht kommt. Parallel laufen mondäne Fotoshootings von flippig gekleideten Models vor den monumentalen Prachtbauten aus der Zeit Ludwig I. – schöner Schein des Jetzt vor schönem Schein vergangener Zeiten; manches bleibt sich eben gleich.
Dafydd “David“ Llywelyn indessen, gebürtig in Südwales und damals mit der pre-Supertramp-Gruppe „The Joint“ fleißig am Arbeiten, lieferte die nach früher “Deep Purple“ klingende, teils auch kontemplativ psychedelische Filmmusik, ließ Ramon Bouchè einen klagend-rockigen Titelsong singen, dessen Singleversion wohl vielen Fans noch vom mittlerweile kultiger Sampler “Schwabing Affairs” des Kölner Indielabels Diggler Records im Ohr hängen dürfte.
Es ist das Verdienst von Subkultur und besonders seinem „Honcho“ Tino Zimmermann, dass JET GENERATION, der hier stellvertretend für weitere Arbeiten das Labels wie etwa BLUTIGER FREITAG (1972) oder DIE BRUT DES BÖSEN (1979) steht, der Nachwelt in derart mustergültiger Form überantwortet wurde – wie langwierig, steinig und schlussendlich doch erfolgreich der Weg zur vorliegend restaurierten Fassung war, davon gibt das umfangreiche Booklet beredt Auskunft und verdeutlicht, mit wie viel Herzblut und Selbstausbeutung die Macher hier am Werk sind. Der Film – veröffentlicht im Digipack und zwei unterschiedlichen Covermotiven als nunmehr dreizehnter Eintrag in der preisgekrönten „Edition Deutsche Vita“ sowie in der abgespeckten Vanilla-Disc-Variante – feiert in der bislang unveröffentlichten, vom wiederentdeckten Originalnegativ in 4K digitalisierten, unzensierten Langfassung seine Auferstehung und ist technisch ein ungetrübtes Vergnügen in satter Schärfe und frischem Breitwand-Look.
Neben der deutschen und englischen Sprachversion enthält die Bonussektion drei längere und exklusiv für diesen Release geführte Interviews, die allesamt auf ihre Art und Weise sehenswert sind: Produzent und Hauptdarsteller Roger Fritz ist wie immer ein sympathischer Erzähler, stilvoll und selbstgewiss schildert er die damalige Szene und die Abenteuer hinter den Kulissen. Regisseur Eckhart Schmidt plaudert ebenfalls süffisant aus manchem Nähkästchen der deutschen Kinohistorie und den Gegebenheiten seines Spielfilmdebuts. Künstler und Schauspieler Jürgen Draeger, dessen Vita schon eine eigene Verfilmung rechtfertigen würde, rundet die Erinnerungen der Macher ab, sein Gespräch stellt ohnehin eine Rarität für den ansonsten zurückgezogen wirkenden Maler dar – mit Chuzpe, Rührung und Berliner Schnoddrigkeit plaudert er über sein Leben und die alten Zeiten des Kintopps. Mit dem deutschen und englischen Kinotrailer, diversen Schnittresten sowie einer üppigen Bildergalerie wird die Edition komplettiert, die in jede Filmsammlung wandern sollte – allzu lange Zeit sollte man nicht verstreichen lassen, ist die Auflage doch auf 1000 Einheiten limitiert und daher wohl bald ein rares Sammlerstück. Eine wichtige, mutige, mustergültige Veröffentlichung.
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Jet Generation | BRD 1968 | Regie: Eckhart Schmidt | Darsteller: Dginn Moeller, Roger Fritz, Jürgen Draeger, Lukas Ammann, Rainer Basedow, Isi ter Jung
Anbieter:
Subkultur Entertainment