Der Universalkünstler Christoph Schlingensief hätte 2020 seinen sechzigsten Geburtstag gefeiert, vor nunmehr zehn Jahren ist er gestorben. Um den umstrittenen Film- und Theaterschaffenden noch einmal zu würdigen, erinnern wir an seine kontrovers diskutierte Kunstaktion „Ausländer raus“, die vor nunmehr runden zwanzig Jahren bei den „Wiener Festwochen“ stattfand. Österreich war zu jener Zeit in Verruf geraten, denn der amtierende Ministerpräsident hatte ein europaweites Tabu gebrochen – seine Partei ging mit der extrem rechtskonservativen FPÖ ein Bündnis ein. Schlingensief ließ sich bei der Aktion vom Reality-TV inspirieren. Das Ergebnis war ein Container, in dem eine Gruppe echter Asylsuchender rund um die Uhr kameraüberwacht wurde. Per Internet konnte man diese weltweit beobachten und jeden Tag einen weiteren Bewohner zur Abschiebung nominieren. Alle sprangen drauf an. Die konservativen Medien, allen voran die Kronenzeitung, und auch die FPÖ propagierten lautstark gegen die Aktion. Aber auch linke Gruppen meldeten sich zu Wort. Nicht zu vergessen die Proteste und Diskussionen der Zuschauer vor Ort.
Der Filmemacher Paul Poet erstellte aus dem Material den Dokumentarfilm AUSLÄNDER RAUS! – SCHLINGENSIEFS CONTAINER. Der Film ist nicht nur das Protokoll einer Kunstaktion, sondern schildert auch den Entwicklungsprozess der öffentlichen Meinungsbildung. Er gewann mehrere Preise, unter anderem den Images Award in Toronto. Anlässlich der 2005 erfolgten DVD-Veröffentlichung sprachen wir im August desselben Jahres mit Schlingensief.
Herr Schlingensief, was waren Ihre Beweggründe für diese Aktion?
Der Chef der Wiener Festwochen fragte mich, ob ich was bei den Festwochen mache. Er hatte auch schon von meiner Partei und anderen Sachen von mir gehört. Ich sagte, dass es extrem klasse wäre, weil ich wegen der Verbindung zwischen Herrn Schüssel und der FPÖ, der Partei von Herrn Haider, eine extreme Kraft empfinde, was dagegen zu machen. Sich wieder auf die Bühne zurückziehen, auf der Bühne dagegen Stellung zu beziehen, ist mir immer ein bisschen wenig. Lieber dann in den öffentlichen Raum und schauen, was kann man da machen. Dass es sich vielleicht verselbstständigt und im Sinne von Joseph Beuys zu einer sozialen Plastik wird, die man nicht mehr korrigieren kann. Es gab damals den Big-Brother-Container und es gab in der Zeitung eine Meldung, dass dreißig Inder in einem Container erstickt waren. Diese Sachen haben im Kopf ausgelöst, dass ich gesagt habe, man müsste jetzt mit dem österreichischen Wähler das durchziehen, was die FPÖ auf ihren Wahlplakaten hatte. Also man müsste Slogans wie „Ausländer raus!“ eigentlich mal realisieren und durchspielen.
Sie durften Ihren Container direkt neben der Oper, also an einem sehr zentralen Ort aufstellen. Wie kam es dazu?
Es gab plötzlich den Ortsvorsteher Herr Schmitz, der wusste glaube ich gar nicht so recht was los ist und hat uns dann plötzlich einen Platz direkt neben der Oper gegeben. Mitten in Wien, da wo die ganzen Touristen, die Japaner mit ihren Bussen ankommen. Er sagte: „Hier können sie stehen.“ Das war dann der Punkt, der für alle unglaublich war. Er war kein Sympathisant, er wollte nicht FPÖ und ÖVP beschädigen,. Er hat wie vom Blitz getroffen, in Gottes Gnaden oder in geistiger Umnachtung, man weiß es ja manchmal nicht genau, uns diesen Ort gegeben. Da wurde dann ein Container aufgebaut. In diesem Container waren zehn Asylbewerber, die wir wirklich aus dem Asylbewerberheim hatten. Drei waren allerdings schon anerkannt, die durften schon studieren. Die sind unter falschem Namen eingezogen. Der Österreicher konnte dann jeden Tag per TED-Telefonnummer seinen Ausländer bestimmen, den er aus dem Land schmeißen will. Das wurde dann abends um acht Uhr praktiziert. Es kamen dann Paten für diesen Mann, das waren mal Gysi oder auch Jelinek. Dieser Asylbewerber wurde dann am Abend und mit Blaskapelle in eine Limousine gesetzt und aus dem Land geschmissen. Das unter dem Jubel aber auch Protest von Menschen.
Für heftige Tumulte sorgte Ihr Plakat mit der Aufschrift „Ausländer raus“…
Das Schild auf dem Container war der Hauptaspekt der Störung. Das war jetzt für die Regierung schon mal ein großes Problem. „Was machen wir mit dem Schild da oben? Wenn wir es abhängen, dann haben wir dem Schlingensief einen Gefallen getan. Dann haben wir Schwäche gezeigt und es nicht genug ignoriert. Auf der anderen Seite, wenn wir es hängen lassen, haben wir die Katastrophe, dass die Japaner aus den Bussen kommen und die Reiseleitung fragen, was das da oben heißt. Das ist auch oft passiert. Die Japaner, Engländer und Franzosen waren hellauf entsetzt, dass da so ein Schild mitten in der Stadt steht. Somit hat sich dieser Container dann über sechs Tage aufgeladen. Es kam zu Anschlägen, Schlägereien. Die Regierung wollte nicht reagieren, hätte reagieren können. Egal was sie gemacht hat, sie war eigentlich schachmatt. Das hat alle in der FPÖ natürlich auf den Plan geholt. Es hat aber auch einen Großteil junger Leute mobilisiert, die dann in einer Gewaltaktion am Donnerstag den Container gestürmt und das Schild zerstört haben, dann aber nachher die Erkenntnis hatten, dass sie jetzt eigentlich den Job der Regierung gemacht haben.
Was empfinden Sie heute, wenn Sie an die Aktion zurück denken?
Das ist ein großes Filmstudio gewesen. Eine komische Installation, die man nicht sofort begriffen hat. Wo man nur dachte: „Wie kann so etwas plötzlich im offenen Raum geschehen, da wo man normalerweise einkaufen geht?“ Normalerweise findet so was am Flughafen statt, im Wald oder in irgendwelchen Abschiebeheimen, auch in Deutschland, wo man es nicht sieht. Hier ist es plötzlich im Zentrum und was ist jetzt?
Im Film unterstellt Ihnen die Kulturbeauftragte der FPÖ, dass Sie diese Aktion nur durchgeführt haben, weil Sie auf eine möglichst provokante Reaktion aus waren.
Also ich finde sogar, das ist einer der Höhepunkte dieses Films und in diesem Film gibt es viele Höhepunkte. Nicht nur da wo die Bevölkerung ausflippt, sondern auch da wo ich ratlos oben stehe und sehe, wie die Ereignisse sich verselbständigen. Der Moment wo die Kulturbeauftragte der FPÖ plötzlich schrie: „Sie sind gekauft und sie wollen das alles nur zur Selbstdarstellung.“ Das ist natürlich genau die richtige Frau und die richtige Partei, die das gesagt hat. Es gibt immer diesen Abwehrmechanismus. Es gibt eine wunderbare Diskussion mit Joseph Beuys. Irgendwo schreit dann da ein Politiker „Man, ziehen sie erst mal den Hut ab.“ Die eigentlich dafür Verantwortlichen suchen jemanden, der es nur für seine eigene Eitelkeit macht. Dass Politik fast ausschließlich aus eitlen Entscheidungen besteht, das ist nicht nur bei der FPÖ so. Das ist auch jetzt bei Schröder und seinem Rücktritt und auch bei Frau Merkel so. Bei allem, es gehört nun mal dazu. Wenn dann so eine Aktion im öffentlichen Raum Wirkung zeigt, muss man jemanden haben, der es nur für sich macht. Dazu war aber die Aktion zu groß und komischerweise war auch Österreich als Person viel zu sehr involviert.
Wie bewerten Sie als initialgebender Künstler ihre Rolle bei dem Spektakel?
Das Tolle an dem Ding war, dass ich zum ersten Mal meine Person nicht so richtig mochte. Bei meiner Partei stand ich an jedem Mikro, ich habe alles erklärt. Ich bin halt der Wählbare, der aber die Selbstwählbarkeit des Wählers propagiert. Also wähle dich selbst, indem du Schlingensief wählst. Das ist natürlich völliger Unfug. In Wien war es so, dass die Ereignisse so dermaßen selbstständig wurden, dass ein Herr Schlingensief nur ein Partikelchen war, das da rum stand. In Wirklichkeit haben die Leute es selber ins Leben projiziert und erweitert. Es war für mich immer der Begriff „Schneller Brüter“. Das Ding ist losgerast und hat gebrannt wie Brennstäbe. An die Entsorgung hat in dem Moment auch keiner gedacht. Es war eine kleine Atomexplosion, nicht mehr kontrollierbar. Ein kleines Tschernobyl mitten in Österreich.
Es ist wirklich auffällig, dass Sie bei dieser Produktion mit fortschreitender Dauer vom Agierenden zum Reagierenden werden. Je weiter sich die Aktion entwickelt und je mehr sie zu einer eigenen Dynamik findet, umso mehr tritt auch ihre Person in den Hintergrund. Wie kamen Sie mit dieser neuen Rolle zu Recht, denn normalerweise sind Sie ja der Ton angebende Künstler?
Nein, würde ich gar nicht sagen. Ich finde den Satz von Dieter Roth ziemlich interessant und wichtig. „Ich baue einen Zug und nehme Leute mit in diesen Zug. Ich hoffe, dass der Zug auch weiterfährt und dass ich irgendwann aussteige und dann fährt der Zug auch weiter.“ Oder Murnau sagt: „Ich trete in meinen eigenen Film ein.“ Das sind alles solche Sachen und die sind ganz wichtig, die sind aber immer getrennt. Auch bei Bildern an der Wand sagt man: „Da protestiert jetzt ein Künstler.“ Ich habe immer als Sehnsucht gehabt, dass meine Filme sich verselbstständigt haben. Als Kind schon, wenn ich Super-8-Filme gemacht habe, dann wurden die auf die Mattscheibe projiziert und ich habe den Ton vom Fernsehen als Ton für den Film genommen, weil ich keinen Ton hatte. Ich musste also immer schon damit leben, dass dann plötzlich der Ton von BEZAUBERNDE JEANNIE oder FUZZY DER BANDITENSCHRECK unter meinen Filmen lief. Mal war das klasse und passte ganz synchron, mal nicht. Ich konnte das auch nie wiederholen.
Jede künstlerische Aktion ist im Grunde nicht mehr reproduzierbar, denn die äußeren Umstände ändern sich ständig.
Das ist es ja, was ich an Beuys oder an Roth und an der Kunst im besten Falle noch mag, wenn sie sich verselbstständigt. Ich erkläre meine Sachen auch gerne und erzähle manchmal auch Blödsinn, das gebe ich gerne zu. Ich lache auch gerne und bin trotzdem nicht nur auf dem Spaßvogelsektor unterwegs. Gerade die Dynamik im Leben und da wo ich meine Energien herziehe, da wo letztlich jeder Künstler seine Energien hernimmt, sich irgendwo zu reiben, wieder zu finden und sich auch artikulieren zu dürfen, die nehme ich einfach wahr. Wenn sie mir dann jemand aus der Hand nimmt, dann ist er vielleicht auch in dem Zug, der dann von mir losgeschickt wurde, eingestiegen. Wenn er dann das Steuer übernimmt, muss ich eben auch mit diesem Zustand zu Recht kommen. Das belebt die Sache. Es ist letzten Endes ein Ausdruck von Leben und nicht von Stillstand und Größenwahn. Die Politik, die lässt mich nur pseudoteilnehmen. Politik lässt mich nur mit einem Kreuzchen an der Lösung der Probleme durch die Wahlprogramme teilnehmen. In dem Moment. wo ich abgegeben habe, ist meine Stimme auch weg. Das ist etwas ganz anderes. Gerade die Politik hat sich in den letzten Jahren zum größten Theater aufgespielt und hat dem Theater den Job weggenommen. Die kommt jetzt auch an einen Punkt, wo man sagt: „Gysi, Lafontaine sind alles nur Selbstdarsteller.“ Wenn man dann Frau Merkel sieht: „Die ist gar nicht Vertreterin des Ostens.“ Alles ist eine Inszenierung und keiner weiß mehr, wer der Hauptdarsteller und wo die Handlung ist. Wo ist der dramatische Knoten, der durchschlagen werden muss? Wer zieht den Schlussvorhang? Gibt es überhaupt einen dritten Akt oder ist dieses Theater schon lange abgebrannt? Das weiß man nicht und das würde man, in meinem Kopf, erstmal als positiv einstufen.
Die DVD „Ausländer raus! – Schlingensiefs Container“ ist noch erhältlich, erschienen ist sie beim Label monitorpop entertainment.
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Ausländer raus! – Schlingensiefs Container | Regie: Paul Poet | Darsteller: Christoph Schlingensief, Elfriede Jelinek, Luc Bondy, Daniel Cohn-Bendit, Gregor Gysi, Peter Sellars, Peter Sloterdijk u.a.
Anbieter: monitorpop entertainment