Vier Männer und ein sizilianischer Engel.

Jedes Land hat seine eigenen Gesetze, gleiches gilt auch für seine Komik – und beides wandelt sich im Laufe der Geschichte; alles hat seine Zeit. Die ‚Commedia all’italiana‘, in den 1950er und 1960er Jahren nicht nur Exportschlager und Grundstein vieler, oft Jahrzehnte währender Kinokarrieren, sondern auch international durchaus anerkannt und wertgeschätzt, war so ein Fall ureigenster Komik – erdig, verspielt, mitunter dramatisch, doch immer stilvoll und realistisch. Als in den 1970ern die italienische Filmindustrie aus den mittlerweile ausgezehrten Überresten ein neues Subgenre entwickelte, geschah dies nicht zuletzt aus zeitgeschmacklichen Gründen – der veränderten Gesellschafft, der neuen Lebensfreude mussten auch die Filmemacher Rechnung tragen. Diese heutzutage als ‚Commedia sexy all’italiana‘ rubrizierte Spielart verband die einst gängigen Erzählungen um humoristische Brechungen dramatischer Situationen des Bürgertums mit den neuen Möglichkeiten des freizügigen, oftmals zeigefreudig lendenzentrierten Sexkinos à la Cinecittà. Was dabei herauskam war international zwar nicht mehr ganz so angesehen, aber mindestens so erfolgreich – auch in deutschen Bahnhofskinos fanden die mit nackter Haut ausstaffierten Schwänke reichlich Zuschauer. Dass die Filme sich oftmals mehr auf die Kurven einer Gloria Guida und die Rundungen einer Edwige Fenech verließen als eine wirklich solide Geschichte oder gar einen dramaturgischen „roten Faden“ vorweisen zu können, störte die Zuschauer wenig – derb, krachert, manchmal gar dümmlich und oft etwas schäbig, so gingen viele „Flotte Teens in heißen Jeans“ zu Werke.

Regisseur Salvatore Samperi jedoch brachte es mit seinen Werken sogar soweit, ein neues Unter-Genre zu begründen: „Commedia erotica familiare“ nannte sich die Spielart, indem die Themen Erotik und gegenseitiges Begehren in den internen Kontext einer, mitunter gar inzestuösen Bürgertumsfamilie gestellt wurden und somit bei Bedenkenträgern nicht nur aufgrund der Freizügigkeit, sondern auch wegen rechtlich-moralisch zu diskutierenden Verhältnissen Anstoß erregten. Samperi hatte schon mit seinem Kinodebut DES TEUFELS SELIGKEIT (1968) das Genre grundlegend definiert – wer die dort aufreizende Lisa Gastoni übrigens noch nie in Fernando di Leos VERFÜHRUNG EINER SIZILIANERIN (1973) gesehen hat, wo sie sich der kessen Jenny Tamburi geschlagen geben musste, die den bedauernswerten Maurice Ronet zu lasziver Bacalov-Loungemusik auf die Bretter zwang, sollte dies unbedingt nachholen. Doch Samperi legte mit MALIZIA noch einmal zu und ließ nicht nur die begehrenswerte Laura Antonelli zum Star werden, sondern schuf eine persönliche Messlatte, an der ihn die Kritik später immer wieder messen sollte.

Im Hause Don Ignazios (Turi Ferro) ist Trauer eingekehrt, seine Frau hat gerade das Zeitliche gesegnet – noch während im Trauerhause geschäftiges Treiben herrscht und irgendwann das Totendeckchen Feuer fängt, betritt ein neues Dienstmädchen das Tableau. Angela (Laura Antonelli), bildhübsch und voll selbstaufopfernder Nächstenliebe, bringt nach der Beerdigung den Witwerhaushalt in Schwung und wird zum „guten Geist“ für Ignazio und seine drei Söhne Antonio (Gianluigi Chirizzi), Nino (Alessandro Momo) und Enzio (Massimiliano Filoni). Nach kurzer Zeit entbrennt Ignazio in Liebe zu Angela, will das Mädchen zum Altar führen – doch sie macht die Zustimmung der drei Söhne zur Bedingung für ihr Ja-Wort. Der Auftakt zu einer dramatischen Entwicklung, hat doch der pubertierende Nino selbst ein Auge auf Angela geworfen und so entspinnen sich heitere, tragische und teils dramatische Situationen unter der gleißenden Sonne Süditaliens.

Hochgeachtete Schauspieler hatten Samperi für die Rolle des Don Ignazio abgesagt, das Thema sei selbst für Italien „zu heiß“ – Turi Ferro schließlich sagte zu und stellte einen seiner besten Auftritte auf großer Leinwand vor, in der deutschen Fassung noch unterstützt durch die wandlungsfähige Stimme Niels Clausnitzers. Laura Antonelli, bis dahin zwar schon in diversen europäischen Koproduktionen aufgetreten, jedoch quasi nur ein Starlet unter vielen in Cinecittà, wurde durch MALIZIA zum Sexsymbol und zur Kultaktrice – dass ihr weiteres Leben mehr als eine Talsohle für sie bereithielt, konnte noch niemand ahnen, doch MALIZIA erhält sie ewig jung und schön. Ähnliches galt für Alessandro Momo, damals ein Kinderstar und vor einer großen Karriere stehend, der auf tragische Weise einige Jahre später bei einem Verkehrsunfall verunglückte. Insofern lässt ein Wiedersehen mit MALIZIA, die Viten der Darsteller im Hinterkopf behaltend, ganz eigene Gedanken zu.

Samperi führt uns geschickt an der Nase herum, denkt man doch zu Beginn an eine typische „Commedia all’italiana“, mit ihren Spitzen gegen die katholische Kirche, dem fast volksfestartigen zu Grabe tragen der Verblichenen, der herumscharwenzelnden und derb auftretenden Tina Aumont, die den Witwer beizeiten für sich begeistern will, die kindlich-jugendlichen Streitereien der drei nun Halbwaisen. Doch mit dem Auftritt Antonellis – deren Name Angela im Wortsinne passend gerät – verändert Samperi die Blickrichtung der Inszenierung zugunsten einer feinen „Familiendramödie“ aus der sizilianischen Mittelschicht, verbunden mit einer durch die erwachende sexuelle Begierde des mittleren Jungen – hervorragend gespielt von Alessandro Momo – gesteuerten Coming-of-Age-Geschichte. Von den erotischen Einsprengseln abgesehen, die zwar nicht zahm, dennoch stilvoll serviert sind und sich nicht selbstzweckhaft ausnehmen, könnte MALIZIA auch jetzt im Kino laufen. Großen Anteil an dieser Zeitlosigkeit hat die fließende, fast modellierte Kameraarbeit des später Oscar-prämierten Vittorio Storaro, der auch eine gialloesk anmutende Nachtszene meisterhaft einfängt. Fred Bongusto dekliniert derweil sein melancholisches Hauptthema von Tango bis Tanzbeat durch die Stile, die Arrangements seines langjährigen Pianisten, José Mascolo, verleihen dem Score den letzten Schliff – nach der mittlerweile raren Cinevox-LP sollte man sich umsehen. MALIZIA entwickelte sich zum Kassenerfolg und firmiert heute noch als einer der am meisten besuchten Kinofilme in Italien überhaupt, Laura Antonelli und Turi Ferro erhielten 1974 zurecht den Nastro d’Argento.

MALIZIA ist in mehreren Cover- und Ausstattungsvarianten erschienen, wobei der Transfer des Cinemascopebildes auf der Blu-ray derart gelungen anzusehen ist, dass man denkt einen aktuellen Film vor sich zu haben; neben der deutschen Synchronfassung ist naturgemäß der italienische ‚Originalton‘ enthalten. Die Extras gestalten sich übersichtlich; der italienische Originaltrailer ist enthalten, eine mit schmissiger Filmmusik unterlegte, umfangreiche Bildergalerie präsentiert neben Aushang- und Setfotos auch unterschiedlichste, internationale Kinoplakatmotive. Neben weiteren Trailern zu anderen, thematisch verwandten Filmen aus dem Labelportfolio enthält das Mediabook außerdem noch ein interessantes, sechzehnseitiges Booklet.

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Malizia | Italien 1973 | Regie: Salvatore Samperi | Darsteller: Laura Antonelli, Turi Ferro, Alessandro Momo, Tina Aumont, Lilla Brignone, Pino Caruso u.a.

Anbieter: CMV Laservision