Blutiges Kammerspiel royale.

Wer TOXIC INSECTS für einen krabbligen und kribbligen Tier-Horrorfilm hält, liegt falsch. Es geht nur um Menschen. Im Film von Regisseurin Kayoko Asakura kippt der zwischenmenschliche Bereich ins Toxische ab und das gruslig Animalische von Insekten steht als Symbol dafür, wie das Giftelnde der Menschen sich mit einem Mal in von Instinkten getriebene Gewalt wandelt. Dass da vielen Insektenarten, die oft bis zur Selbstaufgabe gemeinschaftlich agieren, Unrecht getan wird (d.h. die Insekten-Metapher nur bedingt funktioniert) sei dahingestellt.

Asakuras Horrorfilm ist ein zwischenmenschlicher. Sieben junge Menschen wachen in einem Gebäude mit Kopfschmerzen auf, offenbar in einem verlassenen Schulhaus – aus dem es keine Möglichkeit zum Verlassen gibt. Im Gegenteil: einer der leeren Räume ist mit einer Countdown-Uhr ausgestattet, die sofort los tickt und durch eine seltsame, an einen Opfertisch gemahnende Objektanordnung ergänzt wird. Silberner Tisch, grosse Pfanne, ein Messer an einer Kette – eine seltsame Kombination. Und eine Beobachtungskamera. Nicht nur eine, wie sich schnell herausstellt: Das gesamte Schulhaus wird überwacht.

Wir wissen nicht, wer das «Spiel» initiierte, nicht, wer hinter den Kameras zusieht und nicht, was die Objekte bedeuten. Bis einer der Jungs, Journalist, vorgibt, Bescheid zu wissen. Die Versuchsanordnung, in der sie gefangen seien, sei «Kodoku» – ein beliebtes Todesspiel von Schamanen: Schamanen sperren giftige Insekten in einen Raum. Die Insekten sollen sich innerhalb von sieben Tagen umbringen, bis nur noch eins übrig bleibt. Und tatsächlich: die Countdown-Uhr zählt sieben Tage zurück.

Natürlich ahnen wir mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, dass sich die Schicksalsgemeinschaft nicht sieben Tage zurückzieht und Friede-Freude-Eierkuchen zelebriert, sondern, dass Konflikte ausbrechen. Hunger ist dabei der Auslöser und es entwickelt sich ein BATTLE ROYALE-ähnlicher Plot im Kammerspiel-Format. Emotionen, die sich Bahn brechen. Unterdrückte Begierden, unerwartete Leidenschaften, unerwiderte Liebe – vieles hat mit «Teenage Angst» zu tun. Und ja, vieles endet blutig, weil die Hemmungen fallen. «In drei Tagen sind wir alle tot, ich kann doch jetzt machen, was ich will.» Und Teenager sterben durch Teenagerhände.

Gehört der Journalist zu der Macht, welche die Versuchsanordnung fabrizierte? Er fühlt sich jedenfalls dazu berufen, Öl ins Feuer zu giessen. «Meine Aufgabe ist es, das Gift zu erwecken.» Tatsächlich spielt er eine Sonderrolle, genauso wie Reij, der entspannte, begehrte Junge, der von Nachtclubhostess Akane im WC verführt wird, später von einer eifersüchtigen Studentin angegangen wird.

Natürlich spitzt sich die Situation umso stärker zu, je weniger Überlebende die Gänge bevölkern. Manches ist absehbar und TOXIC INSECTS mag kein Meisterwerk sein, doch der Film ist einiges besser als sein 3,9-Punkterating auf imdb.com uns Glauben machen will. Regisseurin Kayoko Asakura hat sich genau überlegt, was etwa an BATTLE ROYALE nicht so gut war (nämlich die Personencharakterisierung) und darauf mit geringem Budget einen anständigen, blutigen Horrorfilm abgedreht. Da sind schüchterne Jungs wie der reiche Sohn Taichi oder der arbeitslose Toshio, die schnell mal an Vergewaltigung denken, wenn sie losgelassen. Da ist die schüchterne Studentin, die schmachtet und leidet. Oder Michika, der sich als völlig anderer entpuppt, als man denkt. Sie haben alle ihre Geschichten, die teilweise in Alpträumen erzählt werden.

Die DVD von Midori Impuls liefert leider lediglich einen Trailer mit, dafür aber ein Booklet mit einem kurzen Text von Thorsten Hanisch, in dem er TOXIC INSECTS mit Jean-Paul Sartres Theaterstück «Geschossene Gesellschaft» vergleicht, aus dem Sartres berühmtes Zitat «Die Hölle, das sind die anderen» («L’enfer c’est les autres») stammt. Ein interessanter Vergleich, der durchaus passt. Etwas länger gestaltet sich das Interview mit Regisseurin Kyoko Asakura im Booklet, deren offensichtliche Leidenschaft für Horrorfilme auf weitere interessante Filme aus dem Gruselgenre hoffen lässt.

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Documushi | Japan 2016 | Regie: Kayoko Asakura | Darsteller: Ryouta Mourai (Reiji) Rina Takeda (Akane), Shintaro Akiyama (Aukitoschi), Kyoka Minakami (Yumi), Kiyotaka Uji (Toshio), Mao Noguchi (Michika)

Anbieter: Midori Impuls