Ein Hai sieht rot.

Ist Regisseur Jaume Collet-Serra der neue Renny Harlin? Ein Actionregisseur, der es (immer wieder) schafft, das bekannte Genre vital zu beleben? Das hat er bisher jedenfalls in mehreren Filmen bewiesen, selbst wenn einige mit praktisch identischer Dramaturgie funktionieren. THE SHALLOWS im Jahr 2016 war eine schöner Ausreißer in der langen Reihe der Liam-Neeson-Actionfilme UNKNOWN (2011), NON-STOP (2014), RUN ALL NIGHT (2015) und THE COMMUTER (2018).

Inhaltlich ist THE SHALLOWS nicht so raffiniert psychologisierend angelegt, sondern geradeaus: Eine lineare Geschichte, ein Ort, eine Hauptperson (mit Nebenperson, einer Möwe mit dem Namen Steven Seagull), ein Widersacher (ein Hai). As simple as that.

Nancy (Blake Lively) hat ihr Medizinstudium fallen gelassen, unter anderem, weil sie den Tod ihrer Mutter nicht richtig verarbeiten kann. Darum wohl besucht sie die verlassene Bucht zum Surfen in Mexiko, die 1991 bereits ihre Mutter aufsuchte. „Mum’s beach“, meint denn auch ihre Schwester über Facetime. Nachdem ihr die Freundin übers Smartphone kurzfristig mitteilt, dass sie nicht komme und die beiden heimischen Surfer sie vor der Bucht warnen, bevor sie sich nach Hause verabschieden, ahnen wir: Die psychische Reinigung von ihren inneren Konflikten, dem Mutterverlust und dem Studiumsabbruch, wird mit viel Lebensgefahren, Furcht und körperlicher Anstrengung verbunden sein. Soweit die ein wenig psychologisierende Backstory.

Den einheitlichen Ort, den Collet-Serra so liebt, beschränkt er hier auf ein paar Meter Traumstrand und Meer. Begeistert macht sich Nancy auf in die Wellen, und scheint beim Surfen alles zu vergessen. Doch als die Sonne sich langsam Richtung Untergang neigt und Nancy noch ein paar Wellen einfängt, wird sie plötzlich von einem Hai angegriffen und verletzt und kann sich in letzter Sekunde auf den Kadaver eines Buckelwals retten (was durchaus eklig ist). So nimmt der Film seinen Lauf: Nancy sucht Möglichkeiten, an Land zu gelangen, wird aber von dem Haifisch belagert. Sie muss sich zu helfen wissen, um dem Angriff aus den Untiefen des Strandgebiets zu entkommen (ihr Unbewusstes) und schafft dies meist nicht mit natürlichen Dingen, sondern den wenigen Objekten, die von Menschenhand gemacht wurden. Reste des Surfboards, ihrer Kleidung und ein paar Überraschungen. Ausnahme: ein Schwarm Quallen.

Anyway, was Nancy vor dem Tod rettet, ist – wie so oft in diesen Filmen – die menschliche Kreativität, die in aller Übertriebenheit zeigt, was den Unterschied zum Raubtier ausmacht. Wobei es durchaus Sinn macht, dass auch der Haifisch ein gewisses Mass an Cleverness aufweist – schließlich ist in den letzten Jahrzehnten ein unerwartet hohes Maß an Intelligenz von Tieren von der Wissenschaft belegt worden. Darum darf Blut in Massen fließen. Muss es auch, damit sich der Hai so richtig zu Höchstleistungen animiert fühlt – und Nancy zeigt sich überaus zäh und kampfesbereit.

THE SHALLOWS ist mehr als nur eine Fingerübung oder einfach ein gutes B-Movie. Der Film geht in einem Zug durch, verliert nie an Spannung und kann mit Horror-im-Meer-und-mit-Haifischen-Filmen wie Renny Harlins DEEP BLUE SEA (1999) oder Philip Noyces DEAD CALM (1989) mithalten.

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The Shallows, USA 2016 | Regie: Jaume Collet-Serra | Drehbuch: Anthony Jaswinsky | Musik: Marco Beltrami | Kamera: Flavio Martinez Labiano | Darsteller: Blake Lively, Oxcar Jaenda, Angelo Josue Lozano Corzo, Jose Manuel Trujillo Salas | 87min.