Americana mit elektronischen Untertönen.

Der Sinn von Flohmärkten ist das Flanieren und Entdecken. In der heutigen Zeit der Circular Economy ist zweiteres nicht mehr so einfach, weil viele schöne Dinge viel zu schnell weg sind – vor allem, wenn man Schallplatten sucht und nicht allzu impertinente Preise zahlen will. Umso schöner, wenn – wie neulich – ein Album von Barry Adamson in einer Grabbelkiste herumliegt. Sein Soundtrack zum frühneunziger Neo-Noir-Thriller DELUSION (1991) mag liegen geblieben sein, weil es ein Soundtrack ist – doch Barry Adamsons Alben klingen ja alle wie Soundtracks, auch die regulären. Darum ist ein Adamson ein Adamson, ob Soundtrack oder nicht. Zeit also, ihn etwas zu würdigen.

Barry Adamson war Mitbegründer so wichtiger (und musikalisch interessanter) Bands aus der frühen englischen Punk-/New Wave-Szene wie Magazine (die er mit Ur-Buzzcocks-Sänger Howard Devoto gründete) und Visage (ja, die! Devenir gris, „Fade to grey“). 1982 stieg er dann bei Nick Caves Band The Birthday Party ein und spielte danach in Caves Nachfolgeband The Bad Seeds. Das entpuppte sich als idealer Nährboden, um sich auch als Solokünster in Szene zu setzen, denn schließlich waren die Bad Seeds auch durch ein wunderbares Netzwerk geprägt, das von Bandmitglied Blixa Bargeld zu den Neubauten weiterführte und sich vom Plattenlabel Mute bis zu Depeche Mode und weiter erstreckte. Inklusive vieler Freunde und Bekannter. Nicht zu vergessen Anita Lane, die immer wieder mit Bad-Seeds-Musikern zusammen arbeitete.

Schon auf seinem ersten Solo(mini)album „The Man with the Golden Arm“ (1988) zeigte er, dass er eine ganz eigene musikalische Vision hatte. „The Man with the Golden Arm“ klang wie Filmmusik zwischen Morricone, Jazz und Bond-Soundtracks, aber modernisiert durch Dubeffekte und Industrial Sounds. Wer jetzt eine frühe Form von Big Beat gesagt hat, liegt nicht falsch.

Sein erstes Album „Moss Side Story“ war denn auch aufgemacht wie ein Filmsoundtrack, nicht wie ein Pop-Album. Er hat seine Mischung an Klangideen und Einflüssen weiter bearbeitet, aber auch bereichert (z.B. durch klassisch-orchestrale Hollywoodsounds und Pianoeinlagen), so dass ein Album voller unterschiedlicher Stimmungen und ungehörter Klangmischungen entstanden ist. Musikalisch extrem vielseitig und innovativ. Als eine Art Weiterführung (und manchmal Wiederholung) kann das Folgealbum DELUSION gelten. Dieses Mal ein richtiger Soundtrack, der sich etwas mehr in die Magie kaktusbewachsener und totenschädelgezierter Gegenden der USA begibt. Ohne den Film gesehen zu haben (aber den Trailer): Diese Musik dürfte sehr gut funktionieren für einen Neo-Noir-Film in Wüstenregionen à la John Dahl (KILL ME AGAIN (1989), RED ROCK WEST (1993)) oder Dennis Hoppers HOT SPOT (1990). Nicht nur die Westernparts, sondern auch die seltsam verfremdeten, die Tonhöhe wechselnden Sounds wie in „Got to bet to win“ oder die extremen Tusch-Einsprengsel in „The Track with no Name“. Das Finale „Death Valley Junction“ besticht durch seine Dramatik. Zusammen mit dem Film intensivieren sich die Musikstimmungen tatsächlich noch.

Vor allem die zweite Seite des Albums überzeugt: „Fish Face“ ist dann ein etwas banalerer Aufguss des verfremdeten Latin-Sounds, der in „Moss Side Story“ unter dem Titel „Under Wraps“ jazzig-cool daherkam – das kommt dann besser im zweiten Teil von „Go Jonny“. Und den Klassiker „La Cucaracha“ katapultiert er dann in typischer Weise mit verfremdeten Sounds und schrägen Bläsern in düsterere musikalische Sphären. Hier blitzt sein Talent auf, ebenso wie in er Westernmelodie „Diamonds“ mit typisch schleppendem Adamsonbeat. Abgerundet wird der Soundtrack schließlich durch die verdammt coole Version von „These Boots are made for Walking“, gesungen von Anita Lane. Schläfriger Rhythmus, tolle dramatische Sounds, orchestrale Einsprengsel.

DELUSION mag nicht Adamsons bestes Werk sein, hat aber genügend spannende Ideen, um Vergnügen zu bereiten. Etwas ärgerlich sind lediglich die eingestreuten Filmdialoge, wie überhaupt der Film selber nicht die besten Kritiken erhielt. Für Adamson wurde der Soundtrack allerdings zum Sprungbrett: In der Folge erarbeitete er unter anderem Tracks für die Soundtracks zu GAS, FOOD, LODGING (1992), NATURAL BORN KILLERS (1994), LOST HIGHWAY (1996) und THE BEACH (2000).

___________________________________________________________________

Delusion | USA 1991 | Regie: Carl Colpaert | Kamera: Christopher Walters | Musik: Barry Adamson | Darsteller: Kim Metzler, Jennifer Rubin, Kyle Secor u.a. | Laufzeit: 93min.

Land:
Jahr: