Horrorkrimi: Dr. Patrick Cory, Landarzt im kalifornischen Green Valley, experimentiert mit Affenhirnen. Seine liebende Gattin Janice würde Versuchsäffchen Nummer 5 gern zum Schmusen behalten, aber die Wissenschaft fordert nun mal ihren Tribut. Selbst ein Alkoholiker wie Pat Corys bester Freund, der Chirurg Dr. Frank Schratt, kann sich hier noch nützlich machen. Schon liegt das entnommene Affenhirn in einer Nährlösung, und dabei geht’s ihm sogar ausgesprochen gut! Als in der Nähe ein Flugzeug abstürzt, versucht Pat Cory, den einzigen Überlebenden zu retten, den Millionär Warren Horace Donovan. Doch der stirbt ihm unter den Händen weg. Als Pat entdeckt, dass dessen Gehirn noch lebt, kommt ihm eine unheilvolle Idee… Kollege Frank ist das nicht geheuer, aber dann liegt auch das Hirn des Mr. Donovan in einer Nährlösung, wächst und gedeiht – und scheint irgendetwas auszubrüten. Nur was? Pat will es unbedingt herausfinden! Und bringt damit Janice, Frank und sich selbst in äußerste Gefahr…
So fürchterlich viele Gehirn-im-Glas-Filme gibt’s ja gar nicht, dafür ist der Horror eines extrahierten Hirns zu statisch und zu gesichtslos: Das Ding schunkelt ein wenig im Aquarium hin und her, und böse gucken kann es auch nicht. Kaum verwunderlich, dass der bekannteste Beitrag zu diesem Horror-Sci-Fi-Untergenre eine absichtlich klamottige Parodie ist: DER MANN MIT ZWEI GEHIRNEN (THE MAN WITH TWO BRAINS, USA 1983), ausgeheckt von den Komikgenies Carl Reiner (Regie) und Steve Martin (Hauptdarsteller). Andere Beispiele sind mehr oder minder (meist minder) getreue Verfilmungen des 1942 erschienenen, gleichnamigen Romans des legendären (exil-) deutschen Autors Curt Siodmak (1902–2000), zum Beispiel: THE LADY AND THE MONSTER (USA 1944, R: George Sherman) oder EIN TOTER SUCHT SEINEN MÖRDER (VENGEANCE / THE BRAIN, GB/BRD 1962, R: Freddie Francis), und selbst Trashgranaten wie DIE NACKTE UND DER SATAN bzw. DES SATANS NACKTE SKLAVIN (THE HEAD, BRD 1959, R: Victor Trivas) oder UNGEHEUER OHNE GESICHT (FIEND WITHOUT A FACE, GB 1958, R: Arthur Crabtree) dürften ohne die „Vorarbeit“ von Curt Siodmak kaum möglich gewesen sein.
Was auffällt: Alle diese Filme (außer der Parodie) sind B- und C-Filme, die höheren Weihen eines Hollywood-A-Films hat der Stoff nie empfangen. Auch die vorliegende Verfilmung von 1953 macht da keine Ausnahme, besitzt technisch aber ein hohes Niveau (Kameramann ist der spätere Oscar-Preisträger Joseph F. Biroc) und gibt sich aller Phantastik zum Trotz ganz ernsthaft. Regisseur Felix Feist, einer der „Kings of the B’s“ und bei Insidern berühmt für seinen (lange verschollenen) Katastrophenfilm DELUGE (USA 1933), hält sich in seinem Szenario erfreulich eng an die Vorlage und berührt dabei Fragen wie: Ab wann ist der Mensch wirklich tot? Was ist noch Gedächtnis, was schon Seele? Darf der Mensch in die Schöpfung eingreifen, oder soll er es sogar? Philosophische Tiefe oder wissenschaftliche Selbstkritik sollte man trotzdem nicht erwarten. DONOVAN’S BRAIN ist pulpiger Horrorstoff, der nicht wirklich weiß, wozu das Experiment eigentlich nütze sein soll, und der am Ende auch keine andere Erklärung hat als: So sind sie halt, die Forscher!
Stattdessen (Spoiler-Meider sollten jetzt besser aussteigen und sich einfach den Blu-ray-/DVD-Doppelpack kaufen) schwenkt die Story auf das Drama einer Besessenheit um – und liefert auf dieser Ebene ganz wunderbaren Psychogrusel, getragen vom großartigen Lew Ayres: Der Hauptdarsteller des legendären Antikriegsfilms nach Erich Maria Remarque IM WESTEN NICHTS NEUES (USA 1930, R: Lewis Milestone) ist alsbald nicht nur der allzu wissbegierige Dr. Patrick Cory, sondern wird – ferngelenkt von Donovans Gehirn – zu dessen Wiedergänger, um auf Erden seine teuflische Agenda weiterzutreiben. Corys Frau Janice – gespielt von Nancy Davis und spätere First Lady Nancy „War on Drugs“ Reagan – spricht an einer Stelle von DR. JEKYLL UND MISTER HYDE, ich sehe aber auch eine gewisse Ähnlichkeit mit dem (leider ziemlich vergessenen) Horrorklassiker SVENGALI (USA 1931, R: Archie Mayo). So überzeugt Lew Ayres denn als gespaltene Persönlichkeit: als der Allgemeinheit verpflichteter Arzt und Naturwissenschaftler einerseits und egomanischer Kapitalist andererseits, als Herrscher über Leben und Tod, wie als Marionette eines bösen Geistes…
Überhaupt geht es bei allen drei Hauptfiguren um Abhängigkeiten und deren Überwindung: Patrick muss die Ketten seiner hypnotisch-telepathischen Versklavung sprengen, Kollege Frank seine Alkoholsucht überwinden und Janice ihre, nun ja, schwer belastete Ehe retten… DONOVAN‘S BRAIN ist auf seine Art ein Klassiker, zwar nur ein kleiner Klassiker, aber immerhin. Er ist ein „missing link“ zwischen dem Transplantations-Überklassiker FRANKENSTEIN (USA 1931, R: James Whale) und modernen „Undenkbarkeiten“ wie z.B. der Artificial-Intelligence-Dystopie TRANSCENDENCE (USA 2014, R: Wally Pfister). Oder einfach nur ein kleiner, feiner, toll gespielter Fantasykrimi, der damals wie heute irritiert, amüsiert, fasziniert. Größter Fan der Romanvorlage ist übrigens Stephen King, und der muss es ja wissen.
Wie alle Filme aus der „Galerie des Grauens“ von Anolis ist auch dieser wieder liebevoll editiert. Den Film selbst gibt es in drei Versionen zu sehen: a) die 1992 erstaufgeführte deutsche TV-Fassung, b) den Komplettschnitt, bei dem bislang fehlende Szenen wieder eingefügt und untertitelt wurden, sowie c) die stimmungsreichere Originalfassung. Das farbige Booklet, getextet von Dr. Rolf Giesen, ist wieder vorbildlich, und der Kommentartrack, den er zusammen mit Volker Kronz einspricht, steckt wie gewohnt voller Überraschungen: Giesen hat Curt Siodmak persönlich gekannt und weiß erneut mehr als die üblichen Geschichtsschreibungen.
Erfrischend und erhellend, wie er landläufigen Hollywood-Legenden oder Babelsberg-Märchen widerspricht und selbst die vielen Talente des Curt Siodmak, sagen wir mal, geraderückt. Ein paar der Themen: Der Bruderzwist mit Noir-Genie Robert Siodmak, Karrierekiller Astrologieglaube, die Genese der Grundidee für „Donovan’s Brain“ als Melange aus Dr.-Mabuse-Terror und Boris-Karloff-Horror, Fleischbällchen für Waschbären – oder der erstaunliche Fakt, dass Curt Siodmak das meiste Geld mit einem James-Bond-Film verdiente, an dem er nie beteiligt war. Giesen sprudelt derart über, dass der zusätzliche englische Kurzkommentar zum Teil ganz neue Döntjes enthält. Außerdem im Bonus-Angebot: der tolle US-Kinotrailer und eine Bildergalerie. Wie ich schon sagte: irritierend, amüsierend, faszinierend!
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Donovan’s Brain, USA 1953 | R: Felix Feist | DB: Felix Feist, nach dem Roman von Curt Siodmak | K: Joseph Biroc | D: Lew Ayres, Gene Evans, Nancy Davis, Steve Brodie | Laufzeit: 84 Min.
Anbieter: Anolis Entertainment