Der Bezug zur Story fehlt irgendwie, doch Harper Sykes (Annabelle Dexter-Jones) ist Naturfotografin. Das erklärt wenigstens, weshalb sie sofort einen Fotoapparat bereit hat, als sie in den Wäldern Virginias ein paar Rednecks entdeckt, die einen Mann misshandeln und foltern. Durch ihren Beruf, der Geduld und lange Belichtungszeiten schätzt, erklärt sich wahrscheinlich auch, dass ihre im Stress geschossenen Fotos nicht der Klarheit letzter Schluss sind. Doch das entpuppt sich als nicht so wichtig in diesem kleinen, schnellen Streifen, in dem nach dieser grauenvollen Entdeckung nur noch gejagt und gemordet wird.
Als Harper ins nächstgelegene Städtchen aufs Polizeirevier fährt, gleicht der Ort bereits einer Geisterstadt und sie wird auf nicht sehr rücksichtsvolle Weise samt ihrem Pickup zurück in die Wälder manövriert. Auf den Hof, wo sich eine ausschließlich männliche Hillbilly-Community von ihrer schlechtesten Seite präsentiert und sie an den Beinen in einer Scheune aufhängt. Spätestens hier stellt sich die Frage, ob man sich auch 46 Jahre nach TEXAS CHAINSAW MASSACRE und drei Jahre nach #metoo ansehen muss, wie eine Frau einer Gruppe psychisch gestörter, chauvinistischer Muskelpakete ausgeliefert werden muss? Zumal der Zuschauer aus der Anfangsszene bereits weiss, dass die Frau zwar überlebt, aber kaum sprech- oder bewegungsunfähig und vollständig mit Verband eingebunden im Spital liegt?
Doch bevor man sich zum Abstellen entschlossen hat, geht die Flucht los. Und die Jagd. Und der Gegenangriff Harpers. Und es läuft. Ohne Atempause. Die Spannung zieht sich durch. Und ein paar originelle Tode weiter begegnet Harper in einem alten Kolonialistenhaus dem alten Mallincrkrodt (Bruce Dern), dem „intellektuellen“ (= daherschwafelnden) Vater der Hillbillys, der mit einer Philosophie der Grausamkeiten die Gewalt an den Polizisten des Dorfes und an der Frau Harper legitimiert („Torture is the parameter of a nations creativity“). Ideologisch also eine Tirade auf die ungehobelte Landbevölkerung, dramaturgisch ein schnelles, zeitweise auch originelles Katz-Maus-Spiel zwischen der blonden Naturliebhaberin und den ungehobelten Sadisten, die in der Natur wohnen. Tatsächlich siegt die Kreativität der verwendeten Mittel – doch die liegen bei Harper. Sie ist kreativer, spritzig, gibt nicht auf. Die Jungs haben wieder mal die Frau unterschätzt … jedenfalls bis gegen Ende des Films.
RAVAGE ist rasant und spannend bis zum Schluss. Und definitiv mehr wert als die 4,9 Sternewertung, die der Film zur Zeit auf imdb zählt. Auch wenn die psychotische Landbevölkerung wieder mal auf eine blonde Opferfrau losgeht – als hätte sich die Horrorgeschichte seit den Revenge Movies der 70er Jahre nicht weitergedreht. (Oder – leider – als hätte sich die Welt nicht weitergedreht.)
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Swing Low | USA 2019 | Regie u. Drehbuch: Teddy Grennan | Kamera: Christopher Walters | Musik: Jacques Brautbar | Darsteller: Annabelle Dexter-Jones, Robert Longstreet, Bruce Dern, Michael Weaver, Ross Partridge, Eric Nelsen, Josh Brady u.a. | Laufzeit: 84min.