Blue lives matter.

Schade, liebe Schweiz. Die Schweizer Krimiserie ist auch in ihrem dritten Jahr noch schön und spannend anzusehen, nimmt sich aber leider keine Schweizer Eigenarten mehr zum Thema. Wir wähnen uns auf einmal in einer modernen Krimiserie, die zwar ein anständig hohes europäisches Niveau erreicht mit all den dunklen Szenerien, den Momenten der Stille und den schwer daliegenden, unausgesprochenen psychologischen Zusammenhängen, aber der der speziell nationale Kick abgeht. Wunderschön gedreht im Berner Oberland, dessen schneeweisse Weiten winterliches Great-Plains-Feeling aufkommen lässt und die klaren Symmetrien der Stadt La-Chaux-de-Fonds, die ebenfalls Kameraeinstellungen zulässt, wie man sie aus US-Filmen kennt.

Eine Reihe Polizistenmorde bedroht die Polizei in ihrem Kern. Die Medien schaukeln das gern auf, insbesondere die forsche Jungjournalistin Jenny Langenegger (Anna Schinz), zumal der Täter seine Opfer vor dem Mord filmt und zu einem Geständnis zwingt: Die Polizisten hatten allesamt einen Tod zu verantworten, weil sie als Polizisten überreagierten. Und auf dieselbe Art, wie sie ihre Opfer im Dienst umbrachten, werden sie nun vom Serienmörder getötet. Natürlich will die übereifrige Journalistin damit ein „systemisches Problem“ nachweisen.

But this is not America. Während Gewaltmissbrauch der Polizei wohl in jedem Land vorkommt, ist das doch in der Schweiz viel weniger ein Thema als in den USA. Bestimmt nicht typisch schweizerisch. Jeder TATORT liegt richtiger, wenn er die nationalsozialistische Unterwanderung der Polizei thematisiert (wie neulich wieder in der Folge HEILE WELT mit Anna Schudt), das ginge wohl auch für die Schweiz. Auch wenn die einzelnen Mordfälle teilweise mit Rassismus zu tun haben, bleibt es hier irrelevant (in der zweiten Staffel wurde das Thema, ein durchaus schweizerisches, klarer herausgearbeitet).

Im Zentrum steht ein psychotischer Mann (Michael Neuenschwander), wortkarg wie sein karger Lebensstil, doch von inneren Stimmen getrieben (mehr sei nicht verraten), der schon ab der 2. Folge als Mörder erkennbar ist. Tatsächlich wird seine Geschichte über mehrere Folgen interessant genug erzählt, so dass wir dran bleiben. Wie auch die sich immer vertrackter zuspitzenden Geschichten verschiedener Polizisten aus dem Umfeld von Kommissarin Rosa Wilder (Sarah Spale) und ihrem sperrigen Partner aus der Bundesanwaltschaft, Manfred Kägi (Marcus Signer). Personen werden eingeführt mit traurigen, versteckten Geheimnissen, in denen etwas Schweizerisches dann doch noch zum Zug kommt: Lieber alles unter den Tisch kehren als offen drüber sprechen. Stumme Tischgespräche, panische Augen und Blicke, versteinerte Haltung. Das sind die Momente, in denen die Serie ihre Muskeln zeigt. Ob einsame, leere Bauernhäuser im Schnee, moderne Betonbauten in der Stadt oder die dörfliche Tankstelle – dahinter liegt immer ein unausgesprochenes Drama. Ausgerechnet in dieser Atmosphäre muss die skrupellos-karrieresüchtige Journalistin dazu eingesetzt werden, „Fake News“ zu verbreiten, um dem Täter auf die Schliche zu kommen. Ein dubioses Manöver.

Leider hält die Spannung nicht bis zum Schluss. Genauer gesagt hätte man sich die beiden letzten Folgen der Serie sparen können, denn genau diese unausgesprochenen Dramen werden plötzlich minuziös und verkrampft aufgedröselt, bis die Spannung die Krimiserie verlassen hat.

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Wilder, 3. Staffel | Regie: Jan-Eric Mack | Drehbuch: Bela Batthyany | Kamera: Tobias Dengler | Darsteller: Sarah Spale, Marcus Signer, Michael Neuenschwander, Roland Bonjour, Anna Schinz | Laufzeit: 6x50min.