Psychothriller: Kann man mit einer schönen Frau geschlafen haben und nur eine Viertelstunde später keine Erinnerung mehr daran haben?
Ein übersehenes Kleinod des europäischen Genrefilms (unlängst beim DVD-Anbieter Pidax erschienen) – und Roger Moores Lieblingsfilm unter den eigenen Werken, zeigt es doch, dass der „smarte Luftikus“ dramatisches Potenzial besaß. Natürlich macht es Thrillerkenner extrem misstrauisch, wenn jemand den eigenen Tod überlebt, doch geht es hier zwar auch um die Mechanik einer Suspense-Story, auf anderer Ebene aber sehr wohl um die verhalten satirische Darstellung eines traditionell-konservativen Englands, das sich der liberalen, sexuell befreiten Moderne zu öffnen anschickt.
Ein aktualisierter DR. JEKYLL UND MISTER HYDE, der einen momentweise an Alfred Hitchcocks DER FALSCHE MANN (THE WRONG MAN, USA 1956) und Don Siegels DIE DÄMONISCHEN (INVASION OF THE BODY SNATCHERS, USA 1956) erinnert (tatsächlich stammt Anthony Armstrongs Vorlage „The Strange Case of Mr. Pelham“ von 1957), dazu ein kleiner Schuss Swingin’ London à la Michelangelo Antonionis BLOW UP (BLOW-UP, GB 1966), garniert mit zwei exzellenten Autorasereien und surrealen i-Tüpfelchen, wie sie im selben Jahr auch Claude Chabrol in DER RISS (LA RUPTURE, F 1970) brachte. Anders gesagt: echtes, gutes Kino auf der Höhe seiner Zeit. Und, das ist besonders schön, nicht wirklich vorhersehbar: Kann sich Harold Pelham aus seiner Spießerhölle befreien und dem falschen Ich Einhalt gebieten? Nun, wie dem auch sei: Roger Moore gewinnt immer, ob so oder so.
Nun gäbe es noch einiges zu loben: die fetzig-fette, großorchestrale Filmmusik von Michael J. Lewis, die herrlich outrierte Spielweise von Freddie Jones als sonnenbebrillter Psychiater Dr. Harris, der wohl nicht zufällig an Peter Sellers in Stanley Kubricks DR. SELTSAM ODER WIE ICH LERNTE DIE BOMBE ZU LIEBEN erinnert (DR. STRANGELOVE…, GB / USA 1964), oder die Kameraführung von Tony Spratling, der in einer Szene das kreiert, was man vielleicht einen doppelten „Ballhaus-Kreiseleffekt“ nennen könnte (Rundum-Kamerabewegung bei Eigenrotation einer Figur auf dem Drehstuhl), oder die Regie des legendären Basil Dearden (TRAUM OHNE ENDE / DEAD OF NIGHT, 1945), der weiß, wie man inszenatorische Akzente setzt.
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The Man Who Haunted Himself, Großbritannien 1970 | R: Basil Dearden | DB: Basil Dearden und Michael Relph | K: Tony Spratling | M: Michael J. Lewis | D: Roger Moore, Hildegard Neil, Anton Rodgers, Olga Georges-Picot, Freddie Jones | Laufzeit: 94 Min.
Anbieter: Pidax