Mit ihrem Erstlingswerk RELIC legt Natalie Erika James einen kunstvoll inszenierten Horrorfilm vor
Der Horror des Alterns
In den letzten Jahren hat sich (wieder) vermehrt das Thema des Alterns in das Horrorgenre eingeschlichen. Exemplarisch steht hierfür unter anderem M. Night Shyamalan, der mit THE VISIT (2015) und OLD (2021) gleich zwei Filme zum Thema gedreht hat. In THE VISIT müssen es zwei Kinder mit ihren seltsamen, senilen Großeltern aushalten. Von Nacht zu Nacht wird es unheimlicher und verrückter. Und in OLD altern Menschen an einem Strand dermaßen schnell, dass ihr ganzes Leben quasi an einem Tag an ihnen vorbeizieht – bis zum unerbittlichen Tod. RELIC, der erste Spielfilm von Natalie Erika James, 2020 erschienen, erinnert vor allem an Shyamalans THE VISIT: Der Horror entsteht aus dem Alterungsprozess heraus. Graue zerzauste Harre, zusammenhangloses Sprechen, orientierungsloses Herumirren, absonderliche Angewohnheiten – all das trägt bei beiden Filmen maßgeblich zur unheimlichen Atmosphäre bei.
Ist das Art-horror?
Auch wenn RELIC nicht die Wucht eines HEREDITARY (2018) oder THE WITCH (2015) hat, so hinterlässt der Film dennoch einen bleibenden Eindruck. Ruhiger, besonnener und blutärmer inszeniert als die genannten Horrorfilme von Ari Aster und Robert Eggers, ist das Werk von Natalie Erika James trotzdem dem Subgenre des Art-horrors zuzuordnen. Die Filmemacherin hat eine zentrale Idee bzw. Thematik – die Beziehung einer Mutter und ihrer Tochter zur an Demenz leidenden Großmutter und deren bevorstehenden Tod –, und hat sich dazu entschlossen, kein „gewöhnliches“ Drama zu drehen, sondern diesen Themenkomplex im Gewand eines Horrorfilms umzusetzen, da dieses Genre ihr am besten geeignet erscheint, um die Geschichte dem Zuschauer möglichst nahe zu bringen. Wie andere Filmemacher auch, die sich jeweils an dieses Genre gewagt haben (die genannten Aster und Eggers, aber auch David Robert Mitchell, Jennifer Kent oder Trey Edward Shults), schreibt Erika James die Geschichten selbst – sie liegen ihr sehr am Herzen. In einem Interview mit Forbes hat sie bezüglich RELIC erklärt: „Es ist eine ganz persönliche Geschichte. … Meine Großmutter war selbst an Alzheimer erkrankt. Ich begann mit dem Projekt, als ich sie besuchte, und es war das erste Mal, dass sie sich nicht mehr daran erinnern konnte, wer ich war … und das erste Mal, dass ich das Gefühl hatte, dass jemand, der dir immer nur mit Liebe begegnet ist, dich plötzlich wie jemand Fremdes wahrnimmt.“
Adrian Gmelch ist Autor des Filmbuches „Die Neuerfindung des M. Night Shyamalan“ (Büchner, 2021) und beschäftigt sich vor allem mit dem Horrorgenre im Film.
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Relic | Australien 2020 | Regie: Natalie Erika James | Drehbuch: Natalie Erika James, Christian White | Kamera: Charlie Sarroff | Musik: Brian Reitzell | Darsteller: Robyn Nevin, Emily Mortimer, Bella Heathcote, Chris Bunton, u.a. | Laufzeit: 89 Min.