Von kessen Kätzchen, küssenden Wölfen und kratzenden Vampiren.

James Bond füllt alle Kinokassen, LUCKY M. FÜLLT ALLE SÄRGE. Nachdem der Welt berühmtester Geheimagent auf den Filmtheaterleinwänden rund um den Erdball für ekstatische Freuden sorgte und den Eskapismus der Sixties auf die chauvinistische, actionorientierte Spitze getrieben hatte, schossen überall die Epigonen aus den Erdböden der Filmstudios. Auch Jess Franco blieb nicht untätig und verfertigte mit dem eingangs erwähnten Buddy-Eurospy-Actioner behände ein kleines Meisterwerk des B-Movies. Auf den Geschmack gekommen und mit neuen Produktionspartnern im Rücken dachte sich der gute Jess: „Was ist besser als ein spionierender Sexprotz? Natürlich zwei spionierende Sexgöttinnen“. Gesagt, getan – die „Roten Lippen“ lassen bitten.

Natürlich ist die Grundgeschichte, die Franco hier wie so oft selbst hier fabulierte, kein Stein der Weisen. Die Sache mit dem Werwolf griff zurück in die mottengesäumte Trickkiste alter Universal-Horrorfilme, die ‚“ebensechte“, in Kunst ausgeführte Darstellung von Menschen in Todesangst vermählte Grundideen aus DAS GEHEIMNIS DES WACHSFIGURENKABINETTS mit dem des handelsüblichen Edgar-Allan-Poe-Krimithrillers. Doch für Jess Franco waren seine Storylines von jeher schon eher unverbindliche Empfehlung denn unterjochendes Traktat; ohnehin peppte er alles mit jener unbekümmerten, stilistisch zu dieser Zeit seiner Karriere noch recht stringent ausgeführten Nonchalance auf, die einen Franco-Film für Cineasten auch heute noch sehenswert macht. Wenn die beiden, zugegebenermaßen burschikos bis libidinös auftretenden Privatdetektivinnen von einem Club zum Nächsten jagen, in der Wahl ihrer Liebespartner sich situativ geschlechterunabhängig geben, wenn sie den harten Kerlen bereits die gelebte Emanzipation vorexerzieren, dann ist klar, dass Franco eigentlich schon damals „Frauenfilme“ machte und seiner Zeit voraus war.

Nach der erfolgreichen Premiere von NECRONOMICON in Berlin ging Jess Franco und das Aquila-Team frisch ans Werk und drehte mit Janine Reynaud sowie großenteils dem gleichen Team im August/September 1967 in spanischer Co-Produktion back-to-back zwei schnell entstandene Filme um das weibliche Detektiv-Duo „Rote Lippen“. Janine Reynauds Partnerin war die Argentinierin Rossana Yanni, die fürderhin im spanischen Genrekino noch einige erinnerungswürdige Auftritte absolvieren sollte. Produzent Adrian Hoven, der uns Filmfreunden in dieser Funktion so einige Lattenkracher bescherte, schlüpft in die (Doppel)-Rolle des finsteren Kunstsammlers, Reynauds Gatte Michel Lemoine verbirgt sich hinter meterdicker Werwolf-Schminke, während Alexander Engel in seinem letzten Leinwandauftritt den pusseligen Galeristen und Regisseur Franco selbst ein Cameo gibt. Chris Howland schließlich, sonst auf den „Hofnarren“ abonniert, freut sich sichtlich, mal eine – gemessen am sonstigen Rollentypus – nicht allzu alberne Figur darstellen zu können.

Für ROTE LIPPEN – SADISTEROTICA griff wieder der usuelle Aquila-Komponist Jerry van Rooyen zum Notenpapier. Doch im Gegensatz zu den bisherigen Produktionen der Firma schienen hier die finanziellen Mittel auch für den Soundtrack limitiert. Für Jerry kein Problem: aus der Not eine Tugend machend, dampfte er den Streichersatz ein – naturgemäß der teuerste Part einer Orchesterproduktion – und skelettierte seine Kompositionen auf die jazzbetonten Grundlagen. „Bratschen raus, Bebop rein“ lautete die Devise und van Rooyen zeigte beispielhaft, dass ein knappes Budget den Unterhaltungsfaktor des Soundtracks enorm erhöhen konnte. Neben dem ‚Aquila-Sound‘ aus coolen Big-Band-Nummern, drückte er mit vorwärtsstürmenden Sambaklängen aufs Gaspedal und warf souldurchtränkten Beat in die Waagschale. Er würzte mit schlürfenden Saxophonstafetten im Stile Billy Mays, ließ für Spannungssequenzen die Hammondorgel klerikal klagen und feuerte seine Bläsersektion an, noch mehr Elan in ihre sowieso schon over-the-top gefertigten Partituren zu legen. Zur weiteren Kostenersparnis verwendete man auch die Musik der Operationsszenen aus Adrian Hovens IM SCHLOSS DER BLUTIGEN BEGIERDE wieder.

Insgesamt ist die Materiallage der Hoven’schen Aquila-Produktionen nicht die Beste: insbesondere die beiden Filme um die „Roten Lippen“ hat es scheins schwer erwischt. Somit ist die in mehreren, limitierten Covervarianten erschienene Mediabook-Auflage sowie die nachgeschobene Budgetvariante ein Kompromiss. Schon der Klappentext des Backcovers verrät den grundlegenden Haken: “Leider gibt es für Sadisterotica keinerlei Filmmaterial mehr, um eine komplette HD-Abtastung herstellen zu können. Nach monatelanger Recherche konnten wir aber tatsächlich die weltweit letzte, leider stark abgenutzte, deutsche Kinokopie ausfindig machen. Die Rollenwechsel und früher geschnittenen Szene mussten daher durch hochskaliertes SD-Material ersetzt und/oder aufgefüllt werden. Die Qualität dieser Veröffentlichung entspricht daher nicht dem gewohnten HD-Standard.”.

Somit ist die Qualität nicht ganz so berauschend und der Unterschied zur bereits seit einiger Zeit erhältlichen DVD nicht weltbewegend. Das Widescreen-Bild wird flankiert durch die flotte deutsche Synchronisation, für die der legendäre Gert Günther Hoffmann verantwortlich zeichnet und auf Sprechergranden der damaligen Berliner Szene zurückgreifen kann. Die englische Exportsprachfassung, erstellt in München, hat ebenfalls Charme, auch wenn man ein Ohr für diese Art der Bearbeitungen mitbringen muss. Neben Trailern, verschiedenen Bildergalerien und mehreren Featurettes umfasst die Auflage ein sechzehnseitiges Booklet mit einem Text von Nando Rohner. In der Mediabook-Edition ist als Bonus noch das launig-drollige B-Picture DAS GEHEIMNIS DER FLIEGENDEN TEUFEL – WITHOUT WARNING enthalten, das in seiner Altstars verheizenden, billigen Machart ein zünftiges Doublefeature im örtlichen Autokino abgegeben hätte.

Grell, bunt und aufgekratzt präsentiert sich ROTE LIPPEN – SADISTEROTICA, er hat so gar nichts vom oft gescholtenen Altherrenkino der Endsechziger. Unverblümt und mitunter neurotisch, in jedem Fall aber immer erotisch zündet Franco den filmmischen Nachbrenner des damals florierenden Europloitationfilms – die staatenübergreifende Zusammenarbeit unterschiedlichster Zelluloidkünstler war damals bereits konsequente Realität. Mit diesem Agentinnenpärchen vergehen die achtzig Filmminuten auf coole und angenehm weltgewandte Art wie im Flug – natürlich 1. Klasse, mit Hauptgericht und Zigarette danach über den Wolken (ja, sowas ging damals noch).

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El caso de las dos bellezas | D/ES 1967 | Regie: Jess Franco | Darsteller: Janine Reynaud, Rosanna Yanni, Adrian Hoven, Chris Howland, Michel Lemoine, Alexander Engel u.a.

Anbieter: DigiDreams Studios