Die Axt im Haus.

Auf dem Land in den USA herrscht Gesetzlosigkeit. Das ist nicht der erste Film der letzten Jahre, der uns das nahelegt. ABOVE SUSPICION zeigte uns eine vulgäre Mischung aus Gewalt, Alkohol und Sex, RAVAGE eine irre Familie, die – mit leichten Torture Porn Anleihen – ein ganzes Dorf beherrscht. Auch in Chad Fausts erstem Langspielfilm GIRL gibt es keine glücklichen Dorfbewohner außer den beiden „Brüdern“. Gegen sie tritt eine äußerst rachsüchtige Städterin an.

Ironischerweise heißt das besagte Provinznest „Golden“ und ist eher eine Geisterstadt denn ein florierendes Kulturzentrum. Das etwas heruntergekommene Mädchen (Bella Thorne), das einfach nur „Girl“ heißt, reist überhaupt erst nach Golden, um ihren gewalttätigen Vater umzubringen. Als sie leere Strassen vorfindet und selbst die Polizeistation geschlossen ist, genehmigt sie sich einen Drink in der Bar. Sie trifft auf zwei verängstigte Besucher und einen warnenden Barkeeper. Nimm dich in Acht vor den Brüdern, Girl. Das ignoriert sie erst mal und sucht ihren Vater in seinem heruntergekommenen Haus auf. Dort findet sie zuerst einmal das versiffteste Chaos vor, das sich ein guter Setdesigner ausdenken kann. Ihren Vater entdeckt sie später. In der Scheune. Erhängt.

Daraufhin ändert sie ihren Plan und will nun die Mörder des Vaters ermorden. Doch zuerst beginnt ein Flirt mit einem Typen im Waschsalon. Sie erzählt „Charmer“ (Chad Faust) von ihren neuen Absichten, doch nachdem sie die Uhr ihres Vaters an Charmers Handgelenk entdeckt hat, ist fertig Turteln. Der selbsternannte Charmeur mutiert zum Gewaltverbrecher, der er eben auch ist, und versucht, sie umzubringen. Doch die Axt im Sack erspart den Leichentransport: Sie hat tatsächlich ein Beil in ihrer Tasche. Das klobige Werkzeug stellt sich als Überbleibsel ihrer Jugend auf dem Lande heraus und als Dienst ihres Vaters an ihrem Überleben: Im zarten Alter von sechs Jahren lernte sie von ihm, wie man präzise eine Axt wirft. Ihre ländlichen Wurzeln bewahren sie also davor, wie eine Städterin einfach so abgeschlachtet zu werden. Charmer verkrümelt sich erst mal.

Allerdings dauert es nur ein paar kurze Wendungen, bis sie vom Sheriff (Mickey Rourke) angekettet ins Haus ihres Vaters zurückgebracht wird. Charmer begleitet dabei den Sheriff und ja, richtig, die beiden sind die gnadenlosen, brutalen „Brüder“ und Mörder ihres Vaters. Sie sind auf der Suche nach einem Schatz irgendwo auf seinem „Anwesen“.

Dann beginnt der Film zu einem dreckigen kleinen gewalttätigen Hillbilly-Trashfilm zu werden. Sehr stimmungsvoll, nie lächerlich und mit einem sehr guten Mickey Rourke, der auch so schön funktioniert, weil er so schön bizarr aussieht. Sein sanftes (schönheitsoperiertes) Gesicht steht in großer Diskrepanz zu Narben, Furchen und der Bosheit. So kann er Gewalt mit Sanftheit dosieren, was ihn in vielen Momenten unberechenbarer und Furcht einflößender macht.

GIRL ist der erste Film des Kanadiers Chad Faust (*1980), der seit rund 20 Jahren als Schauspieler in vielen Filmen und Serien (am bekanntesten dürfte seine Rolle als Kyle Baldwin in THE 4400 sein) zu sehen ist. Da ist kein neuer Taylor Sheridan geboren, aber ein paar weitere dieser kleinen, sleazigen Dinger kann man auch als Vergnügen ansehen. Vielleicht werden sie mit der Zeit sogar etwas raffinierter.

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Girl | USA 2020 | Regie u. Drehbuch: Chad Faust | Kamera: Kristofer Bonnell | Musik: Dillon Baldassero | Darsteller: Bella Thorne, Chad Faust, Elisabeth Saunders, Mickey Rourke | Laufzeit: 92 min.