All my troubles are not far away.

Die Grundidee des letzten Danny Boyle Films ist nicht nur brillant für eine Komödie, sie entbehrt auch nicht einer unglaublichen Realität. Nach einem kurzen, weltweiten Stromausfall ist der erfolglose Musiker Jack Malik (Himesh Patel) der einzige Mensch, der die Beatles kennt und sich noch an deren Songs erinnert. Die Beatles sind einfach verschwunden, als hätte es sie nie gegeben. Keine Googlesuche bringt ihn weiter, niemand kennt die größte Popband der Welt, er findet nirgends etwas über den Verbleib der Fab Four. Das kollektive Gedächtnis scheint gelöscht. Ein Beatle ist ein falsch buchstabierter Käfer, that’s it. Auf die Idee, dass er der einzige sein könnte, der um die Existenz der Band weiß, kommt er, als er Freunden auf der akustischen Gitarre „Yesterday“ vorspielt und -singt: sie sind alle hingerissen in einer schier unglaublichen Weise. Einen derart schönen Song haben sie noch nie gehört. So reagiert ein popgeschultes Publikum, wenn es die Krone der popkulturellen Schöpfung zu hören bekommt.

Die Beatles-Kompositionen sind einfach besser als alles andere. Die Stücke haben es in sich und Jack Malik ist derjenige, der sie den Menschen jetzt näherbringt. Außerdem sind die Beatles Geschichte. Sie sind für die Rock- und Popmusik etwa das, was Mozart und Beethoven zusammen für die Klassik sind (und etwas Stravinsky noch dazu).
Doch was bedeutet schon Historizität in der Pop- und der Rockkultur – handelt es sich hier nicht um zwei Musikgattungen, die inzwischen in den Spielarten von Hip Hop aufgegangen sind oder in der House- und Technomusik kaum eine Rolle mehr spielen? Nicht zufällig stellt der Film diese Frage zum Ende der 2010er Jahre. Popmusik hat die Relevanz verloren, das individuelle Leben von vielen einzelnen Menschen zu beeinflussen. Dieses Vermögen, dass eine Band oder ein Musikstück mein Leben umkrempelt, gibt es kaum noch. Heute ist Popmusik ein endloser Flow von Songs oder Tracks, zu denen man gern mitsummt oder tanzt, die aber keine bewegenden Botschaften für den Lebensentwurf haben. Die Welt scheint eher dominiert von endlosen Gags und Selbstdarstellungen auf TikTok, von Katzenvideos oder politischen Radikalisierungen in sozialen Medien. (Die beiden anderen Menschen, die sich in YESTERDAY an die Beatles erinnern, sind auch beides ältere Menschen – ein russischer Nerd und eine rührende Engländerin aus der unteren Mittelklasse.)

Was unser indischstämmiger Star macht: Er spielt fortan die Songs der Fab Four, weil er sie alle auswendig kennt und weil sie ihm in seinem Leben so viel bedeutet haben. Er wird berühmt, doch er scheitert – an seiner medialen Strategie. Im Gegensatz zu den Beatles damals übernimmt er kaum Verantwortung für sein Image. Das wird ihm – trotz seiner sanften Gegenwehr – von der Musikindustrie aufgedrückt. Für ihn ist das wichtigste, dass die Beatlessongs überleben, und dass er endlich den lange angestrebten Ruhm erhält. Er agiert als Sachverwalter, nicht als Weltveränderer.
Hier beginnt Boyles Film zu schwächeln. Jack Malik fehlt die klare Haltung. Er liebt es, endlich zum Superstar aufzusteigen und selbst Ed Sheeran hinter sich zu lassen, bis schließlich das Übliche in solchen Komödien geschieht: Er wird derart berühmt, dass er die Bodenhaftung verliert (seine Freundin / Freunde entfremden sich von ihm, er wird zum Spielball der Musikindustrie) und es braucht ein paar sentimentale Momente, um sich wieder seiner kleinen Existenz zu erinnern. Hinzu kommt das gigantisch schlechte Gewissen, dank der Songs der größten Songschreiber der Welt zum Star zu werden.

Eigentlich zeigt Boyle, ob bewusst oder nicht, genau auf, woran es den heutigen Komponisten mangelt: am eigenen Imagedesign und am Willen, etwas mehr zu bewegen als nur den eigenen Ort in den Charts. Jack Malik entwickelt keine Vision von einer besseren Popkultur, von einer Umwertung des Bestehenden, wie es die Beatles permanent gedacht und gemacht haben. Er wird im Endeffekt dominiert von einer Übermutter, der Musikindustrie – in Gestalt einer kaltblütigen Managerin, die ihm alles aufdrückt und der sich zu entziehen er zu schwach ist. (Für die neue, vermeintlich saubere und faire Art der Ökonomie stehen in neuen Filmen weibliche Chefs: vordergründig sanfter, hintergründig genauso neoliberal und berechnend. Schönes Beispiel dazu ist auch Tilda Swinton in Bong Joon Hos OKJA). Jack Maliks Rückzug ins Private wird verdoppelt durch seinen Besuch bei John Lennon, der in der Alternativwelt an Stelle eines Stars als ein zurückgezogener, zufriedener Mensch lebt.

Fazit: Die Verbesserung der Gegenwart mit einem Beatles-Revival in der heutigen Welt missglückt ebenso wie Danny Boyles Komödie, die ebenfalls nicht die Komödienwelt auf den Kopf stellt (wie damals TRAINSPOTTING), sondern wie die durchschnittlich langweilige Hollywoodkomödie ihr Glück im Rückzug ins Private findet.

___________________________________________________________________

Yesterday, UK 2019 | Regie: Danny Boyle | Drehbuch: Richard Curtis | Kamera: Christopher Ross | Musik: Daniel Pemberton | Darsteller: Himesh Patel, Lily James, Kathe McKinnon, Joel Fry, Ed Sheeran | Laufzeit: 117 min.