Ein direkter deutscher Ausdruck für den Begriff „Guilty Pleasure“ findet sich nicht. Die wörtliche Übersetzung wäre „Schuldiges Vergnügen“. Gemeint sind damit u.a. Filme, die man gerne sieht, obwohl man sie eigentlich als schlecht empfindet, die einem also ein wenig peinlich sind. Fast jeder Filmfan wird seinen obskuren Favoriten haben, für manche sind „Guily Pleasures“ so definierend wie ihre großen Lieblingsfilme. Kein Problem damit, sein „schuldiges Vergnügen“ mit der Welt zu teilen, hatte Star-Regisseur James Cameron. Im Jahr 2014 beantwortete das TITANIC-Mastermind auf der Online-Plattform Reddit Fragen seiner Fans – und wurde nach seinem „Guilty Pleasure“ gefragt. Seine Antwort: RESIDENT EVIL.
Was macht RESIDENT EVIL zu einem „Guilty Pleasure“, nicht nur für Cameron, sondern für viele Filmfans, die auf Reddit dem Regisseur schnell beipflichteten? Zuerst stellt sich die Frage nach dem Schuldgefühl: Der Zombiehorrorthriller sammelte schon bei seinem Kinostart 2002 massenweise schlechte Kritiken ein. Viele davon kamen von enttäuschten Fans, denn der Film basierte auf einer gleichnamigen japanischen Videospielreihe des Unternehmens Capcom, die seit ihrem Start 1996 die Erzählweise des Game-Mediums revolutionierte. Dennoch sollte der RESIDENT EVIL-Film nicht als Adaption bezeichnet werden. Abgesehen von Genre, Titel, zwei Monstern und wenigen Namen blieb aus den Spielen nichts für die Leinwandversion übrig.
Natürlich erzürnte das die Fans – erst recht, als bekannt wurde, dass Produzent Bernd Eichinger vorab ein Drehbuch ablehnte, das einerseits nahe am Plot der ersten zwei Spiele liegen sollte und andererseits von George A. Romero, dem Meister des Zombiefilmgenres, verfasst wurde. Statt ihm wurde Paul W.S. Anderson für Drehbuch und Regie rekrutiert. Er hatte zuvor bereits mit MORTAL KOMBAT die bis dato erfolgreichste Videospielverfilmung verantwortet, aber schon da die Vorlagen weitgehend ignoriert.
Sein RESIDENT EVIL spielt größtenteils im unterirdischen Forschungslabor der sogenannten Umbrella Corporation, die heimlich Biowaffen entwickelt. Dort gab es einen Ausbruch eines T-Virus, welches in der Lage ist, tote Zellen wiederzubeleben – und damit jeden Infizierten zum Untoten werden lässt (das Wort „Zombie“ vermeidet der Film im Originalton gänzlich). Eine noch unwissende Eliteeinheit soll im Labor den Zentralcomputer, eine Künstliche Intelligenz namens „Red Queen“, abschalten und den Tod sämtlicher Mitarbeiter untersuchen. Mit im Schlepptau haben sie eine schöne Frau ohne jede Erinnerung, die oberhalb der Anlage als Sicherheitskraft wohnte. Als im Labor das Virus ausbrach, versuchte die „Red Queen“, den Ausbruch einzudämmen. Zu den Sicherheitsvorkehrungen gehörte auch, in der oberen Anlage ein Nervengas zu versprühen, zu dessen Nebenwirkungen Gedächtnisverlust zählt.
Wozu so ein Nervengas gut sein soll? Diese Frage darf besser nicht gestellt werden und wird auch vom Film nie beantwortet. In erster Linie bietet das Gas Anderson einfach viele Gelegenheiten, Exposition unterzubringen. Da die Amnesiegeplagte sich an nichts erinnert, müssen ihr die Elitesoldaten sämtliche Vorgänge minutiös erklären. Ähnlich subtil erzählt Anderson den ganzen Film: Nahezu alle Dialoge bestehen aus militärischen Kommandos, die durchgängig die Handlung verbalisieren. Auf Charakterzeichnung legt das Drehbuch die vollen 100 Minuten keinen Wert. Selbst den Namen der Protagonistin erfährt das Publikum nur im Abspann: Als Rollenname wird für die Heldin Alice angegeben.
Anderson meint diesen Namen als Anspielung auf „Alice im Wunderland“ von Lewis Carroll und streut wahllos ein paar Referenzen an den Romanklassiker ein. Ein weißes Kaninchen hat kurz Relevanz und der Geheimeingang zur unterirdischen Welt findet sich „hinter den Spiegeln“. Diese Meta-Spielerei bietet keinen Mehrwert, den fand der Regisseur dafür hinter der Kamera. Hauptdarstellerin Milla Jovovich und er wurden nach dem Dreh ein Paar, heirateten im Jahr 2009 und arbeiteten weiter zusammen: Bis 2016 wurden ganze fünf RESIDENT EVIL-Fortsetzungen produziert. Anderson schrieb alle davon und inszenierte drei der Filme, Jovovich spielte ihre Alice bis zum Schluss.
Der durchaus beachtliche finanzielle Erfolg des Films ermöglichte den Ausbau zur Franchise, doch erlaubt dieser keinen Rückschluss auf die Qualität. RESIDENT EVIL fiel bei der Fachpresse durch. Filmkritiker und Pulitzer-Preisträger Roger Ebert nannte den Film und die erste Fortsetzung „RESIDENT EVIL: APOCALYPSE“ sogar auf der Liste seiner meistgehassten Filme. Hier liegt James Cameron mit dem „Guilty Pleasure“-Begriff richtig: Wenn RESIDENT EVIL gefällt, dann als absurdes Trash-Vergnügen. Ernstnehmen lässt sich das formelhafte Script nicht, das sämtliche Klischeeszenarien des Zombiehorrors in Windeseile abspult und spätestens im stümperhaft getricksten Finale jeden Versuch aufgibt, mit überzeugenden Schockmomenten aufzuwarten.
Dennoch hat das Untotengemetzel einen Reiz, der sich nur schwerlich leugnen lässt. Die Action, größtenteils Dauergeballer auf schlurfende Mutanten, inszeniert Anderson bestenfalls routiniert, schlimmstenfalls uninspiriert, einen gewissen Stil kann man seiner Regie aber nicht absprechen. Seine Faszination für die alten Meisterwerke von John Carpenter ist sofort erkennbar, nicht nur an der bläulich-kühlen, distanzierten Bildsprache, sondern auch anhand der Filmmusik, für die er einmal den durch die SCREAM-Reihe horrorerprobten Marco Beltrami und zusätzlich den Skandal-Musiker Marilyn Manson verpflichtete. Beide verpassen den untoten Gegenspielern gar eine Rock’n’Roll-Attitüde: Wo immer ein Zombie im Bild erscheint, ertönen rotzige Gitarrenriffs.
Pulp ist das durch und durch, mit gutem Willen lässt sich auch leichte Selbstironie erkennen. Als direktes Überbleibsel der Vorlagen aus Bits und Bytes haben es beispielsweise ein paar untote Dobermänner, Zombiehunde also, in den Film geschafft. Grandios lachhaft übersteuert ist ihr Angriff auf Alice, bei dem Jovovich erst als abgebrühte Amazone fleißig Kopfschüsse verteilt und in Reminiszenz an MATRIX schließlich an der Wand hochrennt und per Sprungtritt den letzten Vierbeiner ins Nirvana befördert. Ein echter Stunt, für den die engagierte Schauspielerin über drei Monate trainierte.
Eingebrannt hat sich im kollektiven Gedächtnis der Filmgeschichte zudem eine tatsächlich großartige Szene, in der mehrere der bewaffneten Soldaten in einen Gang geraten, der sich als perfide Falle entpuppt. Hier rasen plötzlich Laserstrahlen vertikal durch den Raum und schneiden die Soldaten in zwei Teile. Einzig der Anführer, gespielt von Colin Salmon, der in mehreren „James Bond“-Filmen als Kollege von 007-Darsteller Pierce Brosnan auftrat, kann den Lasern ausweichen – ehe diese plötzlich ein dichtes Gitternetz bilden und ihn in kleine Würfel schneiden. Die vom Horrorhit CUBE inspirierte Szene war derartig gelungen, dass selbst die Programmierer bei Capcom ihr Tribut zollten und einen ähnlichen Level als Hommage in ihrem Videospiel „Resident Evil 4“ einbauten.
Für deutsche Zuschauer dürfte noch interessant sein, dass größtenteils in Berlin gedreht wurde. Viele Aufnahmen entstanden im Studio Berlin-Adlershof, eine längere Szene rund um einen unterirdischen Zug wurde am damals noch unfertigen U-Bahnhof „Bundestag“ der Berliner Linie U5 gedreht – für Ortskundige leicht an den charakteristischen Säulen des U-Bahnhofs zu erkennen. Das Schloss Lindstedt in Potsdam diente für die Villa, in der Alice oberhalb des Laborkomplexes lebt. Zudem finden sich unter der Besetzung als Söldner der Schweizer Musiker Pasquale Aleardi sowie die deutsche Schauspielerin und Moderatorin Heike Makatsch als Laborantin. So viel sei zu ihren Rollen gesagt: Beide machen auch als Zombie eine gute Figur.
Großer, gedankenloser Quatsch ist RESIDENT EVIL zweifelsohne, doch so ganz wundert es nicht, dass der Film in James Cameron einen Bewunderer fand. Vor allem der Nebenhandlungsstrang um die „Red Queen“, den Zentralcomputer des Labors, der, um das Virus im Labor zu halten, alle Mitarbeiter einschloss und zum Tode verdammte, dürfte sein Interesse geweckt haben. Die Konstellation erinnert direkt an die großen antagonistischen Künstlichen Intelligenzen der Filmgeschichte, etwa HAL 9000 aus 2001: A SPACE ODYSSEY oder natürlich an den tödlichen TERMINATOR, den James Cameron selbst erfand.
Doch Anderson verfällt nicht in das bekannte binäre Gut-gegen-Böse-Schema im Kampf zwischen Mensch und Maschine. Statt eines Muskelpakets oder einer bedrohlichen tiefen Stimme wird die „Red Queen“ durch das Hologramm eines kleinen Mädchens dargestellt. Und das sagt dann zwar die obligatorischen Hiobsbotschaften à la „Ihr werdet alle sterben“, ist aber keine ausschließlich gegnerische Kraft: Die Überlebenden und die „Red Queen“ sind für die Erfüllung ihrer Ziele voneinander abhängig und arbeiten streckenweise zusammen.
Außerdem dürfte es dem erklärten Feministen Cameron gefallen haben, dass sich hier gleich zwei Frauen als Actionheldinnen empfehlen. Neben Milla Jovovich ist noch Michelle Rodriguez dabei, bekannt aus THE FAST AND THE FURIOUS. Als Söldnerin mit losem Mundwerk könnte sie direkt aus Camerons ALIENS entnommen sein. Einige Jahre später fand daher zusammen, was zusammengehört: Cameron besetzte Rodriguez in nahezu identischer Rolle 2009 für sein erfolgreiches Kino-Epos AVATAR.
Aber wie erklärt sich James Cameron selbst, dass RESIDENT EVIL sein größtes „Guilty Pleasure“ ist? Gar nicht. Auf Nachfrage verriet der Filmemacher bei Reddit bloß: „Ich mag den Film einfach! Ein ‚Guilty Pleasure‘ muss man nicht verteidigen.“
Resident Evil
UK/BRD/USA 2002
Regie & Drehbuch: Paul W.S. Anderson
Kamera: David Johnson
Musik: Marco Beltrami, Marilyn Manson | Darsteller: Milla Jovovich, Michelle Rodriguez, Ryan McCluskey, Oscar Pearce u.a.
Laufzeit: 100 Min.