50 Jahre Sex, Gewalt und Ludwig Van.

Endet 2001: ODYSSEE IM WELTRAUM (2001: A SPACE ODYSSEY, 1968) mit dem Blick des Sternenkindes auf die Erde, verrät bereits die erste Einstellung von UHRWERK ORANGE (A CLOCKWORK ORANGE), dass gleich eine Explosion der Gewalt folgen wird. Stanley Kubricks düstere Anti-Utopie, in einem London der nahen Zukunft angesiedelt, war von Anfang mit dem Vorwurf konfrontiert, Gewalt zu ästhetisieren. Premiere hatte die Adaption eines Romans von Anthony Burgess am 19. Dezember 1971 in New York. In die deutschen Kinos kam die von Wolfgang Staudte synchronisierte Fassung am 23. März 1972.

Alex (Malcolm McDowell), der Anführer einer Jugend-Gang, konsumiert mit seinen „Droogs“ synthetische Drogen und hat „Bock auf ein wenig Ultra-Brutale“. Zunächst misshandelt die Gruppe einen betrunkenen Mann (Paul Farrell), der in der „stinkenden Welt“ „Zucht, Recht und Ordnung“ vermisst. Nach einer gewalttätigen Auseinandersetzung mit einer rivalisierenden Gang verursacht Alex mit einem gestohlenen Wagen mehrere Unfälle. Anschließend überfallen die Droogs den Linksintellektuellen Frank Alexander (Patrick Magee) in seinem Haus, misshandeln ihn schwer und vergewaltigen seine Frau (Adrienne Corri). Alex wird, nachdem er eine Frau (Miriam Karlin) bei einem Einbruch getötet hat, zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt. Zwischenzeitlich kommt es zu einem Regierungswechsel, die Gefängnisse werden für Oppositionelle benötigt. Mit der Ludovico-Methode sollen Kriminelle „resozialisiert“ werden. Das Verfahren stößt aus unterschiedlichen Gründen sowohl beim Anstaltsleiter (Michael Gover) wie beim Gefängniskaplan (Godfrey John Quigley) auf heftige Kritik. Alex willigt schließlich in die „Therapie“ ein.

London wird im Jahr 1983 gezeigt „als Geschichte von Bandenkämpfen, von Gangs und Rackets, von Monopolen und Kartellen.“ Der Philosoph Max Horkheimer hat den kriminologischen Begriff des Schutzgeld erpressenden Rackets als „Grundform der Herrschaft“ bezeichnet. Eine solche Gruppe ist straff hierarchisiert, unterscheidet streng nach innen und außen, verlangt von ihren Mitgliedern unbedingte Loyalität und bietet im Gegenzug Sicherheit und Schutz: „Der ins Racket Aufgenommene ist gesichert, aber er ist ihm unbedingt verpflichtet. Hingegen hat er nach außen hin kein Gewissen und keine Verantwortung. Wehe ihm, wenn er die Regeln des Rackets bricht.“ Die Droogs grenzen sich durch eine eigene Sprache und ihre uniformartige Kleidung ab – ebenso wie es die Gruppe um Billy Boy (Richard Connaught) tut, deren Angehörige sogar Nazi-Insignien tragen. Alex wird von den Droogs nicht mehr akzeptiert, nachdem er Dim misshandelt. Er wird später niedergeschlagen und der Polizei ausgeliefert – der sich später einzelne Gang-Mitglieder anschließen und ein neues Racket bilden.

Die Gewalt der Droogs richtet sich weitgehend gegen die Marginalisierten in der Gesellschaft – zu denen sie auch selbst gehören – gegen die, die sich dem Primat der Lohnarbeit verweigern oder sich kritisch artikulieren. Dies trifft auf den wohnsitzlosen, alkoholkranken Mann zu, den sie zu Beginn des Films unter einer tunnelartigen Unterführung überfallen – Alex kommentiert: „Einen solchen alten, dreckigen, stinkenden Suffkopf zu sehen ging mir schon immer gegen den Strich!“ und ebenso auf den Schriftsteller, der sich, von seiner Frau unterstützt, dem Schreiben – dem Kritisieren der Verhältnisse – widmet. Alex zerstört dessen Schreibmaschine und ein Bücherregal.

UHRWERK ORANGE ist ein Film über das Eingeschlossen-Sein: in Gruppen oder Institutionen. Alex spricht vom Gefängnis nicht nur als eine „Hölle“, sondern auch von einem „Zoo von Perversen“. Michel Foucault stellte die Annahme auf, der liberale Philosoph Jeremy Bentham habe sich durch die Struktur des Zoologischen Garten von Versailles zu seinem Modell des Panopticon, einem völlig überwachten Arbeitshaus, inspirieren lassen. In diesem Zusammenhang erscheinen sowohl die Haftanstalt als auch das Sanatorium von Dr. Brodsky (Carl Duering) nach dem Modell des Panopticon konzipiert zu sein. Es ist nach Foucault kein Zufall, dass Fabriken, Kasernen, Krankenhäuser und Schulen den Gefängnissen ähneln – sie sollen das Individuum disziplinieren und arbeitsfähig machen.

Bei dieser Sichtweise ähneln sich Horkheimer und Foucault. Der paternalistische Staat versucht seine Mitglieder zu konditionieren mit der bewussten Inkaufnahme, dass der freie Wille zerstört wird. Alex‘ Körper „lernt“, dass Brutalität grauenvoll ist – obwohl gerade diese Brutalität untrennbarer Bestandteil der Gesellschaft und ihrer Institutionen ist, in der Alex lebt. Die Tortur der Ludovico-Methode fasst Dr. Brodsky wie folgt zusammen: „In Kürze wird unser Versuchsobjekt durch das Serum in eine todesähnliche Lähmung versetzt werden. Verbunden mit dem Gefühl von Angst und Hilflosigkeit. Ein früheres Versuchsobjekt hat dies mit Angstgefühlen erklärt, wie man sie beim Erstickungstod hat.“

Alex ist die Figur des Films, gegen die am meisten Gewalt ausgeübt wird: Während seine Aggression sich gegen Schwächere richtet, akzeptiert er, wenn andere stärker sind. Seine eigene Unterwürfigkeit bringt er auf den Punkt, wenn er sagt „Wenn ich mitmache, fühle ich mich richtig Horrorshow“. Bis zum Schluss des Films spricht er davon „geheilt“ zu sein – und gerade die letzte Einstellung zeigt deutlich den Zustand der Gesellschaft, in der Alex lebt. Vielleicht ist es auch nicht die Gewaltdarstellung, die das Publikum bis heute verstört – sondern der aus den Bildern sprechende kompromisslose Pessimismus und die allzu sehr die Realität spiegelnde Inszenierung der Hilflosigkeit des Individuums.

A Clockwork Orange
GB 1971
Regie: Stanley Kubrick
Drehbuch: Stanley Kubrick, nach dem Roman von Anthony Burgess
Kamera: John Alcott
Darsteller: Malcolm McDowell, Patrick Magee, Adrienne Corri, Warren Clarke, Michael Bates, Aubrey Morris, David Prowse u.v.a.
Laufzeit: 136 Min.

Verwendete Literatur
Foucault, Michel (1993): Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. Frankfurt am Main.
Fuchshuber, Thorsten (2019): Rackets. Kritische Theorie der Bandenherrschaft. Freiburg im Breisau.
Wiemer, Carl (2004): Krankheit und Kriminalität. Die Ärzte- und Medizinkritik der kritischen Theorie. Freiburg im Breisgau.