Aller guten Dinge sind drei.

Man nehme: drei weltberühmte Horrorfilmschmieden (Amicus, Tigon und American International Pictures – AIP), drei höchst unterschiedliche Grusel- und Science-Fiction-Geschichten und drei Weltstars des Horror- und Fantasyfilms. Alles in den Cocktailshaker, kräftig mixen, umrühren und einschenken. Heraus kommt ein süffiges Gebräu, dass mit dem Säurebad in Dr. Mabuses OP-Keller ohne Weiteres mithalten kann. Wem da nicht blümerant wird?

Worum geht’s? Zunächst haben wir einen nicht näher benannten, vermutlich osteuropäischen Polizeistaat, in dem Terror und Folter fröhlich Urständ feiern. Außerdem befleißigt sich die dortige Administration, mithilfe von Doppelgängern und Gewährsmännern anderer Länder Demokratien zu infiltrieren. ‚Hersteller‘ dieser aus menschlichen Einzelteilen zusammenoperierter Doppelgänger ist kein Geringerer als Dr. Mabuse (Vincent Price), der sich hierfür in Großbritannien menschliche Ersatzteilspender zusammenraubt und -mordet. Doch als eines seiner Geschöpfe ungeahnte Lust nach Menschenblut verspürt und sich unter den leichtlebigen Discomädels der Themsemetropole vampiristisch umtut, bläst New Scotland Yard zur finalen Jagd auf den Mädchenkiller.

Gordon Hessler war 1970 obenauf und hatte erstmals freie Hand bei der Auswahl seines nächsten Films. Zwar hatte sich im Ursprung Amicus-Honcho Milton Subotsky an einem Drehbuch des Groschenpaperbacks „The Disoriented Man“ versucht, doch Hessler Stammautor Christopher Wicking schleuderte dieses Originalskript in die Ecke und adaptierte den Roman neu. Innerhalb dreier parallel ablaufender Handlungsstränge wurde die Grundidee, dass es sich à la DIE KÖPERFRESSER KOMMEN um Außerirdische handelt, die sich als ‚nachgemachte‘ Humanoide ausgeben, zugunsten von sogenannten Kompositen umgedeutet. Dies förderte einige ikonische Horrorbilder zutage, die jedem Zuschauer wohl noch lange in Erinnerung geblieben sind.

Da Hessler und Wicking außerdem große Fans der Filme Don Siegels waren, implantierten sie daraus viele Inspirationen in ihre Schöpfung. Heraus kam ein Sammelsurium aus dem Subkultur-Milieu-Clash folgend COOGANS GROSSER BLUFF (1968) und dem Science-Fiction-Aspekt gemäß DIE DÄMONISCHEN (1956), dazu der allgegenwärtige Zynismus, mit dem schon DER TOD EINES KILERS (1964) schockierte. Der durch Michael Gothard portraitierte Vampirkiller lässt sich mit seiner hippie’esekn Langhaarblondierung als stilistischer Vorgriff auf Andrew Robinsons Scorpio-Charakter in DIRTY HARRY (1971) lesen. Nicht zuletzt der Aspekt des Generationenkonflikts, wonach die Alten nach wie vor die Jungen in Schach halten wollen, bildet ein stetiges Momentum in vielen britischen Genrefilmen dieser Jahre – auch Michael Reeves hatte sich mit IM BANNE DES DR. MONSERRAT (1967) dazu seine Gedanken gemacht. Ebenso liest sich DIE LEBENDEN LEICHEN DES DR. MABUSE als antiautoritäre Parabel über den Machtmissbrauch der Eliten, die dem gemeinen Volk und seiner eigenen Exekutive munter eine lange Nase machen.

Viele Abschnitte des Filmes sind ‚reines Kino‘, also nach klassisch Hitchcock’scher Lesart nur Bild und Ton. Der Master des Suspense befand, dass die Zusammensetzung von Filmteilen, die sich gegenseitig ergänzen – wie Noten, die sich zu einer Melodie fügen – bei geschickter Konfektionierung ausreichend sei, um die Handlung zu erzählen. Hessler liefert den Beweis und kann sich dabei auf seinen Cast verlassen, der die geübten Rollenprofile mit gewohnter Lässigkeit bedient. Der Ehrlichkeit halber sei allerdings angemerkt, dass Price, Lee und Cushing auch das Londoner Telefonbuch vorlesen könnten, um die Genrefreunde zu verzücken. Bildgestalter John Coquillon, der zuvor Reeves‘ DER HEXENJÄGER (1968) fotografiert hatte und dessen neuartig vitale Handkameraarbeit Hessler sehr schätzte, lieferte stimmungsvolle und wendige Modernität. Nicht zuletzt deshalb buchte ihn der Regisseur für DER TODESSCHREI DER HEXEN (1970) gleich wieder. Komponist David Whitaker, der dank seiner Tätigkeit als musikalischer Betreuer der in einem Cameo auftretenden Popband The Amen Corner verpflichtet wurde und dessen jazziger Bass’n’Brass-driven Big-Band-Score die Handlung schmiert, empfahl sich mit seiner Arbeit für Aufträge aus der Schmiede Hammer Films wie DR. JEKYLL UND SISTER HYDE (1971) und CIRCUS DER VAMPIRE (1972).

Kinolegende Fritz Lang, der schon Jess Francos alptraumhaften NECRONOMICON – GETRÄUMTE SÜNDEN (1967) über’n Schellenkönig lobte, mochte Hesslers Werk. Insbesondere die unsichtbare Macht eines an fremdem Ort gelegenen, diktatorischen Systems (dessen graphische Analogien mit dem Nationalsozialismus wohl nicht zufällig waren) dürfte Lang ‚gefallen‘ haben. Da macht es auch gar nichts, dass die deutsche Titelverortung im Reigen um den Superverbrecher Dr. Mabuse natürlich ein Windei und den Werbestrategen des Verleihs geschuldet ist.

DIE LEBENDEN LEICHEN DES DR: MABUSE feierte vor einiger Zeit als BD-DVD-Comboveröffentlichung im Mediabook seine europäische HD-Premiere. Neben dem englischen Originalton ist die patente deutsche Kinosynchronisation enthalten, der Bildtransfer lässt den Film frisch und farbig rüberkommen. Auf der Blu-ray ist auch die englische Kinofassung zu finden, die einige verlängerte Szenen beinhaltet und den Film dadurch noch ein bisschen runder erscheinen lässt. Die Extras können sich ebenfalls sehen lassen, denn neben einem vierundzwanzigseitigen Booklet von Dr. Rolf Giesen ist ein Audiokommentar mit David Del Valle und Autor/Produzent Phoef Sutton (2020) vorhanden, der abwechslungsreich über die Hintergründe berichtet. In der Featurette „Gentleman Gothic: Gordon Hessler über AIP“ lässt der Regisseur die damalige Zeit Revue passieren, eine Ausgabe der „Trailers from Hell“ mit Mick Garris ist obligat. Für Fans ist die deutsche Super-8-Version ein ebensolches Schmankerl wie eine isolierte Tonspur der Filmmusik – in Ermangelung einer separaten Veröffentlichung für Soundtracksammler besonders lohnend. Der übliche Beifang wie Trailer, Radio-Spots und eine umfangreiche Bildergalerie rundet das Vergnügen ab.

Vielen Fans gilt DIE LEBENDEN LEICHEN DES DR: MABUSE als bester, weil eigenständigster und insgesamt ausgefallenster Streifen des Gespanns Hessler-Wicking. Drei Stories zum Preis von einer, drei Filmstars des Sujets mehr oder minder traut vereint – das mag überdosiert klingen, doch wer sich darauf einlässt, wird mit feschem Genrekino belohnt. Ein Film für Connaisseure des Ausgefallenen.

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Scream and Scream Again | GB 1970 | Regie: Gordon Hessler | Darsteller: Vincent Price, Christopher Lee, Peter Cushing, Alfred Marks, Marshall Jones, Christopher Matthews u.a.

Anbieter: : Wicked Vision