Neo Noir unter der gleißenden Sonne Südfrankreichs: Die Riviera ist nicht erst seit Alfred Hitchcocks ÜBER DEN DÄCHERN VON NIZZA Ruhesitz brav gewordener Unterwelt-Aussteiger ebenso wie Schauplatz spektakulärer Verbrechen. Unter der Sonne gibt es eben auch das Böse, wie Agatha Christie schon wusste, und eine neue Generation des Film-Noir transponierte vielfach klassische Stoffe aus dem Sumpf der amerikanischen Großstädte in die scheinbare Idylle der Urlaubsparadiese.
Neben Charles Williams und Cornell Woolrich entdeckte das europäische Genre-Kino auch die Thriller des sonst vor allem als SF- und Horror-Autor bekannt gewordenen Richard Matheson. 1974 verfilmte Georges Lautner seinen Roman „Someone is Bleeding“ mit Alain Delon und Mireille Darc als EISKALT WIE DAS SCHWEIGEN. Und bereits 1970 drehte Terence Young den Charles-Bronson-Thriller COLD SWEAT um einen Ex-Sträfling, den die Vergangenheit in Gestalt rachedurstiger Komplizen heimsucht. Bei einem Knastausbruch hat Joe Martin einst die vier Kumpels sitzen lassen und sich mit dem Fluchtwagen aus dem Staub gemacht, weil er mit dem Mord an einem Wachmann nichts zu tun haben wollte. Nun lebt er mit Frau und Stieftochter ein neues Leben an der Azurküste und davon, sein Hochseeboot an Touristen zu vermieten. Seine neue Familie kennt weder seine wahre Vergangenheit noch seinen richtigen Namen. Als ihn einer der alten Komplizen aufspürt, muss Joe ihn vor den Augen seiner Frau in Notwehr töten. Aber damit beginnt der Alptraum erst.
„Ride the Nightmare“ hieß entsprechend der Roman, den Matheson selbst schon einmal 1962 für die TV-Reihe THE ALFRED HITCHCOCK HOUR adaptierte. Das Original spielte noch in Los Angeles, in den Suburbs, dem Idyll einer „typisch amerikanischen“ Familie, der klassischen „Nuclear Family“, der 50er Jahre. Anders als in der späteren Version, wo es zwischen Joe (Bronson) und seiner Frau (Liv Ullmann) schon länger kriselt, wegen seiner Alpträume und seines Alkoholkonsums, leben hier die Martins (Gena Rowlands und Hugh O’Brian) im Bürgerglück einer harmonischen Ehe und eines Häuschens in freundlicher Nachbarschaft. Wie etwa auch in seinen SF-Romanen „Ich bin Legende“ und „Die seltsame Geschichte des Mr.C.“ interessierte Richard Matheson vor allem die Demontage der scheinbar glücklichen Alltagsexistenz durch den Einbruch eines alles aus den Angeln hebenden Ereignisses – für die junge Ehefrau erweist sich die bisherige Realität als reine Farce, als Kulisse, hinter der sich ein Abgrund des unbekannten Terrors auftut. Mit einem Mal wird alles zur Bedrohung – selbst die freundlichen Nachbarn, die die Leiche in der Küche nicht entdecken dürfen. Das latent Paranoide hinter der Alltagsfassade hat sich bis in die Spielfilmfassung erhalten: Obwohl Joe hier als Amerikaner eigentlich ein Fremder und deutlicher ein Aussteiger ist, der sich wie ein Hippie aus seiner alten Welt verabschiedet hat, etabliert der Film sorgfältig sein Eingebundensein in die neue Community – wenn er als Kapitän hoch zu Boot aufs Meer hinausfährt, grüßt ihn jeder, den er passiert, als Freund. Und ebenso wie in der TV-Version ist das Verhalten der Gangster, die allesamt sadistische Psychopathen sind, völlig irrational und unberechenbar, sind sie durch keinen Deal und keinen Trick dazu zu bewegen, wieder aus Joes Leben zu verschwinden. Er braucht einen langen Atem, um endlich auch noch den letzten von ihnen loszuwerden. Und natürlich schweißt das schreckliche Erlebte die neue Familie erst wirklich zusammen. Hier wird Mathesons skeptischer Blick auf die Brüchigkeit der heilen Welt zur Katharsis und Affirmation eines konservativen Weltbildes. Ein Mann hat zu tun, was ein Mann zu tun hat.
James-Bond-Regisseur Terence Young gefiel sich als Auteur des großen Action-Kinos. Mit Charles Bronson drehte er drei Filme (neben diesem noch RIVALEN UNTER ROTER SONNE und den bedeutenden DIE VALACHI-PAPIERE), von denen KALTER SCHWEISS vielleicht der verrückteste ist: Eine eigenartige Melange, die Elemente aus Drama, Western, Grand Guignol und Actionkracher vereint. Immer weiter öffnen sich die Schauplätze von der beengten Küche, in der der erste tödliche Zweikampf vor dem Kühlschrank stattfindet, in die Bergwelt der Ardèche bis aufs offene Meer. Das Drehbuch stammt von dem Broadway- und TV-Autor Shimon Wincelberg (u.a. auch STAR TREK) und dem französischen Krimiautor Albert Simonin, und unverbunden stehen Dialogszenen auf engstem Raum in Haus oder Berghütte neben ins Groteske überdrehten Autostunts. Der Plot schlägt wilde Haken, dreht sich in permanentem Kreis, endet mehrmals, nur um wieder von vorn zu beginnen wie eine Karrusellfahrt, lässt dabei deutlich das Kafkaeske hinter dem Firnis des reinen, kommerziellen Genrekinos aufscheinen. Und Bronson – nach SPIEL MIR DAS LIED VOM TOD und René Clements DER AUS DEM REGEN KAM eine Zeitlang Kultfigur des europäischen Kinos – zeigte sich damals noch als guter Schauspieler, der neben James Mason als distinguiertem Gangsterboss durchaus bestehen konnte, bevor in späteren Jahren sein Spiel immer minimalistischer wurde, als ob er keine Charaktere mehr, sondern nur noch sich selbst spielen würde. Als er zum Action-Superstar und Inbegriff der Kaltblütigkeit wurde, war er bereits Mitte 50. Meist prägte seine Figuren das DEATH WISH-Karma vom einsamen Rächer, der nichts mehr zu verlieren hat. Hier kämpft er um seine Familie; seine Aggression kommt aus der Verzweiflung, und er tötet nur, wenn es keinen anderen Ausweg gibt. Seine Gegner töten aus Lust, Langeweile und Gewohnheit. Für die durchgeknallte Hippiebraut Moira ist Mord ein Ausdruck von Selbstbestimmung und Revolte gegen das Establishment, für den Fremdenlegionär „Katanga“, der nicht einmal einen Namen hat, ist es blutiges Handwerk.
KALTER SCHWEISS (nicht zu verwechseln mit dem Michael-Winner-Film KALTER HAUCH) war hierzulande über Jahrzehnte nur selten zu sehen und erweist sich retrospektiv als Entdeckung aus einer verlorenen Ära abseits von Giallo oder New Hollywood. Nach einer inzwischen vergriffenen DVD von Kinowelt hat Koch Films ihn mittlerweile in sorgfältiger Bearbeitung als neue Blu-ray-Veröffentlichung vorgelegt.
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Cold Sweat / De la part des copains, Italien/Frankreich 1970 | Regie: Terence Young | Drehbuch: Shimon Wincelberg, Albert Simonin, nach Richard Matheson | Musik: Michel Magne | Kamera: Jean Rabier | Darsteller: Charles Bronson, Liv Ullmann, James Mason, Jill Ireland, Michel Constantin | Laufzeit: 90 Min.
Anbieter: : Koch Films