Txantxigorri, Tarttalo, Inguma.

Wer denkt, dass Spanien einfach nur aus Stränden, Sonnenschein und Wüstengebieten besteht, wird sich erst einmal wundern, wenn er den ersten der drei Serienmörder-Krimis nach den Bestsellern von Dolores Redondo Meira sieht. Ihre erfolgreiche Hommage an das nördliche Baskenland, das an Frankreich angrenzt, spielt in nebelverhangenen Tälern, dichten Wäldern und oft strömendem Regen. Nicht die schlechteste Umgebung für Serienmorde – und auch sonst besitzen die drei Bücher und Filme einige der Zutaten, die einen Serial Killer Film heute reizvoll machen. Undurchdringliche Dorfgeschichten, seltsame kultische Rituale, eine zu aufgeklärte Kommissarin, die jedoch in einen persönlichen Strudel von Familiengeschichten gerät. Wer sich nun allerdings einen verkappten Giallo erhofft, dürfte enttäuscht werden. Die drei Filme der Baztan-Trilogie sind Kriminalfilme, die mit etwas überdurchschnittlichen Gruseleffekten angereichert wurden. Im spanischen Kino feierten sie große Erfolge, aber sie sind eben auch Mainstream.

DAS TAL DER TOTEN MÄDCHEN beginnt mit der Leiche eines 13jährigen Mädchens, die nackt und von ihrem Mörder gereinigt aufgefunden wird. Auf ihrer Scham liegt ein Txantxigorri – ein rundes Gebäck aus der Region. Eine Region notabene, in der Schweinefleisch, Schmalz, Brot und Zucker zu einem Brötchen zusammengebacken werden, kann durchaus einen sanften Schauer auslösen. Wer sowas zu kultischen Morden benützt, gehört definitiv ins Kittchen. Kommissarin Amaia Salazar (Marta Etura) kehrt für diesen Mord zurück in ihren Heimatort, den Schoß ihrer Jugend, und trifft nicht nur auf einen Serienmörder (denn schnell stellt sich heraus, dass die Fasern des Mord-Stricks mit denjenigen eines früheren Mordes übereinstimmen), sondern auch auf ein zerrüttetes Verhältnis zu ihrer Schwester Flora, die im Ort geblieben ist – und als Bäckerin über die Herkunft des Txantxigorri Auskunft geben kann.

Problematischer werden die Verhältnisse noch, als sich herausstellt, dass Flora zu vertuschen suchte, dass das Mordsgebäck aus der eigenen Bäckerei stammt. Aus dem Grund wird Amaia wegen Befangenheit vom Fall abgezogen. Abgezogen heißt aber nicht abgedüst. Amaia bleibt. Als sie ihre Mutter in einer Klinik besucht, wird sie als Hure beschimpft und unsanft angegangen, kann jedoch verschiedene Beziehungen herstellen, die ihr die Möglichkeit geben, die Jagd auf den Killer aufzunehmen. Die Story nimmt Fahrt auf, wird auch „abgeschlossen“, doch gleichzeitig tun sich Verbrechen von größeren Ausmaßen auf. Davon handelt der Folgefilm DAS TAL DER VERGESSENEN KINDER.

War Amaias Mann James (Benn Northover) bereits im ersten Teil ein fürsorglicher Ehemann, der sich entspannt um Alltagsprobleme kümmert, während seine Frau overtime als Kommissarin arbeitet, so opfert sich der Ehemann im zweiten und dritten Film der Trilogie nun noch mehr zugunsten des anstrengenden Jobs von Frau Salazar. Es ist eine Stärke in der Darstellung der Beziehung, dass der Beruf mit Überzeit nicht übermäßig zum Problem hochstilisiert wird, wie das Krimistandards fast schon vorgeben. Und das, obwohl Amaia Salazar in DAS TAL DER VERGESSENEN KINDER Mutter geworden ist.

Gleichzeitig bedroht ihr Fall zumindest emotional ihr frisches Muttersein – denn sie muss (zurück) im Baztan-Tal Kirchenschändungen untersuchen, bei denen sogar ein Babyskelett auf den Altar gelegt wurde. Und zusammen mit dem seltsamen, dämonischen Verhalten einiger Häftlinge, die sich kultisch selbst umbringen, und schließlich dem merkwürdigen Benehmen von Amaias Mutter im Spital, scheint sich alles um ein Wort zu drehen: Tarttalo. „Tartallo“ steht auf den Körpern der Selbstmörder – in Blut, versteht sich. Die Bedeutung des Wortes lässt sich zwar nachlesen, jedoch nicht sehr einfach in einen Zusammenhang setzen. Tartallo ist ein Zyklop, der Christen verschlingt. Hoppla. Aber die Soße kommt noch dicker: Die DNA des auf dem Altar gefundenen Kindes ist identisch mit Amaias DNA. Es geht um Kindermorde, die wiederum tragisch mit ihrer persönlichen Geschichte verknüpft sind. Mehr sei nicht verraten, doch der zweite Teil deckt eine Verbindung zwischen zynischer Wissenschaft (Psychiatrie) und mittelalterlichem Irrglauben fürs Volk auf. Wie Macht in heutigen Zeiten (immer noch) funktioniert – auch wenn der Film das nicht tiefschürfend behandelt, so doch durchaus spannend.

In DAS TAL DER GEHEIMEN GRÄBER zieht die Spur der Kindstötungen noch weitere Kreise. Ein Vater erstickt sein Baby im Schlaf, wenig später verschwindet die Leiche aus dem Grab. Wieder werden grausame Taten von den Bewohnern mit geheimnisvollen Mythen in Verbindung gebracht. Ist Inguma verantwortlich, ein Alpträume evozierendes Wesen, das im Schlaf den Atem rauben kann? Aimara Salazars Kampf ist auch ein Kampf gegen diese völlig irrationalen Erklärungen, die einen vor aufklärerische Zeiten zurück zu katapultieren scheinen. Die Exekutive (Aimara / Polizei) stemmt sich dagegen, doch im Verlauf des Films zeigt sich, dass sehr rationale Kräfte durchaus mit dieser landläufigen Meinung operieren. Dass vielleicht auch Angst dazu führt, dass man sich mit diesen Erklärungen zufrieden gibt.

Die Polizei stellt jedenfalls fest, dass auch bei älteren Kindstoden, alle entlang des Rio Baztan, die Eltern zu großem Reichtum gekommen sind.

Filmkriminalistisch gebildete Menschen werden sich nicht wundern, dass Aimara allen Widrigkeiten zum Trotz auf ein abgelegenes Landhaus stößt, in dem eine geheimnisvolle Gruppierung offenbar Kinder getötet hat. Irgendwann hat man auch raus, wer der oder die StrippenzieherIn ist, aber egal, spannend bleibt‘s. Denn die Baztan-Trilogie liegt doch noch recht über dem Krimi-Durchschnitt, die Stories sind gut erzählt, die Kommissarin und ihre Entourage nerven fast nicht und nicht zuletzt ist die ständige Ausweitung der Kindermord- und -missbrauchsfälle nicht nur dramaturgisch geschickt und faszinierend. Gezeigt wird auch die schiere Endlosigkeit des Themas Kindsmissbrauch – und wie schwer es die rationale Aufklärung hat, die sich nicht auf Verschwörungstheorien einlässt.

El guardian invisible
Spanien 2017
Regie: Fernando Gonzalez Molina
Drehbuch: Luiso Berdejo, nach dem Roman von Dolores Redondo
Kamera: Flavio Martinez Labialo
Musik: Fernando Velazquez
Darsteller: Marta Etura, Elvira Minguez, Carlos Librado, Francesc Orella, u.a.
Laufzeit: 129 Min.

Legado en los huesos
Spanien 2019
Regie: Fernando Gonzalez Molina
Drehbuch: Luiso Berdejo, nach dem Roman von Dolores Redondo
Kamera: Xavi Gimenez
Musik: Fernando Velazquez
Darsteller: Marta Etura, Benn Northover, Alvaro Cervantes, Susi Sanchez, u.a.
Laufzeit: 121 Min.

Ofrenda a la tormenta
Spanien 2020
Regie: Fernando Gonzalez Molina
Drehbuch: Luiso Berdejo, nach dem Roman von Dolores Redondo
Kamera: Xavi Gimenez
Musik: Fernando Velazquez
Darsteller: Marta Etura, Elvira Mínguez, Carlos Librado, Leonardo Sbaraglia, u.a.
Laufzeit: 139 Min.