„Der Name der Rose“ auf Arabisch.

Von Friederike Grabitz

Adam, ein Fischersohn aus dem Norden Ägyptens, ist die Hoffnung seiner Familie: Er hat ein Stipendium für die renommierte Al-Azhar-Universität bekommen, die Kaderschmiede sunnitischer Geistlicher im Maghreb. Linkisch und schüchtern, mit großen staunenden Augen beginnt er in der klösterlich-strengen Welt des Internats als einer von hunderten jungen Männern ein neues Leben. Doch kurz nach seiner Ankunft stirbt der große Imam, eine Art Papst der Sunniten. Die Lehrenden, die in ihrem Unterricht die Askese und das Jenseits predigen, treten in einen erbitterten Machtkampf um seine Nachfolge, in der die konservativen Muslimbrüder sich mit einem Kandidaten gegen den Kandidaten des Präsidenten stellen.

Als Neuling ohne politische Verbindungen wird Adam mehr verpflichtet als gefragt, eine fundamentalistische Gruppe innerhalb der Uni auszuspionieren. Doch bald weiß er nicht mehr, für wen er eigentlich arbeitet und wem er vertrauen kann. Schnell wird er selbst Teil eines Systems, das er erst nach und nach durchschaut, und gerät an den gefährlichsten Ort: Zwischen die Fronten einer Intrige.

Wenig überraschend wird aus dem unschuldigen Jüngling ein Verräter, der zu spät bemerkt, wie klebrig die Netze der Mächtigen sind. Aus Adam, dem ersten Mann, wird der aus dem Paradies Vertriebene. Diese Wandlung spielt der bisher in Europa unbekannte Schauspieler Tawfeek Barhom subtil und mit großer Komplexität und Tiefe. Das in Cannes vergoldete Drehbuch gibt dem Sujet, das anfangs für die Zuschauer ebenso verwirrend ist wie für Adam, einen meisterlich gezimmerten Rahmen: Es ist, als hätte man John Le Carré mit Umberto Ecos „Name der Rose“ gemischt und nach Ägypten verlegt. Wie das Buch des Italieners ist auch DIE KAIRO-VERSCHWÖRUNG etwas zu lang geraten, kann aber trotzdem den Spannungsbogen in weiten Teilen halten. Tatsächlich war der italienische Intellektuellen-Thriller eine Inspiration für die Geschichte, sagt Regisseur und Drehbuchautor Talik Saleh in einem Interview. Die Al-Azhar-Universität kannte er, weil sein Großvater sie einst besucht hatte.

Dort zu drehen, war keine Option, „dort bin ich nicht willkommen“, sagte der Exil-Ägypter Saleh. Also sollten die prunkvollen Gebäude der Universität in Marokko nachgebaut werden. Doch dann machte Corona der europäischen Koproduktion einen Strich durch die Rechnung. Gedreht wurde am Ende in Istanbul, wo mit großer Sorgfalt bildgewaltige Tableaus in der schlichten Ornamentik der islamischen Architektur und Ästhetik entworfen wurden. Entstanden ist dabei ein „Thriller bei Tageslicht“, sagt Saleh. „Wenn etwas in der Dunkelheit passiert, kannst du das Licht anmachen. Am Tag geht das nicht, und das macht es noch erschreckender“.

Es ist das erste Mal, dass das religiöse System der Sunniten mit Verbindungen zum ägyptischen Staat und korrupten Polizeikräften so intim und entlarvend gezeigt wird. Dass er sich an eine solche Geschichte gewagt hat, begründet Saleh damit, dass er schon immer eine Skepsis gegen Autoritäten hatte: „Ich mag es nicht, wenn jemand mir sagen will, was ich zu tun habe“.

Bleibt zu hoffen, dass der Film nicht von antimuslimischen Kräften für braune Propaganda missbraucht wird. Wahrscheinlich haben alle religiösen Systeme etwas gemeinsam, vor allem, wenn sie in strenge Hierarchien eingebaut sind: Es gibt einen spirituellen Kern, viele Grautöne und Farben und ein Gerüst aus sehr weltlicher Macht.

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Walad Min Al Janna, Schweden, Frankreich, Finnland, Dänemark 2022 | Regie: Talik Saleh | Drehbuch: Talik Saleh | Kamera: Pierre Aim | Musik: Krister Linder | Darsteller: Tawfeek Barhom, Fares Fares, Mohammad Bakri u.a. | Laufzeit: 126 Min.

Kinostart: 6.04.2023