MODELO 77 beginnt einige Monate nach Diktator Francos Tod 1975 und zeigt die Aufbruchstimmung in den spanischen Gefängnissen, die größer nicht sein kann, aber trotz der Demokratisierung des Landes kaum Erfolge zeitigt. Was wie ein Artmovie-Drama klingt (und ist), ist jedoch genau so sehr ein fieser, aber intelligenter Gefängnisfilm, manchmal am Rand zum Exploitationfilm.
Der Film, der sich von wahren Begebenheiten inspirieren lässt, beginnt bereits sehr gemein. Der junge Buchhalter Manuel Gomez (Miguel Herran, HAUS DES GELDES) muss 1976 wegen Unterschlagung ins Modelo-Gefängnis in Barcelona. Was ihm in der Folge an Ungerechtigkeiten geschieht, ist abstoßend – aber wir befinden uns ja noch mit eineinhalb Beinen im Spanien des Franco-Regimes… oder? Gerade führt Franco Nach-Nachfolger Adolfo Suarez in der spanischen Gesellschaft einige Reformen ein (unter anderem eine Gefängnisreform) und die demokratische Opposition beklatschte vor allem, dass wieder Parteien eingeführt wurden. Ganz gewaltlos ging der Übergang allerdings nicht vonstatten. Das sogenannte „Massaker von Vitoria“ gegen streikende Arbeiter im März ‘76 oder das „Blutbad von Atocha“ gegen Anwälte der linken Gewerkschaft sind Zeugen dessen.
Der Kampf für eine Amnestie ist in MODELO 77 also absolut gerechtfertigt und hätte durchaus Berücksichtigung verdient. Schließlich wurden im Franco-Regime Homosexuelle und Kommunisten mehr oder weniger grundlos eingesperrt. Manuel jedenfalls gerät an eine Gruppe linker Insassen, weil er sich weigert, sich von den gewalttätigen Gefängniswärtern brechen zu lassen. Im Gegenteil, er behält seinen Anzug (seinen Stolz als Zivilbürger) so lange an, wie er kann. Der Film beginnt mit den obligaten zwei Wochen Isolationshaft für nichts, wo Insekten wüten, ihm die Matratze weggenommen wird und er Abszesse entwickelt. Er lässt sich auch nach den später folgenden, brutaleren Methoden der Wärter nicht brechen.
Manuel ist aber auch zu stolz, um auf die einfache Art aus dem Gefängnis zu kommen: Die Avancen der einzigen Frau im Film, Lucia (Catalina Sopleana), die ihn immer wieder besucht, lehnt er aus Stolz ab. Und irgendwann ist seine Wartezeit auf den Prozess auf vier Jahre angeschwollen – für eine Unterschlagung, wohlgemerkt.
Das Spiel von Hoffnung und Enttäuschung geht einige Male hin und her, dramaturgisch überzeugend und gut gefilmt. Mit Anwälten, die ihr Glück versuchen, mit risikoreichen PR-Aktionen der (linken) Insassen wie dem Protest auf dem Dach des Gefängnisses, der tatsächlich stattgefunden hat – wie auch die bekannte Flucht von 45 Insassen aus dem Modelo-Gefängnis 1978. Die Flucht bildet zwar einen schönen Abschluss des Films, doch was bleibt, ist der kleine Spielraum, Gerechtigkeit zu erreichen in der untragbaren Situation eines Gefängnisses. Die Ohnmacht gegenüber der Macht der Wärter und der Macht einiger Insassen.
Die Kamera wagt (wie die Protagonisten) auch mal den Blick aus dem Gefängnisfensterchen. Die ganze Zeit über erstrahlt prominent die nächtliche Neonwerbung auf der anderen Straßenseite, die für Farbfernseher wirbt. Sie fordert dazu auf, „in die Farbe zu springen“. Die Konsumwelt wirbt bereits mit der Verlockung, die schwarzweiße Welt des Franquismus zu verlassen, während die (Gefängnis-) Strukturen noch überhaupt nicht so weit sind.
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Modelo 77, Spanien 2022 | Regie: Alberto Rodriguez | Drehbuch: Rafael Cobos, Alberto Rodriguez | Kamera: Alex Catalán | Musik: Julio de la Rosa | Darsteller: Miguel Herran, Javier Gutierrez, Jesus Carroza, Fernando Tejero, Catalina Sopleana u.a. | Laufzeit: 125 Min.