Blut ist das zentrale Thema in Jennifer Reeders zweitem Spielfilm nach KNIVES AND SKIN (2019). Vom Nasenbluten bis hin zu richtig gehenden Seen voller Blut und allem dazwischen – inklusive natürlich Periodenblut. Denn thematisch geht es in PERPETRATOR um das Frau-Werden in den späten Teenagerjahren. Nicht nur das innere Gefühlschaos, sondern vor allem auch die Außenwelt, die Gefahren, denen sie ausgesetzt sind. Und Reeder schreckt in dieser Shudder-Produktion überhaupt nicht vor überaus drastischen Szenen zurück.
Jonny ist eine junge Schülerin (Kiah McKirnan), die sich und ihren arbeitslosen Vater mit Einbrüchen über die Runden bringt. Weil aber zu ihrem 18. Geburtstag etwas Geheimnisvolles geschehen würde, mit dem der Vater nicht fertigwerden würde, schickt er sie zu jemandem, der das offensichtlich kann: Tante Hildie (Alicia Silverstone). Hildie ist eine Art nette Begleiterin mit gothic Hexenappeal. Sie weiss mehr, als es auf den ersten Blick scheint. Coole, altmodische Exzentrik in Pelz ist das eine, ihre paranormalen Fähigkeiten sind die andere Seite von Tante Hildie. In dieser Familie entwickeln die Menschen zum 18. Geburtstag eine Art hochsensorische (aber etwas unklare) Empathie, aus der heraus Jonny auch mit verrückten körperlichen Anomalien wie seltsam auftretendem Nasenbluten zu kämpfen hat. Oder, wie Hildie es definiert: „We are proxies. Surrogates. Mimics. Mirrors. We turn, we fake, we follow, we bend, we shift, we shape. We tune way in.“
Auch die Schule im neuen Ort entpuppt sich als seltsam. Nicht nur, dass sie gleich zu Anfang gefragt wurde, ob sie sexuell aktiv sei. In der Schule werden auch Übungen gegen Amokläufer durchgeführt, die einer gewissen Absurdität nicht entbehren. Dabei verkleidet sich der Securitychef mit einer verrückten Maske als Amokläufer und schaut, wer richtig reagiert. Und weist die Mädchen zurecht, die falsch reagieren. Schlimm für die Girls, denn auch die Eltern zuhause werden das erfahren: „Ich muss mich dafür entschuldigen, dass ich getötet wurde.“
Schlimmer ist allerdings, dass in letzter Zeit mehrere Mädchen aus der Gegend verschwunden sind. Unter Drogen gesetzt und in die Wohnung eines maskierten Psychopathen entführt, der besorgniserregende medizinische Behandlungen an den jungen Frauen durchführt – und damit droht, dass alles noch viel schlimmer werden könnte. Die verstörenden Szenen mögen an Cronenberg erinnern, die Atmosphäre ist sehr lynch-mäßig. Jennifer Reeder als Regisseurin nimmt sich heraus, verstörende Gewalt an Frauen zu zeigen. Misshandlungserfahren sehr körperlich erlebbar zu machen, darf heutzutage durchaus das Privileg von Frauen sein (s. auch Julia Ducournau). Natürlich spielt Blut in diesen Szenen eine bedeutende Rolle. Das Blut der jungen Frauen muss angezapft werden, denn das Blut der jungen Frauen ist Power, Potenz und Potenzial.
Die gefangenen Schülerinnen sind alle zuvor mit Kirk (Sasha Kusnetsov) ausgegangen, dem Sohn des unangenehmen örtlichen Polizeichefs. Als nun Jonny mit Kirk ein Date ausmacht, zeigt sich PERPETRATOR endgültig auf den Spuren von Lynchs Kleinstadtidyllenhorror à la BLUE VELVET. Auch wenn die Stimmungen des Films zwischen verstörend und skurril eine wunderbare Gesamttemperatur des Films schaffen, leidet PERPETRATOR doch unter einigen Längen und Schwächen. Das macht den Film tatsächlich weniger unterhaltsam – trotz seiner sehenswerten und faszinierenden Horror-Radikalität.
Perpetrator
USA / Frankreich 2023
Regie & Drehbuch: Jennifer Reeder
Kamera: Sevdje Kastrati
Musik: Nick Zinner
Darsteller: Kiah McKirnan, Melanie Liburd, Ireon Roach, Casimere Jollette, Tim Hopper, Alicia Silverstone, Taylor Kinkhead u.a.
Laufzeit: 100 min.
Der Film lief am Neuchâtel International Fantasy Film Festival 2023