Home-Swap mit den Brüdern Grimm.

Das Ehepaar Anna und Marc steckt in einer etwas beziehungslosen Beziehung. Sie kocht für ihn, räumt auf und will auch mal einen Namen für das kommende Baby mit ihm bequatschen. Doch er arbeitet zu viel, kommt zu spät nach Hause und hat vor dem Einschlafen noch sein Virtual Reality Headset auf. Deshalb entscheidet die hochschwangere Anna (Belen Cuesta) gleich mal für beide und plant als Ferien einen Wohnungstausch mit einem deutschen Ehepaar, das in no time auf Annas Onlineinserat reagiert hat und eine äußerst luxuriöse Villa im Schwarzwald ihr Eigen nennt. Beim gemeinsamen Treffen zum Schlüsseltausch beginnt die schwangere Anna zwar, etwas skeptisch zu werden (und wir mit ihr), doch nun ist Marc (Jorge Suquet) begeistert. Die älteren, schrulligen Deutschen Olga (Hildegard Schroedter) und Hans (Rainer Reiners) sind derart freigiebig, dass Hans Marc einfach so seine Smartwatch schenkt, und dass Anna und Marc im Maserati der Deutschen in deren Villa rasen. Eine hypermoderne Luxusvilla mitten im Schwarzwald, alles automatisch und digitalisiert, viel Glasarchitektur. Digitalisierung ist Transparenz.

Die reichhaltige und abwechslungsreiche Exposition gleitet in den ersten Überraschungseffekt, wenn wir erleben dürfen, dass die oberste Maxime beim Wohnungstausch, „Respektiere die Sachen der anderen in der Wohnung“, von Olga und Hans gleich von Anfang an aufs gröbste geschändet wird. Sie scheinen gleich mal alles auf den Kopf zu stellen in Annas und Marcs kleiner Stadtwohnung mitten in Barcelona. Doch was erst seltsam erscheint, entfaltet sich langsam zu einem größeren Plan. Doch was für einer? Regisseurin Mar Targarona versteht es, uns immer wieder mit skurrilen Details und gröberen Spannungs- und Horrorszenen zu überraschen, die uns weitere Hinweise verraten, worauf die Story hinausläuft – die uns aber raffiniert vorenthalten, was da genau vor sich geht. Irgendwie scheint hier viel ROSEMARY’S BABY drin zu stecken, aber dann auch wieder nicht. Taragona versteht das Spiel, Spannung zu erzeugen und die Story in der Schwebe zu halten.

Dass sich die moderne Villa im Schwarzwald befindet, ist kein Zufall. Dort sitzen seit den Brüdern Grimm das Gruseln und das Grauen. Die hypermoderne Villa ist für Anna und Marc natürlich auch ein Käfig, wie es das Hexenhaus für Hänsel und Gretel einst war. Marcs Begeisterung hält an (er ist so bestechlich wie Cassavetes in ROSEMARY’S BABY), während Anna von einer psychisch instabilen Frau überrascht wird, die sie eindringlich warnt: „Du musst fliehen, du bist die nächste.“ Leider versteht Anna kein Deutsch.

Als sich später noch die mondäne und äußerst attraktive Lili (Chacha Huang) in das Ferienleben von Anna und Marc drängt und sich als Tochter des dicken deutschen Paares vorstellt, kommt erwartungsgemäß auch eine erotische Komponente ins Spiel.

Der Aufenthalt im Schwarzwald wird zum Spiel mit Masken und Verstecken. Es gibt einen fantastischen virtuellen Spiegel, der einem nicht nur ein (kleidungsmäßig) neues Ich vorsetzt, sondern auch ein Geheimnis „dahinter“ verbirgt. Es gibt eine rituelle Fastnacht, in der die Menschen (ihre eigenen) Holzmasken tragen. Und es gibt Kuckucksuhren. Schließlich führt die Parallelmontage der beiden Paare in Spanien und Deutschland spiritualistisch immer enger zusammen, was die eigentliche Absicht des deutschen Paares ist. Die rituellen Bäder von Olga und Hans, ihre dämonischen Beschwörungen und die ständige Brutmetaphorik des Kuckucks werden derart schön in den Film eingebettet, dass wir wirklich erst gegen Ende durchschauen, was sich vor unseren Augen abspielt. Und auch danach bleibt die Spannung bestehen. Außerdem lässt sich die Story wunderbar aus der psychologischen Perspektive des spanischen Paares betrachten: Was will sie, die Schwangere? Was will er, der Überarbeitete?

Was Mar Targaronas Horrorfilm vor allem auch ausmacht, ist die Vielfalt psychologischer Details und kleiner Gesten, die alle am einen oder anderen Ort wieder auftauchen und bedeutungsvoll werden. Sei es, dass Anna ein Techtelmechtel mit ihrem Nachbarn hatte, oder einfach nur, dass der Pürrierstab erst richtig funktioniert, wenn man draufklopft (Remember this!). Dass auch einmal allzu platt auf die PSYCHO-Duschszene angespielt wird und das Deutsch einiger Protagonisten nicht sonderlich deutsch klingt – geschenkt! Der Film ist auf hohem Niveau und verschafft höchst befriedigenden Angstlust-Spaß!

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El Cuco, Spanien 2023 | Regie: Mar Targarona | Drehbuch: Roger Danes, Alfred Perez Fargas | Kamera: Rafa Uluch | Musik: Diego Navarro | Darsteller: Belen Cuesta, Hildegard Schroedter, Chacha Huang, Jorge Suquet, Rainer Reiners u.a. | Laufzeit: 98 min.

Der Film lief am Neuchâtel International Fantasy Film Festival 2023