Ein weißer Hai.

Im Jahr 1975 war es, als ein damals noch sehr junger Regisseur namens Steven Spielberg mit der Inszenierung eines Romans von Peter Benchley beauftragt wurde: DER WEISSE HAI, international besser bekannt als JAWS. Durch Spielbergs Ausnahmetalent, das bereits in seinen Frühwerken voll zur Geltung kam, war es gelungen, das bis dahin unterschätzte Horrorgenre aus der Schmuddelecke herauszuholen und so den Weg für weitere Grusel-Blockbuster zu ebnen. Es gab nicht nur drei Sequels zu JAWS selbst. Es entstand ein eigenes Subgenre, häufig als Sharksploitation bezeichnet, das mit Filmen wie MEG (2018) und MEG 2 (2023) bis zum heutigen Tag Zuwachs bekommt.

Zuvor versuchten sich nicht zuletzt viele heute berühmte Regisseure in ihrer Anfangszeit am Unterwasserhorror, darunter James Cameron in PIRANHA 2 (1982) und Joe D’Amato in SHAKKA- DIE BESTIE AUS DER TIEFE (1989). Selbst in dem Bond-Streifen DER SPION, DER MICH LIEBTE (1977) wird JAWS zitiert, wo ein Auftragskiller eben dieses Namens auftritt, der in einer Szene einen Hai(!) totbeißt. Dazwischen gab es eine Legion vor allem kostengünstiger Haifilme, die alle versuchten auf der Sharksploitation-Welle – man möge mir das Wortspiel verzeihen – mitzuschwimmen.

Ein in vieler Hinsicht bemerkenswerter Beitrag ist THE LAST JAWS – DER WEISSE KILLER (L’ultimo squalo) aus dem Jahr 1981 des in Europa durchaus bekannten Enzo Girolami Castellari.
Ort der Handlung ist ein kleiner amerikanischer Touristenort, vor dessen Küste sich mehrere unerklärliche Todesfälle ereignen, welche nach Meinung eines Experten nur ein riesiger Hai verschuldet haben kann. Die Warnungen werden vom Bürgermeister des Städtchens zunächst ignoriert, bis eine Handvoll Männer sich schließlich auf die Jagd nach dem Hai macht und diesen nach weiteren blutigen Verlusten schließlich spektakulär zur Strecke bringt.

Dass dieser Plot nach einer Mischung aus JAWS und JAWS 2 klingt, ist sicher kein Zufall, wobei man fairerweise sagen muss, dass bereits JAWS 2 nicht mehr als ein Aufguss von JAWS war und die Teile 3 und 4 im Grunde auch wieder dieselbe Story erzählen. Universal Pictures sah dies jedoch naturgemäß anders. Während des Kinostarts von THE LAST JAWS im Jahr 1981 arbeitete man bereits an der Fortsetzung von JAWS 2 und fürchtete angesichts eines Films, der schamlos als dritter Teil der JAWS-Reihe vermarktet wurde (auf dem Poster war sogar an sehr prominenter Stelle die Ziffer „3“ zu sehen!), um die Einnahmen seines eigenen Franchise. So wurde gegen den Film kurz nach dem US- Kinostart der Vorwurf einer Urheberrechtsverletzung erhoben und ein landesweites Aufführungsverbot erwirkt. Dies war besonders schade, da für die US-Fassung eine völlig neue Filmmusik des Komponisten Morton Stevens eingespielt wurde, die heute zwar als Album erhältlich ist, während die Filmkopien von THE GREAT WHITE (so der US-Titel) leider als verschollen gelten.
Enzo Castellari hat in Italien durchaus den Ruf eines Kultregisseurs. Bei uns ist er vor allem durch Filme wie KAMPF UM DIE 5. GALAXIS (1979), KEOMA (1976) und EIN HAUFEN VERWEGENER HUNDE (1978) bekannt, der Quentin Tarantino als Vorlage für seinen Erfolgsfilm INGLOURIOUS BASTERDS (2009) diente, und in dem Castellari sogar ein Cameo hat.

In THE LAST JAWS besetzte er, wie in italienischen Filmen oft üblich, mehrere amerikanische B-Schauspieler, um so eine internationale Vermarktung zu ermöglichen. Hier waren es James Franciscus, der in RÜCKKEHR ZUM PLANET DER AFFEN als Charlton-Heston-Ersatz zu sehen war, sowie Vic Morrow, der auf eine Vielzahl von Film- und Fernseheinsätzen zurückblicken konnte, bis er bei den Dreharbeiten zu UNHEIMLICHE SCHATTENLICHTER (1983) durch einen tragischen Unfall ums Leben kam.

Trotz des offensichtlichen Plagiatsversuchs muss Castellaris Werk einen Vergleich mit seinen Vorbildern keineswegs scheuen. Aufgrund der Tatsache, dass große Teile des Films in Georgia gedreht wurden, merkt man THE LAST JAWS seine europäische Herkunft praktisch nie an. Auch das von Georgio Ferrari und Giorgio Pozzi entwickelte Animatronikmodell des Hais sieht nicht nur weit weniger nach Plastik aus, es ist auch viel agiler als der Hai der Universal-Reihe, der gerade in JAWS 2 extrem statisch und unbeweglich daherkommt. Der italienische Hai ist nicht nur schlauer als sein Überseebruder (er kann gezielt Gitter zerstören und sogar Höhleneingänge zum Einsturz bringen!), er bekommt regelrechte Actionszenen spendiert. Castellaris Bruder Ennio Girolami (als Matt) wird bei einem Angriff mitsamt seinem Boot meterweit aus dem Wasser katapultiert. Tochter Stefania Girolami (als Jenny) verliert ein Bein, während Joshua Sinclair (als Bürgermeister Wells) einen Rumpf kürzer gemacht wird, als er sich aus einem Helikopter abseilt, den unser Meeresräuber im Anschluss auch noch in Kleinteile zerlegen darf (wobei letzteres freilich eine weitere Anleihe aus JAWS 2 darstellt).

Was zudem auffällt ist, dass THE LAST JAWS komplett ohne Sexmotive auskommt. Während das Horrorgenre in Hollywoodfilmen stets dazu genutzt wurde, Teenagern vorehelichen Sex zu vermiesen, indem vorzugsweise diejenigen gekillt wurden, die soeben kopuliert hatten (oder es zumindest wollten), sucht man diese Art Zeigefingermoral im italienischen Exploitationkino zum Glück eher vergeblich.
Dass Castellari zwischendurch immer wieder Archivmaterial von echten Haien verwendet, ist eine gängige Praxis, die sogar schon in der TV-Serie FLIPPER zum Einsatz kam. Dafür darf Castellari sich rühmen, dass Teile von THE LAST JAWS in den Filmen DER KAMPFGIGANT (1987) und dem schon erwähnten SHAKKA – BESTIE DER TIEFE (1989) wiederverwendet wurden.

Unbedingt erwähnt werden muss noch die Musik in THE LAST JAWS, für die sich (bis auf die US-Version) die Brüder Guido & Maurizio De Angelis verantwortlich zeichneten, besser bekannt als das Pop-Duo „Oliver Onions“. Ihre poplastigen Scores waren Bestandteil vieler Italoproduktionen, darunter des Poliziotteschi TOTE ZEUGEN SINGEN NICHT (1973), den Giallo TORSO (1973) sowie den melancholischen Western KEOMA (1976). In Deutschland dürfte das Gespann vor allem durch die Musik zu unzähligen Spencer/Hill-Streifen bekannt sein, allem voran durch „Flying Through the Air“, den Titelsong des Films ZWEI HIMMELHUNDE AUF DEM WEG ZUR HÖLLE (1972).

Die deutsche Fassung, die hierzulande tatsächlich im Kino lief, ist leicht gekürzt, interessanterweise aber nicht um Gewalt. Die solide deutsche Synchro stammt erfrischenderweise aus dem Erscheinungsjahr des Films, so dass man hier anders als in vielen anderen Werken der 80er Jahre zeitgenössische Sprecher hört, darunter „ALF“-Stimme Tommi Piper und Bud-Spencer-Stimme Wolfgang Hess.

Anolis hat dem Film ein BD-Mediabook mit vier Motiven spendiert, das den Film einmal ungekürzt und einmal in der deutschen Kinofassung enthält. Neben zwei Audiokommentaren, dem italienischen, amerikanischen und dem deutschen Trailer gibt es drei ca. zwanzigminütige Interviews mit Regisseure Enzo Castellari, Produzent Uggi Tozzi, sowie Jimmy-Darsteller Massimo Vanni.

Wer den Film aus seiner Jugend kennt, wird sich über die VÖ sicherlich freuen. Für diejenigen, die sich das launige italienische Exploitationkino gerade zum ersten Mal erschließen, sei hier auf jeden Fall eine Empfehlung ausgesprochen. Der Film ist nicht nur wesentlich besser gealtert als die JAWS-Sequels, er macht einfach richtig Spaß.

L’ultimo squalo
Italien 1981
Regie: Enzo G. Castellari
Darsteller: James Franciscus, Vic Morrow, Joshua Sinclair, Micaela Pignatelli, Stefania Girolami, Massimo Vanni u.a.