Der eiskalte Engel kann sprechen.

Was in den ersten Einstellungen wie ein Giallo mit schwarzen Handschuhen beginnt, entpuppt sich als die ganz geradeaus erzählte Rachestory eines Auftagskillers. Von Anfang an befinden wir uns in einem leeren Zimmer gegenüber eines Luxushotels mitten in Paris, Gedanken an Melvilles DER EISKALTE ENGEL (LE SAMOURAI) poppen auf, welche die Erwartungen viel zu hoch schrauben. Aber in dieser ersten von fünf Städten, in die Fincher seinen Film strukturiert, schafft es der Film, in der Leere der Handlung Spannung hervorzurufen. Der Killer (Michael Fassbender) steht, liegt, trainiert in diesem leeren Raum, wartet Tage und Nächte auf den richtigen Moment gegenüber, und wiederholt gebetsmühlenhaft seine Verhaltensregeln als Auftragskiller. So, als müsste er sich stets selber davon überzeugen, um auf Linie zu bleiben. Im Gegensatz zum stummen LE SAMOURAI hören wir die Stimme des Killers aus dem Off: „Es kommt auf die Vorbereitung an, den Blick auf Details, auf Redundanzen“, „Vermeide es, gesehen zu werden, was unmöglich ist im 20. Jahrhundert – also vermeide es zumindest, in Erinnerung zu bleiben“ usw… Für uns Zuschauer bleibt der Satz hängen: „Wenn man nicht in der Lage ist, Langeweile zu ertragen, ist die Arbeit nichts für einen.“ Wir warten mit dem Killer. Wann wird er endlich schießen? Wann ist der richtige Moment? Dass dieses Fegefeuer der filmischen Langweile die Spannung generiert, ist die eigentliche Leistung der ersten Szene.

Trotzdem ist einiges dramaturgisch vergeben. Aus der schönen REAR WINDOW-Fassade des Hotels wird z.B. viel zu wenig gemacht. Nachdem genau dieser eine Schuss, der ihm zur Verfügung steht, das falsche Ziel trifft (und wieder einmal muss eine Prostituierte als Opfer her, als Objekt, zu dem wir möglichst wenig Emotionen entwickeln sollen), beginnt eine Flucht durch die französische Hauptstadt, im E-Roller, verkleidet „als deutscher Tourist“.

Als er in der Dominikanischen Republik entdeckt, dass seine Freundin überfallen wurde und im Spital liegt, will er der Sache mit Rache auf den Grund gehen. Seine Auftraggeber haben Killer engagiert, um ihn zu ermorden. Da gilt‘s für den Killer, mit Gewalt und Unbarmherzigkeit herauszufinden, wer da wohl dahinter steckt. Natürlich bekommt auch der eher unschuldige Taxifahrer seinen Tod weg, nachdem er mit Infos rausrückte. Oder auch die verängstigte rechte Hand des Anwalts, der ihm den Auftragsmord-Job vermittelte. „Zeige nie Empathie“ wird nun zum wichtigsten Satz seines Manifests. Als er nach dem Besuch in New Orleans in Florida ankommt, hat er zur Abwechslung auch mal einen Witz auf den Lippen. Zum Sunshine State meint er, zu sich selbst: „Wo findet man sonst so viele Gleichgesinnte außerhalb des Strafvollzugs?“

Das letzte Kapitel findet dann in New York statt, womit sich ein relativ handlungsleerer Film vorbildlich ganz aristotelisch in 5 Akten präsentiert hat, die nach Orten einsortiert sind.

Über das Innenleben des Auftragsmörders erfahren wir nicht besonders viel. Doch Fincher hat eine Hintertür offengelassen, die uns kodiert mehr preisgibt. Der Killer hört gern Musik, wann immer es passt, doch nur von einer Band: von der britischen Post-New-Wave-Band The Smiths, die in betont weinerlicher Weise ein melancholisches Lebensgefühl der achtziger Jahre vermittelten. Sehr intensiv die eigene Gefühlswelt erforschend. Doch der Killer lässt sein Inneres nicht an sein Äußeres heran. Seine repetitiven Selbstauflagen, die ihm sein behavioristisches Verhaltensmuster aufdrängen, durchbricht er auch im Verlauf des Films nicht.

„Wenn man nicht in der Lage ist, Langeweile zu ertragen, ist die Arbeit nichts für einen.“ Bei diesem Satz am Anfang des Films sitzt Fassbender tatsächlich im Dunkeln auf einem Stuhl vor dem Fester, als wäre er ein Kinobesucher und als würde er ins Fernsehgerät glotzen.

The Killer
USA 2023
Regie: David Fincher
Drehbuch: Andrew Kevin Walker, nach Alexis Nolent & Luc Jacamon
Kamera: Erik Messerschmidt
Musik: Trent Reznor, Atticus Ross
Darsteller: Michael Fassbender, Tilda Swinton, Charles Parnell, Arliss Howard, Kerry O’Malley, Sophie Charlotte u.a.
Laufzeit: 119 min.