Bis zum Jahre 1960, in dem dieser Film des hierzulande eher unbekannten italienischen Regisseurs Renato Polselli entstand, hatte es auf der Leinwand vor allem drei Werke gegeben, die den Vampirmythos für das Kino wesentlich prägten: Als Urvater gilt natürlich Murnaus Stummfilm NOSFERATU – EINE SYMPHONIE DES GRAUENS (1922). In dem Universal-Streifen DRACULA (1931) mit Bela Lugosi hörte man Dracula erstmals sprechen und in dem Hammer-Film DRACULA (1958) mit Christopher Lee in der Titelrolle sah man den Vampirfürsten fortan in Farbe seine Bluttaten begehen.
Vor allem letzterer wird häufig fälschlich als Initiator der Vampirwelle der 1960er Jahre genannt. Doch gab es in Italien bereits 1957 den bemerkenswerten DER VAMPIR VON NOTRE DAME (I VAMPIRI) von Riccardo Freda, bei dem der junge Kameramann Mario Bava [BLUTIGE SEIDE (1964), IM BLUTRAUSCH DES SATANS (1971)], der heute als Kultregisseur verehrt wird, den Schlussteil inszeniert hatte, und der in vielen Punkten mehr Gemeinsamkeiten mit dem nur drei Jahre später gedrehten DIE GELIEBTE DES VAMPIRS aufweist als der britische DRACULA.
So sind beide italienischen Streifen noch in schwarzweiß gedreht, deren Licht- und Schattenspiel eine völlig andere Kameraregie erforderte als in den Farbfilmen der Hammer-Studios. In beiden ist das Blut eine Art Lebenselixier, das den Vampiren Unsterblichkeit verleiht. In beiden tritt ein weiblicher Vampir auf, was auch in Bavas DIE STUNDE WENN DRACULA KOMMT (1960) der Fall ist. Freilich existiert in DIE GELIEBTE DES VAMPIRS auch ein männlicher Vampir, welcher mit Gräfin Alda (María Luisa Rolando) in einer Art toxischen Symbiose lebt. Während ihr Diener (und zugleich Meister) Herman (Walter Brandi) nachts die Mitglieder eines Ballettensembles überfällt, um deren Blut zu trinken, saugt sie ihm danach ebenfalls Blut aus, was ihr ewige Jugend verleiht und sie in die Lage versetzt, junge Männer zu betören.
Obwohl die sexuelle Ebene auch unter den Vampiren durchaus eine Rolle spielt, wird die Exploitation vorrangig durch die Ballerinas erzeugt, die zwar komplett angezogen, aber höchst lasziv minutenlange Tanzproben vollführen, welche mit züchtigem Ballett nicht das Geringste zu tun haben. Auch haben die beiden weiblichen Hauptfiguren stets ihren Freund bzw. Verlobten im Schlepptau, mit denen sie bei jeder Gelegenheit „poussieren“, unter anderem in voller Bekleidung unter einem Wasserfall.
Die Natur wird von Polselli sehr prominent in Szene gesetzt. Mehrmals sieht man bedächtige Schwenks über den Himmel, welche, da sie entgegen der in westlichen Ländern üblichen Leserichtung von rechts nach links erfolgen, merkwürdig bedrohlich wirken. In dem bereits erwähnten Wasserfall stürzen Wassermassen aus verschiedenen Perspektiven in die Tiefe und starke Bäume biegen sich immer wieder im Sturmwind.
Als weniger gelungen muss man die Filmmusik bzw. ihre Verwendung bezeichnen. Hört man in der Titelsequenz noch klassisch anmutende Passagen, dominiert später im Tanzstil der Ballerinas gehaltene Jazzmusik, welche weder zu den ruhigen Außenaufnahmen, noch zu den Spannungs¬sequenzen passen mag.
Das Make-Up der Vampire ist in Ordnung, aber auch nicht mehr. Ein wenig zu groß wirken die eingesetzten Reißzähne der Blutsauger und Hermans durch mehrere Schnitte erzeugter Alterungsprozess kann mit Bavas DER VAMPIR VON NOTRE DAME, wo das Altern eines Gesichts ohne Schnitt (!) allein durch den Einsatz von verschiedenfarbigem Licht bewerkstelligt wurde, nicht mithalten.
Erwähnenswert ist auf jeden Fall die deutsche Edelsynchro, in der Cary-Grant-Sprecher Curt Ackermann als Gutsbesitzer und Horst Niendorf, der u.a. Burt Lancaster seine Stimme lieh, als Herman zu hören sind.
Die Blu-Ray, die in der Serie „Phantastische Klassiker“ bei Anolis erschienen ist, enthält eine vorzügliche HD-Abtastung der italienischen Originalversion und bietet neben der Super-8-Fassung, zwei Featurettes und dem italienischen Originalton auch noch zwei Audiokommentare.
L’amante del vampiro
Italien 1960
Regie: Renato Polselli
Darsteller: Hélène Rémy, María Luisa Rolando, Tina Gloriani, Walter Brandi u.a.