London ist immer einen Abstecher wert.

Wann immer es um die besten Comicautoren des 20. Jahrhunderts geht, kommt man an Alan Moore nicht vorbei. Der bekennende britische Anarchist schrieb sich mit illustrierten Strips, die er an Zeitungen verkaufte, selbst aus der Arbeitslosigkeit heraus und wurde 1983 bei DC Comics angestellt. Zu seinen größten und prägendsten Werken zählen die alternative Superheldenreihe „Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen“, die Widerstandsfabel „V wie Vendetta“ oder die Graphic Novel „Watchmen“, eine satirische Superheldengeschichte, die zu den bedeutendsten englischsprachigen Literaturwerken ihrer Zeit zählt. Für viele seiner treuen Anhänger gilt neben „Watchmen“ aber noch eine andere seiner Arbeiten als sein Magnum Opus: „From Hell“.

Dieses innovative Mammutwerk spielt im Jahr 1888 in Whitechapel, London, und handelt von den fünf Morden an Prostituierten, die Jack the Ripper beging. Dafür haben Moore und sein Zeichner Eddie Campbell über zehn Jahre recherchiert, nicht nur sämtliche historischen Details zu den Ripper-Morden, sondern auch zum damaligen Stadtbild, zu den politischen Umständen der Zeit und zu den zahlreichen Legenden und Verschwörungstheorien, die es rund um den nie gefassten Serienmörder gibt. Von 1991 bis 1996 erschien die ganze Reihe. Aufgrund des großen Erfolgs der Vorlage dauerte es nur wenige Jahre, ehe 2001 eine Filmadaption auf der großen Leinwand erschien. Inszeniert von den mit Vorschusslorbeeren übersäten Zwillingen Albert und Allen Hughes, besetzt mit Stars wie Johnny Depp, Robbie Coltrane, Heather Graham und Ian Holm. Was soll da schon schiefgehen?

Nun: eine ganze Menge. Als „From Hell“ den Sprung auf die Leinwand schaffte, waren die Kritiken bestenfalls mittelprächtig. Kinogänger störten sich an der steifen Inszenierung, für Comicleser war die Adaption größtenteils gar ein Desaster. Dabei ist der Begriff Adaption in diesem Fall eher lose gedacht zu verstehen. Natürlich haben Filmemacher jedes Recht, eine Vorlage abzuwandeln und sie neu zu interpretieren – man denke nur daran, wie genial Robert Altman 1973 für seinen Film DER TOD KENNT KEINE WIEDERKEHR den Roman „Der lange Abschied“ von Raymond Chandler abwandelte. Doch wenn eine Verfilmung wie FROM HELL so offensichtlich verkennt, was am Ausgangsmaterial eigentlich so brillant gewesen ist, dann muss man es den Beteiligten vorhalten dürfen.

Moores Herangehensweise an Genre ist immer eine entlarvende, eine modernistische. In seinen Superheldencomics zeigte er sich zumeist daran interessiert, wie ein Genre, das zu Beginn des Zweiten Weltkriegs weitgehend von jüdischen Künstlern als Ventil für ihre Abscheu vor dem Antisemitismus der Nazis entstanden ist, Helden hervorbrachte, deren Ikonographie selbst faschistische Züge trägt. Schon seine „Batman“-Arbeiten (u.a. „The Killing Joke“) sind da eindeutig. „Der Superhelden-Traum ist im Wesentlichen Faschismus“, lässt er sich zitieren. „From Hell“ spinnt diese thematische Analyse weiter.

Moore und Campbell greifen darin eine gängige Verschwörungstheorie auf, nach der die Königsfamilie in die Ripper-Morde involviert war. Früh in ihrer Graphic Novel verraten sie, dass es sich beim Ripper um William Gull, den Leibarzt der Königin Victoria handelte. Der Sohn der Königin, Prinz Albert, hatte eine Prostituierte geheiratet und geschwängert. Die fünf ermordeten Frauen waren Freundinnen dieser Dame, wussten von der Heirat und dem Kind und erpressten das Königshaus. Gull beseitigte sie.

Man muss diese Auflösung verraten, da es eigentlich überhaupt keine sein sollte. „From Hell“ macht anders als zahlreiche Geschichten kein Geheimnis um die Identität des Rippers. Moore und Campbell ging es nicht darum, eine vermeintliche Version einer möglichen Wahrheit zu imaginieren. Ihr Werk ist ein dezidiert feministisches. Die Morde des Rippers sind in ihrer Erzählung nur eine logische Konsequenz der sexuellen Unterdrückung im patriarchalen viktorianischen England. Der Mörder Gull inszeniert die Morde sogar im Arrangement eines heidnischen Rituals, mit welchem er glaubt, das 20. Jahrhundert einzuläuten. Die Botschaft ist klar: Das frauenfeindliche Spektakel, als dass die Ripper-Morde in die Mediengeschichte eingingen – und bis heute als solches behandelt werden – ist laut „From Hell“ eine zentrale Wurzel der narrativen modernen Popkultur.

Von all dem ist in der „From Hell“-Verfilmung keine Spur. Das beginnt schon damit, dass der Film aus der Identität des Rippers doch wieder ein Geheimnis macht – wenn auch vergeblich, da es mangels möglicher Kandidaten und angesichts der hochkarätigen Besetzung Gulls durch Ian Holm schon früh für erfahrene Zuschauer klar sein muss, was später eine Überraschung sein soll. Während die Vorlage multiperspektivisch erzählt, bauen die Hughes-Brüder einen konventionellen Whodunnit in Tradition klassischer Krimis à la Agatha Christie. Depp spielt den britischen Inspektor Frederick Abberline, der damals wirklich am Ripper-Fall arbeitete, verhört Sex-Arbeiterinnen, verliebt sich in eine von ihnen und hat im Opium-Rausch Visionen der Morde.

Eine komplexe Figur ist er nicht, eher der typische postmoderne ‚Bad Boy‘-Cop, der mit verhuschter Frisur und grimmigem Blick ermittelt, jedoch das Herz am rechten Fleck trägt. So abgeschmackt wie sein Charakter auftritt, gestaltet sich die ganze Inszenierung. Der Film setzt auf schwarze Wolken, schmutzige Kopfsteinpflaster, flackerndes Gaslicht und viel Nebel, in kurz: Er weidet sich in Horrorfilm-Klischees, erinnert mehrfach an die Hammer-Studios-Produktionen der 50er wie FRANKENSTEINS FLUCH oder DIE RACHE DER PHARAONEN. Diese Zitate sind aber offensichtlich als solche erkennbar, und die meiste Zeit verhält sich FROM HELL wie ein verfilmtes Ausstellungsstück, wie eine leer abgefilmte Kulisse. Dazu trägt auch bei, dass Depp als Drogensüchtiger und Graham als Bordsteinschwalbe beide in stets sauber gewaschener Kleidung, mit frisch geföhnten und frisierten Haaren und makellosen Fingernägeln durch die Szenerie wanken.

Als FROM HELL im Kino erschien, war der Gothic Horror längst im Mainstream-Kino angekommen. 1992 ließ Francis Ford Coppola BRAM STOKER‘S DRACULA auf die Leinwände los, und schon 1999 ermittelte Johnny Depp als schräger Schnüffler, damals noch in SLEEPY HOLLOW unter der Regie von Tim Burton. FROM HELL setzt anders als diese künstlerisch recht ambitionierten Werke eher auf den Charme des B- und Pulp-Kinos. In den Mordszenen geht es zwar inszenatorisch wenig raffiniert, dafür aber umso brutaler und blutiger zu – einerseits stimmig angesichts dessen, dass Jack the Ripper seine Opfer mit anatomischer Präzision schlachtete und ihnen Organe entnahm, andererseits offenbart auch diese Überstilisierung der Frauenmorde ein fundamentales Missverständnis der Vorlage. Man könnte böse sagen, dass die Hughes‘ in diesen Szenen genau jener morbiden Faszination erliegen, die Moore und Campbell in ihrem Vorwerk als misogyne Problematik herausarbeiten.

Somit ist das Endresultat leider weder Fisch noch Fleisch. Für einen tatsächlichen Horrorfilm fehlt es FROM HELL an waschechten Schockmomenten oder Situationen, die ein Gefühl der Beklommenheit aufkommen lassen. Trotz der Brutalitäten dürften auch Gore-Fans eher außenvor bleiben. Wer atmosphärische Krimis schätzt, der bekommt hier die x-te Nacherzählung um Jack the Ripper geboten und muss sich fragen, warum selbst erwiesene Schauspielkönner wie Robbie Coltrane und Ian Holm so steif wirken. Gerade Johnny Depp ist in der Hauptrolle eine Enttäuschung, spielt den Ermittler ohne viel Energie oder Charisma. Vielleicht sind da die Fußstapfen zu groß, immerhin verkörperte 1988 niemand geringeres als Michael Caine den Inspektor Abberline in der großartigen TV-Miniserie JACK THE RIPPER als einen alkoholkranken Hardliner mit schweren Aggressionsproblemen.

Bei FROM HELL blieb es in den 2000ern nicht. 2003 versuchte Hollywood sich an Moores LIGA DER AUSSERGEWÖHNLICHEN GENTLEMEN, 2005 an seinem DC-Helden CONSTANTINE, 2006 nahmen die Wachowski-Geschwister – immerhin die MATRIX-Regisseure – es mit V WIE VENDETTA auf, 2009 kamen die WATCHMEN in die Kinos und für BATMAN – THE KILLING JOKE reichte es 2016 nur noch als Zeichentrickprojekt. Keiner dieser Filme konnte Kritik oder Publikum in Summe so richtig überzeugen – und sie alle wurden von Alan Moore persönlich buchstäblich zerfetzt. Mittlerweile will er seinen Namen mit solchen Adaptionen nicht mehr in Verbindung gebracht sehen, verzichtet im Gegenzug auf sämtliche Einnahmen. Allerdings: Immerhin schafften es CONSTANTINE und WATCHMEN in den Folgejahren nach ihrer Veröffentlichung zu modernen Kultfilmen.

Dieses Schicksal einer späteren Re-Evaluierung blieb FROM HELL verwehrt. In Erinnerung bleibt er vor allem als ein besonders bemerkenswertes Negativ-Beispiel für die gnadenlose Banalisierung intellektueller Literaturstoffe durch die Werkeleien der Hollywood-Maschinerie. Die Aufarbeitung der Morde von Jack the Ripper in ihrem Einfluss auf die moderne Popkultur hingegen wurde weiter vertieft. 2019 veröffentlichte die Historikerin Hallie Rubenhold ihr Buch „The Five: The Untold Lives of the Women Killed by Jack the Ripper”, in dem es ausschließlich um die fünf weiblichen Opfer und ihre Geschichten geht.

Dem FROM-HELL-Film könnten diese Frauenfiguren nicht egaler sein. Wichtig ist nur das Mysterium um den geheimnisvollen Mörder. Dabei sagte Moore über seine Vorlage: „Ich habe keine Geschichte über Jack the Ripper geschrieben, ich habe über unsere Besessenheit von Jack the Ripper geschrieben.“ Wie sehr diese Besessenheit nach wie vor dominiert, zeigt die Adaption seines Werks dann in der Tat wirklich eindrucksvoll.

From Hell
USA/UK 2001
Regie: The Hughes Brothers
Drehbuch: Terry Hayes, Rafael Yglesias, nach der Graphic Novel von Alan Moore und Eddie Campbell
Kamera: Peter Deming
Musik: Trevor Jones
Darsteller: Johnny Depp, Heather Graham, Ian Holm, Robbie Coltrane, Ian Richardson, uv.a.
Laufzeit: 122 Min.

Fotos: 20th Century Fox of Germany GmbH