Der inhaltliche Angelpunkt in Alberto de Martinos Eurospy-Film ist eine Geldtransaktion. So deutlich werden monetäre Hintergründe im Krieg gegen böse Mächte oder Großmächte eigentlich nie dargestellt in diesem Genre. In DER MANN MIT DEN 1000 MASKEN soll eine „panafrikanische Union“ verhindert werden, indem der Zustupf des Westens von einer Milliarde Dollar nicht nach Südafrika gelangt, und on top will die neu aufstrebende Supermacht China in Südafrika mit der geklauten Milliarde ebendort eine Raketenstation aufbauen und das Gleichgewicht des Schreckens ins Ungleichgewicht bringen. Was für eine „panafrikanische Union“ der Westen da ausgerechnet im damaligen Apartheidstaat Südafrika plante und wie China (ausgerechnet dort) als atomarer Anfängerstaat (erste Atombombe 1964) die Sowjetunion und die USA übertrumpfen wollte, wird in diesem Film allerdings nicht weiter erläutert.
Dreh- und Angelpunkt sind der Agent im Geheimdienst seiner Majestät, „Supersieben“ Paul Finney (Paul Hubschmid – eigentlich besser als Bad Guy), sekundiert von CIA-Agentin Helen Fairnight (Karin Dor), und der clever agierende Bösewicht Kobras (Nando Gazzolo), sekundiert von seiner ebenfalls nicht dummchenmäßig handelnden Freundin Birgit (Vivi Bach). Kobras steht im Zentrum aller Geldtransfers und Aufträge, und einiges gelingt ihm. Birgit analysiert ergänzend die wichtigste Waffe von Supersieben: seine Fähigkeit, sich mit Gesichtsmasken als eine andere Person auszugeben. Denn Supersieben ist der große Störfaktor im Spiel der Superschurken und Großmächte.
Alberto De Martino hat sich wunderbare Locations ausgesucht für diesen Eurospy-Thriller. Kopenhagen, London, Basel (Schweiz), Kapstadt, Johannesburg und Rom. Gedreht ist der Film nicht ganz so elegant wie die Perlen des Genres (wie z.B. sein im gleichen Jahr gedrehter 077: IM NETZ DER GOLDENEN SPINNE), trotzdem bietet er immer wieder Schönheiten, wie z.B. ein Jaguar E-Cabrio in dunkelblau-metalisé. Die weiblichen Schönheiten geht Supersieben sehr direkt an. CIA-Agentin Fairnight lädt er gleich beim ersten Kennenlernen zu sich nach Hause ein. Sie geht natürlich sofort darauf ein, und legitimiert das (für das Publikum, denn sie ist ja das Good Girl und keine Schlampe) nach dem ersten Kuss beruflich: „Am meisten hat mich das mit deinen Masken interessiert.“
Seine ehemalige Freundin Corinne (Rosalba Neri, bekannt aus vielen Genrefilmen, oft bei Jess Franco) ist inzwischen Gegenagentin, was zu einem seltsam misogynen Date führt. Die beiden sind in einem Hotelzimmer und schlafen zusammen (er will das Licht ausmachen, sie nicht), nachher trällert sie mehr schlecht als recht, aber süß, mit Gitarre einen romantischen Liebessong, worauf er sie küsst, aufsteht und überaus brutal schlägt. Sie knallt aufs Bett und kriegt gleich von der anderen Seite noch eine gebrettert, sodass sie wieder aufs Bett fliegt. Schließlich fesselt er sie, zieht ihr seinen Trenchcoat an und schubst sie auf den Balkon – wo sie von einem ihrer Agenten erschossen wird. Ein überraschend drastischer Ausflug in die Misogynie hat sich De Martino da erlaubt – möglicherweise kompensiert das unbewusst die Stärke der anderen beiden Frauenfiguren.
Bei Helen Fairnight, ihrem Supersieben wunderbar ergeben, beschränkt sich die sexistische Szene auf eine Metapher. Als sie allein im Jaguar von den Gangstern angehalten wird, kann sie zwar aus einem Strumpfhalter ein Messer ziehen und einen der Gangster töten, doch dann zieht ihr ein anderer das Kleid über den Kopf, so dass sie zum sexualisierten Schwarze-Unterwäsche-Frauenkörper ohne Kopf wird. Jedenfalls hat sie sich für die kommende Rolle als Bond-Girl bestens in Szene gesetzt (MAN LEBT NUR ZWEIMAL, 1967).
Eine Besonderheit im Genre ist tatsächlich die Fokussierung auf Geldtransfers und Zahlungen. Dass die Schweiz (und dazu noch im Verbund mit Südafrika) da eine zentrale Rolle spielt, verwundert allerdings weniger. Doch ausgerechnet die Szenen in der Schweiz sind die missratensten des Films. Für einmal halten nicht Genf und Zürich als Finanzmetropolen hin, sondern Basel, die Stadt am Dreiländereck Schweiz-Frankreich-Deutschland. Für den Autor dieses Artikels, der in dieser Stadt aufgewachsen ist und jede Ecke kennt, wäre der Exotic-Locations-Aspekt hier besonders reizvoll. Und die Idee des Films ist schön irrwitzig: Um das Geld in der Bank auszutauschen, wird eine riesige Epidemie erzeugt. Birgit hat nämlich im Wasserreservoir der Stadt (das der Autor sofort als das wirklich wunderschöne Innere des Wasserkraftwerks Birsfelden identifiziert hat) eine Giftspritze induziert. Nun sind die Stadtbewohner in die Häuser verbannt, es gab wohl auch schon Tote. So ist es für die Gangster einfach, in den Tresorraum der Bank vorzudringen und die Milliarde gegen Blüten auszutauschen. Vermasselt hat De Martino allerdings die meisten Szenen rund um die Epidemie. Wenn der Bus durch die leeren Straßen fährt, sieht man meist nur den POV-Shot aus dem Auto gen Himmel und Hausdächer – wahrscheinlich weil man keine Straßen abgesperrt hat und sie nicht menschenleer filmen konnte. (Dabei wäre das – selbst ohne Dreherlaubnis – in den 1960ern an einem Sonntagmorgen leicht zu bewerkstelligen gewesen).
Irgendetwas muss schiefgelaufen sein, als Alberto de Martino diesen Eurospy-Thriller drehte. Es fehlt ein wenig an allen Enden in dieser deutsch-italienischen Produktion. De Martino hat zwar eine straighte, kohärente Story zusammengeschustert, doch der Teufel liegt oft in den Filmaufnahmen oder im Schnitt. Manchmal wunderbar, manchmal sehr mäßig (Gespräche in Autos meist vom Rücksitz aus gefilmt, so dass man vor allem Hinterköpfe sieht). Trotzdem erfüllt DER MANN MIT DEN TAUSEND MASKEN die Minimalstandards eines guten Eurospy-Thrillers und hat mit der (ebenfalls nicht überragend umgesetzten) Idee der Masken ein einfaches Symbol für Agententätigkeit gefunden, das in Spionagefilmen sehr selten wieder aufgegriffen wurde. Ebenso die irre Idee, eine ganze Stadt mit einer Epidemie zu überziehen, um eine Bank zu auszurauben. Und weshalb eigentlich – das sei zum Schluss noch gefragt – stammen Agenten auch in diesem Film wie praktisch immer im Eurospy-Genre aus England oder den USA? Nie aus Kontinentaleuropa?
Upperseven, l‘uomo da uccidere
Italien 1966
Regie & Drehbuch: Alberto de Martino
Kamera: Mario Fioretti
Musik: Bruno Nicolai
Darsteller: Paul Hubschmid, Karin Dor, Vivi Bach, Nando Gazzolo, Rosalba Neri u.a.
Laufzeit: 103 min.
Fotos: Fernsehjuwelen GmbH