Nach über sechs Jahrzehnten kehrt DER KOLOSS VON NEW YORK in einer hochwertigen Blu-ray- und DVD-Edition (Anbieter: Anolis) zurück, die das filmische Erbe dieses oft übersehenen Sci-Fi-Dramas neu beleuchtet.
Amerikanisches Sci-Fi-Kino der Nachkriegszeit
1958 inszenierte der Regisseur Eugène Lourié mit DER KOLOSS VON NEW YORK einen der interessantesten Sci-Fi-Filme seiner Zeit. Abgedreht in nur zwei Wochen setzt der Film sich mit den moralischen und ethischen Dilemmata des wissenschaftlichen Fortschritts auseinander.
Die Handlung entfaltet sich um den jungen, höchst intelligenten Jeremy Spensser (Ross Martin), dessen überraschender Tod die Familie zutiefst erschüttert. Sein Vater, Dr. Henry Spensser, ein brillanter Wissenschaftler, entschließt sich dazu, das Bewusstsein (Gehirn) seines Sohnes durch ein gewagtes Experiment in einen riesigen Roboter zu transferieren. Dieser „Koloss“ erwacht mit den Erinnerungen und der Persönlichkeit seines Sohnes, doch die physische und soziale Isolation, in der er sich befindet, sowie die schiere Unmenschlichkeit seiner neuen Existenz führen zu dramatischen Konflikten mit unvorhersehbaren Folgen …
Der Mythos des modernen Prometheus
DER KOLOSS VON NEW YORK spielt geschickt mit dem Frankenstein-Motiv, das seit Mary Shelleys Roman immer wieder in abgewandelten Variationen in der Literatur und im Film auftaucht. Es lassen sich aber auch Parallelen zu King Kong (ein „Monster“ in der Großstadt) oder dem Golem (ein künstlicher Mensch aus Lehm, der zum Leben erweckt wird) ziehen. Und der „Koloss“ nimmt außerdem durchaus Paul Verhoevens ROBOCOP (1987) vorweg, wo ein Polizist bei einem Einsatz stirbt und im Körper eines nahezu unzerstörbaren Roboters wieder zu neuem Leben kommt.
Louriés Film untersucht die Grenzen der menschlichen Macht über die Natur und stellt die Frage, ob der Mensch berechtigt ist, über das Weiterleben eines anderen Menschen zu urteilen. Dabei wird Jeremy zu einer tragischen Figur, gefangen in einem mechanischen Körper ohne menschliche Wärme. Der Film zeigt hier einmal mehr auf, dass die Trennung von Körper und Geist noch nie eine gute Idee gewesen ist. Und dass Prometheus als Gottestäuscher und -herausforderer in Form von Dr. Henry Spensser eine moderne Gestalt annimmt, die trotz der positiven Absichten nichts Gutes bringt.
Ein Film, der auch heute noch nachhallt
Die Thematik des Films ist erstaunlich vorausschauend, wenn man bedenkt, dass er in einer Zeit entstand, in der Computer und Roboter noch in den Kinderschuhen steckten. Die Ängste und Hoffnungen, die der Film thematisiert, sind in der heutigen Gesellschaft, in der KI und Robotik allgegenwärtig sind, relevanter denn je.
Die Darstellungen, insbesondere von Ed Wolff als Koloss und Mala Powers als Jeremys Frau Anne, sind eindrücklich und verleihen dem Film trotz seiner kurzen Laufzeit von 70 Minuten und seiner Storyschwächen eine gewisse emotionale Tragkraft. Louriés geschickte Regiearbeit schafft es, sowohl die intime Tragödie einer Familie als auch die weitreichenden philosophischen Fragen, die der Film aufwirft, adäquat darzustellen. Manchmal etwas steif, aber durchaus immer mit Effizienz. Ein Highlight ist die von Nathan Lang Van Cleave komponierte äußerst minimalistische Klaviermusik, die dem Film eine zusätzliche Eindringlichkeit verleiht.
Die Qualität der Blu-ray-Ausgabe, bei der es sich um eine Premiere für den deutschen Heimkinomarkt handelt, ist exzellent, mit einer klaren Tonspur, die den Film auch technisch in das 21. Jahrhundert überführt. Zusätzlich bietet das Bonusmaterial, darunter Audiokommentare, einen Einblick in die Entstehung und Bedeutung des Films.
„Der Koloss von New York“
USA 1958
Regie: Eugène Lourié
Darsteller: John Baragrey, Mala Powers, Otto Kruger, Ross Martin u.a.