Knielange Jeansshorts, unauffälliges, beiges Poloshirt und eine Brille, bei der kaum die Fassung zu sehen ist. Gary Johnson (Glen Powell) ist Philosophieprofessor und sieht auch so aus. Erklärt den Studentinnen und Studenten, wie sich Nietzsche für einen dionysischen Lebensstil einsetzte: „The secret for harvesting from existence the greatest fruitfulness, the greatest enjoyment is to live dangerously!“
Gary ist geschieden und lebt mit zwei Katzen, die nach Freuds Strukturmodell der Psyche „Id“ (Es) und „Ego“ (Ich) heißen, was groß auf ihre Näpfe geschrieben ist. Bezeichnenderweise fehlt, um bei den lateinischen Bezeichnungen zu bleiben, das „Superego“ (Über-Ich) – wir können annehmen, dass Gary damit sich selber meint (auch wenn es nicht auf seinem Teller steht). Die „Es“-Katze hat ein eingeschientes Bein, Garys Unbewusstes ist wohl noch angeschlagen.
Das Zusammenspiel der Psyche bestimmt in Richard Linklaters HIT MAN in gewisser Weise die Substruktur des Films. In erster Linie ist HIT MAN allerdings ein unglaublich unterhaltsamer Cop-Film. Ja, Copfilm. Denn Gary hat eben dieses Nietzscheanische Abenteurertum in sich, und seine Chance kommt. Im Geheimen unterstützt er die Polizei als Abhörtechniker. Bei Einsätzen, in denen sich Cops als Auftragskiller ausgeben, um Auftraggeber zu treffen und die wegen „Solicitation of capital murder“, also „Anstiftung zu einem Mord“, zu verhaften. Als nun der bärtige, etwas schmuddlige „Auftragskiller“-Cop Jasper (Austin Amelio) wegen rassistischen Ausfällen für ein halbes Jahr vom Dienst suspendiert wird, fällt unter Zeitdruck die Wahl für den Ersatz absurderweise auf Gary. Irgendjemand muss hier bereits sein Talent geahnt haben, denn schon bei seinem ersten Einsatz benimmt sich Gary wie ein umgedrehter Handschuh. Erzählt seinem Auftraggeber mit souveränem Lächeln (in einer großartigen Filmszene), wie er die Leiche zu entsorgen gedenkt.
Gary macht daraufhin gleich weiter, beginnt sich zu verkleiden und in verschiedene Rollen zu schlüpfen, um sich den jeweiligen Auftraggeberinnen und -gebern anzupassen. Linklater veranstaltet dabei ein unterhaltsames Freudenfest und preist damit die Idee an, dass Menschen ihre Persönlichkeit ändern und den jeweiligen Umständen anpassen können. Gleichzeitig sind Garys Rollen auch ein Seitenhieb auf die (Hollywood-) Klischees, die wir von Mördern haben (was auch deshalb interessant ist, weil einer von Linklaters nächsten Filmen sich um die Nouvelle Vague, die französische Anti-Hollywood-Filmbewegung, drehen wird). Gleichzeitig zeigt sich, wie stark die Kraft von Archetypen sein kann (womit wir bei C.G. Jung angelangt sind, von dem ebenfalls ein Buch im Film zu sehen ist) – am stärksten bei Madison (Adria Arjona), einer Frau, die von ihrem Ehemann an der kurzen Leine gehalten und geschlagen wurde. In seiner übercoolen Rolle als Ron (Lederjacke und so) erbarmt sich Gary ihrer, lässt sie nicht auffliegen – und verabredet sich später noch einmal mit ihr. Ein No-Go für den Cop, aber eine unausweichliche Liebesgeschichte für den geschiedenen, glücklichen Single (seine vergangene Ehe scheint modern-kompliziert und trotzdem cool-abgeklärt gewesen zu sein). Natürlich folgen auch Probleme mit jenem bösen Ehemann von Madison.
In seiner Rolle als cooler Ron und dem debilen Motto „All pie is good pie“ beginnt er, mit all den Problemen zu jonglieren, was zu ziemlich starken Turbulenzen führt. (Das vorwegnehmend sagt ihm Madison in bester Screwball-Comedy-Manier beim Sexspiel in Stewardessen- und Piloten-Outfits: „We’re expecting heavy turbulence.“) Alles, was Gary/Ron nun unternimmt, ist unerlaubt. Während wir Zuschauer zusehen müssen, wie seine illegalen Handlungen (um der Liebe willen) von der Polizei entdeckt werden könnten, ist sich Gary als Philosophieprofessor seiner Situation sogar auf philosophischem Level sehr bewusst – lehrt er doch an anderer Stelle seinen Studenten: „Your entire being is invested with this notion of self. It has to be for its own survival, but what we’ll be doing this semester is challenging this notion. What if your ‘self’ is a construction? An illusion, an act, a role you’ve been playing every day since you can remember?”
HIT MAN ist damit nicht einfach eine Art unverkrampfte Identitäts- und Genderpolitik, sondern kontert in gewisser Weise mit einer universellen Perspektive, die das spielerisch gedachte Menschenbild über die rechten und linken Entwürfe eines Primats von Rasse, Ethnie, Gender etc. stellt. Und Linklater zeigt außerdem, dass selbst die polarisierten Präferenzen bei Haustieren fluid sind, dass man selbst vom Katzenfreund zum Hundefreund werden kann.
Hit Man
USA 2023
Regie: Richard Linklater
Drehbuch: Richard Linklater, Glen Powell, Skid Hollandsworth
Kamera: Shane F. Kelly
Darsteller: Glen Powell, Adria Arjona, Austin Amelio, Retta, Sanjay Rao u.a.
Laufzeit: 116 min.