Neulich im Ostfernsehen.

Zwei rund einstündige TV-Filme aus der DDR der 70er Jahre nach Stanislaw Lem. Der kauzige Professor Tarantoga ist wie Pirx und Tichy eine wiederkehrende Figur in Lems Werk, genialer Erfinder und Held verschiedener abenteuerlicher Begegnungen mit noch weitaus verschrobeneren Figuren. Das vorliegende Fernsehspiel (auf der DVD in …SEIN SELTSAMER GAST umgetitelt) entstand 1979 für das Fernsehen der DDR, die Vorlage wurde wenige Monate zuvor auch als Teil des Omnibus-Stücks DIE SELTSAMEN BEGEGNUNGEN DES PROF. TARANTOGA von Charles „Chuck“ Kerremans für das ZDF adaptiert. Geschrieben wurde „Der seltsame Gast“ bereits 1963 nicht als Erzählung, sondern bereits in Drehbuchform und ist – wie auch „Der getreue Roboter“ – in der klassischen Suhrkamp-Sammlung „Mondnacht. Hör- und Fernsehspiele“ enthalten. Die seltsame Konkurrenz der Fernsehanstalten auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs, die des öfteren zur nahezu gleichzeitigen Realisierung derselben Stoffe in Ost und West führte, macht den direkten Vergleich natürlich reizvoll. Während DIE SELTSAMEN BEGEGNUNGEN in verschiedenen Episoden (die zum Teil auch dem Hörspiel „Professor Tarantogas Sprechstunde“ entlehnt sind) die Reise des Professors (Richard Münch) und seines Assistenten (Manfred Seipold) zum Planeten Greliandria und sein Zusammentreffen mit einigen ungewöhnlichen Besuchern schildert, weitet die DDR-Fassung die Handlung des Stücks auf Stundenlänge. Der „seltsame Gast“, der den Professor nächtens aufsucht, ist der aus der Irrenanstalt entflohene Herr Nowak, der offenbar unter fortgeschrittener Schizophrenie leidet – immer wieder wechselt er die Persönlichkeit, verwandelt sich vom gebildeten Nowak in den tumben Hipperkorn, und beide behaupten standhaft, aus der fernen Zukunft zu stammen und nur durch ein Versehen während einer touristischen Zeitreise in der Vergangenheit gestrandet zu sein. Die Zukunft, die da von den beiden sich einen Körper teilenden Besuchern beschrieben wird, scheint wirklich äußerst bizarr und wenig vielversprechend zu sein und irgendwie das Übelste aus Kapitalismus und Kommunismus in sich zu vereinen.

Lem zeichnet Tarantoga, sicher eine seiner satirischsten Figuren, höchst verschieden mal als bequemen Abenteurer, der eine Methode entwickelt, das ferne Universum zu bereisen, ohne das heimische Wohnzimmer verlassen zu müssen, mal als so prominenten wie geplagten Gelehrten, der von allerlei Scharlatanen belästigt wird, die sich für seinesgleichen halten, und mal als gescheiten Skeptiker, dessen Scharfsinn dem eines Sherlock Holmes nahekommt. In allen Varianten war es vielleicht die Figur, in der sich Lem selbst am deutlichsten spiegelte; seine Systemkritik war meist subtil oder überlebensgroß überzeichnet, und hinter der oft eigenwilligen Mischung aus Satire und Naturwissenschaft steckte immer auch eine tief humanistische Philosophie. Wo Richard Münch als Tarantoga und Peter Striebeck als Nowak/Hipperkorn das Stück gezielt als große Groteske aufführen, agieren die DDR-Schauspieler um Eberhard Esche und Volkmar Kleinert deutlich privater, wenn auch nicht naturalistischer und der dicke sächsische Akzent der meisten Darsteller trägt zum wunderbaren Vintage-Charme der Produktion ebenso bei wie das gemütliche Set Design zwischen Plüschsessel und Zeitmaschine. Alles ist irgendwie heimischer und irdischer, selbst die fremdartige Zukunft, aus der die Besucher stammen, bekommt etwas Nachbarschaftliches.

Deutlich schicker, futuristischer und sogar psychedelischer gibt sich DER GETREUE ROBOTER, 1977 vom selben Team realisiert, in dem etwas mehr Wildheit in Kostüme, Set Design und Spiel geraten ist. Im Amerika des 22. Jahrhunderts kommt der Schundautor Mr. Klempner unverhofft zu einem Robotsklaven – ein anonymes Paket bringt den treuen Diener (wiederum von Volkmar Kleinert mit bösem Hintersinn verkörpert) ins Haus, der sich fortan um alles und jedes im Haushalt kümmert. Bald schon wandelt sich der Hausherr zum trägen Pantoffelpascha, den man von vorn und hinten bedienen muss, und der Unmut des Roboters nimmt stetig zu. Heimlich baut sich der vermeintlich perfekte Diener aus Leichenteilen den perfekten Herrn, denn Mr. Klempner ist leider an einen mörderischen Robotpsychopathen geraten, der aus einem Versuchslabor entkommen ist. Die überdrehte Parabel auf die Klassengesellschaft spielt zwar in einem in Dekadenz erstickenden Amerika, behandelt aber – wie sich im KI-Zeitalter deutlich erweist – zeitlose und systemübergreifende Themen. Erzählerisch steht das Stück in der Tradition klassischer Vorbilder, allen voran natürlich Karel Capeks „R.U.R. – Rossums Universal Robots“, das den ersten mörderischen Aufstand mechanischer Arbeitssklaven gegen ihre menschlichen Ausbeuter beschreibt, die Lem wie meist mit leichter Hand ad absurdum weiterführt. Das hat wohl ein bißchen zum Austoben eingeladen, und man sieht die 70er in aller maßlosen Pracht, wenn sich zu delirierender elektronischer Musik die „Gefühle“ des Roboters in einkopierten Farbspielen auf seinem Körper entladen – da waren sich Scifi-TV-Produktionen aus West und Ost durchaus ähnlich, erinnerten manchmal an Kindergeburtstage. Lem dürfte gestaunt haben – staunen wir ruhig mit.

Überhaupt, dies nebenbei, erinnern beide Geschichten an Gore Vidals Stück „Besuch auf einem kleinen Planeten“ von 1957, besser zu goutieren in der ZDF-Fassung (mit Peter Fricke, Peter Pasetti und Klaus Schwarzkopf) und lieber nicht in der Jerry-Lewis-Version. Irgendwie geht aber in allen Adaptionen der genannten Stücke die Unschuld der Protagonisten, der Besucher aus Zukunft und Weltall oder des getreuen Robotsklaven, hinter der schrillen Fassade verloren.

Die DVD kommt vom Ost-Kult-Label Ostalgica, basiert auf Archivmaterial des DDR-Fernsehens und ist nichts für UHD-Verwöhnte, weshalb auf eine Blu-ray-Veröffentlichung verzichtet wurde. Gedreht wurden die beiden Stücke offenbar nicht auf Film, sondern auf SECAM-Videoband – entsprechende Abstriche in der Bildqualität muss man in Kauf nehmen. Aber gemessen am Quellenmaterial, sind Bild und Ton akzeptabel bis ordentlich, vor allem EIN SELTSAMER GAST leider in schlechterem Zustand. Sicherlich sind beide Produktionen keine vergessenen Klassiker, aber doch interessante kleine Entdeckungen und dankenswerte Ausgrabungen. Bleibt noch, an die Kollegen von Pidax zu appellieren, auch die West-Version DIE SELTSAMEN BEGEGNUNGEN DES PROF. TARANTOGA endlich aus der Vergessenheit zu holen.

Prof. Tarantoga und ein seltsamer Gast
DDR 1979
Regie: Jens Peter Proll

Drehbuch: Albrecht Börner, nach Stanislaw Lem
Kamera: Siegfried Peters
Musik: Bernd Wefelmeyer
Darsteller: Eberhard Esche, Volkmar Kleinert, Ruth Glöss u.a.
Laufzeit: 61 min.

Der getreue Roboter
DDR 1977
Regie: Jens Peter Proll

Drehbuch: Albrecht Börner, nach Stanislaw Lem
Kamera: Siegfried Peters
Musik: Bernd Wefelmeyer
Darsteller: Otto Mellies, Volkmar Kleinert, Arthur Jopp, Lilo Grahn u.a.
Laufzeit: 67 min.

Fotos: ©
Ostalgica

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