Lange waren spanische Horrorfilme der sechziger und siebziger Jahre, bedingt durch ihre schlechte internationale Verfügbarkeit, dem breiten Filmpublikum nahezu unbekannt. Ausnahme: Jess Franco, Paul Naschy und die reitenden Leichen. Für eingeschworene Fans waren die unbekannteren Filme so etwas wie der Heilige Gral. Wie durch ein Wunder öffnen sich in den letzten Jahren die spanischen Archive, und in erster Linie amerikanische Blu-ray-Labels veröffentlichen spanischen Horror in überraschender Zahl und oft hervorragenden Editionen. Werke von Regisseuren wie Amando de Ossorio, Carlos Aured, José Luis Madrid, José Luis Merino, Narciso Ibáñez Serrador oder Claudio Guerín Hill werden inzwischen fast mit gleicher Begeisterung goutiert und diskutiert wie die ihrer italienischen Kollegen Mario Bava, Lucio Fulci, Umberto Lenzi und Co. Und das zu Recht, denn der spanische Horrorfilm steht dem des italienischen Kinos in nichts nach und hat ganz eigene Themen und Stile hervorgebracht.
Autor und Regisseur Vicente Aranda, dessen THE BLOOD SPATTERED BRIDE das Subkultur-Label jetzt in einer empfehlenswerten Edition und erstmals mit deutscher Synchronisation auf den Markt gebracht hat, hätte sich selbst sicher nicht als Horrorfilm-Regisseur bezeichnet. Der 2015 verstorbene Spanier gehörte zu den großen Regisseuren seines Landes und wird dort auch heute noch in einem Atemzug mit Kollegen wie Carlos Saura oder Luis García Berlanga genannt. Historische wie zeitgenössische Stoffe, oft mit starken Frauenfiguren, gehören zu seinen Werken. Seinen dritten Film THE BLOOD SPATTERED BRIDE siedelte er 1972 im damals kommerziell vielversprechendsten Genre, dem Horrorfilm, an, nachdem ihn sein Vorgängerwerk THE EXQUISITE CADAVER (1969) mit einem Haufen Schulden zurückgelassen hatte.
Internationales Werbematerial ließ THE BLOOD SPATTERED BRIDE, passend zum Filmtitel, wie einen Splatterfilm aussehen, so auch die beiden brutalen italienischen Postermotive von Illustrator Sandro Symeoni, die Subkultur für Blu-ray und Schuber nutzt. Dabei handelt es sich bei dem Film aber, je nach Sichtweise, eher um einen Vampir- oder Geisterfilm. Das Buch basiert auf der 1872 erschienenen Novelle „Carmilla“ des irischen Autors Sheridan Le Fanu, in der die Begegnung einer jungen Frau mit dem titelgebenden weiblichen Vampir erzählt wird. Das Buch gilt als erster Vampirroman und soll einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf Bram Stoker gehabt haben, der den Wohnsitz seines Grafen Dracula ursprünglich wie den Schauplatz von „Carmilla“ in der Steiermark anzulegen plante. Vor THE BLOOD SPATTERED BRIDE war „Carmilla“ bereits Inspiration für Filme wie VAMPYR (1932, Carl Theodor Dreyer), DRACULA’S DAUGHTER (1936, Lambert Hillyer), …ET MOURIR DE PLAISIR (1960, Roger Vadim), LA CRIPTA E L’INCUBO (1964, Camillo Mastrocinque), THE VAMPIRE LOVERS (1970, Roy Ward Baker), LUST FOR A VAMPIRE (1971, Jimmy Sangster), DAUGHTERS OF DARKNESS (1971, Harry Kümel) und TWINS OF EVIL (1972, John Hough) gewesen.
Der Großteil des Films spielt in und um das schlossartige Familienanwesen eines namenlos bleibenden jungen Mannes (Simón Andreu), der dort mit seiner frischvermählten Braut Susan (Maribel Martín) die Flitterwochen verbringt. Bis auf zwei Hausangestellte, deren Tochter und einen Arzt bietet der Film keine weiteren Personen auf, gäbe es da nicht eine vor zwei Generationen verstorbene Familienangehörige namens Mircala Karstein (Alexandra Bastedo), die sich bald unter die Lebenden mischt. Spätestens mit ihrem an die Romanfigur Carmila erinnernden Vornamen bekennt sich Vicente Aranda zur literarischen Vorlage. Der jungen Susan, die sich durch dessen sexuellen Chauvinismus und unverhohlene Brutalität mehr und mehr von ihrem Ehemann entfremdet, erscheint Mircala zunächst im Traum und später immer gegenständlicher, zieht sie hinein in ihre Welt und den Kampf gegen die männlichen Figuren des Films. Die lesbischen Konnotationen des Buches von 1872 verschleiert Vicente Aranda nicht, im Gegenteil, von Anfang an ist spürbar, dass Mircala Susan zu ihrer Liebespartnerin machen will. So ist der Film auch an keiner Stelle wirklich gruselig denn stimmungsvoll, auch nicht in der legendären Traumsequenz, in der Susan ihren Mann mit Hilfe Mircalas im gemeinsamen Bett mit nahezu endlosen Messerstichen massakriert. Obwohl über dem gesamten Film, nicht zuletzt aufgrund der stimmungsvollen Locations, ein düsterer Schatten zu hängen scheint, pendelt er zwischen realistischem Schrecken (die Übergriffe des Ehemannes, eine unschöne Tiersnuff-Szene mit einem Fuchs) und eher gotisch-romantisch angehauchten Szenen des Übersinnlichen. Dabei bricht Aranda meisterhaft Übersinnliches und Realistisches. Mircalas ersten Auftritt gestaltet er wunderbar antidramatisch – die Vampirin beobachtet das junge Ehepaar reglos aus einem parkenden Auto. Nachdem Mircala Susan im Traum erschienen ist, gelingt dem Regisseur eine subtil erschreckende Szene: Susan springt auf, während eine seltsame, schwarzgewandete Figur, die man nur für einen Sekundenbruchteil sieht, vom Bett rollt. War das die wirkliche Mircala und die traumschöne, in wehende Gewänder gekleidete Vampirin nur das Scheinbild eines Sukkubus?
Unvergesslich bleibt auch die surrealistische Szene, in der Mircala sich erstmals offen ins Geschehen einbringt und Susans Ehemann erscheint. Er begibt sich an einen Strand, um dort ein Messer der geisterhaften Erscheinung zu vergraben und sieht aus dem Sand eine weibliche Hand und das Ende eines Schnorchels hervorragen. Vorsichtig gräbt er eine nackte junge Frau mit Taucherbrille aus und fährt sie mit seinem Wagen ins Schloss. Mircala ist nun angekommen, um Rache für das zu nehmen, was die Vorfahren des jungen Mannes ihr einst angetan haben. Die meisten seiner Filme erzählte Vicente Aranda aus der Perspektive weiblicher Protagonistinnen. Ob es sich bei THE BLOOD SPATTERED BRIDE um einen handelsüblichen Grusel-Softporno (einige Szenen der in halbdurchsichtigen Gewändern durch den Schlosspark wandelnden Mircala und Susan könnten auch aus einem Jean-Rollin-Film stammen) oder einen Film mit feministischen Ansätzen handelt ist strittig und muss jeder Zuschauer wohl für sich entscheiden. Fakt ist, dass der Film, trotz seines kompetenten Spiels mit Versatzstücken des Vampirgenres auch als Autorenfilm verstanden werden kann. Wie einige seiner spanischen Kollegen nutzte Aranda einen Horrorfilm, um in der Zensurphase der General-Franco-Diktatur Aussagen zu brenzligen Themen zu wagen.
Natürlich durfte lesbischer Vampirismus und ähnlich Degeneriertes in spanischen Filmen jener Zeit nicht im Heimatland verortet werden, ein Grund, aus dem nahezu alle hispanischen Horrorfilme in England, Frankreich oder gar Deutschland spielten. „Frisch vermählt reist die jungfräuliche Braut Susan mit ihrem Ehemann zu dessen Familienanwesen im Norden Spaniens“, beginnt der Rückseitentext der Subkultur-Blu-ray. Dass der Film dort gedreht ist, ist unstrittig, aber ich würde bestreiten, dass er dort auch spielen soll. Dagegen sprechen die generischen Namen und das Fehlen jedes spanischen Schriftzuges oder Nummernschildes. Nur einmal rückt etwas Gedrucktes ins Bild, es ist das amerikanische LIFE-Magazin.
Der Film liegt bei Subkultur in einer hervorragenden Abtastung im Bildformat 1.85:1 vor, in spanischer und neuer deutscher Synchronfassung von Bodo Traber, dessen Dialogen man anmerkt, dass er sich mit der Thematik des Films und seiner Vorlage gut auskennt. Leider finden sich im Bonusmaterial kein Interview, Feature oder Audiokommentar, dafür aber ein interessantes alternatives Ende, alternative Szenen, internationale Vor- und Abspänne, diverse Trailer, Radiospots und eine Bildergalerie. Der Booklettext von Filmpublizist Stefan Jung liefert ebenfalls wenig Hintergrundinformationen zum Film und seiner Entstehung, sondern setzt sich stattdessen in recht wissenschaftlichem Ton mit den gesellschaftlichen und psychologischen Subtexten des Films und seinem Platz im Kanon des Gothic Horror auseinander.
La Novia Ensangrentada
Spanien 1972
Regie & Drehbuch: Vicente Aranda
Kamera: Fernando Arribas
Musik: Antonio Pérez Olea
Darsteller: Simón Andreu, Maribel Martín, Alexandra Bastedo, Dean Selmier u.a.
Laufzeit: 102 min.