Kammerspiel der Ausgrenzung.

Eine junge Frau streift barfuß durch den Wald, auf dem Rücken eine Flinte und um den Hals eine Kette mit Zähnen. Sie sucht einen Wilderer, der drei Schafe von Dorfbewohnern getötet hat. Sie will ihn finden, um den Verdacht von einem kleinen Mädchen abzulenken, das ihr und ihrer Mutter zugelaufen ist. Die Dörfler glauben, dass sie Unglück über die Gemeinschaft bringt.

Der Film basiert auf dem gleichnamigen Roman von Helene Bukowski von 2019. Während es im Buch um die toxische Beziehung der von Angst gefangenen Mutter zu ihrer (im Roman sehr jungen) Tochter Skalde geht, setzt der Film den Fokus auf das Mädchen. Sie ist offenbar eine Waise, man erfährt nur wenig darüber, wo sie herkommt und wie ihre Eltern gestorben sind. Für die Dorfgemeinschaft ist sie ein Eindringling. Damit setzt die Filmgeschichte den Fokus auf das Thema Fremdenhass: Sie haben kein Interesse, das Mädchen kennen zu lernen, und projizieren stattdessen ihre Angst auf sie. Sie glauben, dass es sich um eine Figur aus alten Mythen handelt, ein „Wolfskind“, das Unglück bringt. Wolfskinder, so heißt es, haben kleine scharfe Zähne, die sie nicht verlieren. Sie haben also keine Milchzähne.

Die Mutter und später auch Skalde setzen sich für das Mädchen ein. „Sie wird ihre Zähne verlieren, und dann sehen wir, dass sie eine von uns ist“, verspricht Skalde. Doch dann verschwindet ein Geschwisterpaar, und der Hass des Dorfes richtet sich auf die beiden Frauen und das Kind. Zumal das Mädchen, obwohl es im Grundschulalter ist, tatsächlich keinen Zahn verliert…

Das Setting des Films ist in einer klaustrophobisch isolierten Atmosphäre angesiedelt, in der die beiden Frauen auch nach zwanzig Jahren noch als Neulinge gelten. Kontakte nach außen scheint es nicht zu geben, die von Nachbarschaftshilfe und Mythen getragene Gemeinschaft steht über allem. Wer deren Erzählungen infrage stellt, wird zum Außenseiter – etwa ein Alkoholiker, der die Selbstjustiz der Gemeinschaft zu spüren bekommt.

Die Geschichten im Dorf bleiben so nebulös wie die Beziehungen vieler BewohnerInnen zueinander. Dass auch die Kamera viel mit Unschärfen arbeitet, ist Programm. Die Zeitlosigkeit der Geschichte wird unterstrichen durch einen Score mit Volksliedern („Wenn ich ein Vöglein wär’“).

Auch die Zuschauer bleiben in diesem Setting Außenseiter und seltsam unbeteiligt. Weil mit keiner der Figuren eine echte Identifikation möglich ist, verspielt der Film die Chance, den Grusel der Abgeschiedenheit, der verhängten Fenster und mythischen Verflechtungen zu teilen – selbst das Schicksal des Mädchens, meisterhaft gespielt von Kinder-Darstellerin Viola Hinz, kann diese Brücke nicht schlagen.

Tiefer einzusteigen in die Psychogramme des Dorfes und die Mechanismen, die von der Gemeinschaftsbildung in Ausgrenzung und Fremdenhass führen, wäre spannend gewesen. Dafür hätte es ein anderes Format gebraucht: MILCHZÄHNE wäre der perfekte Stoff gewesen für eine Mystery-Miniserie.

Milchzähne
Deutschland / Schweiz 2024
Regie & Drehbuch: Sophia Bösch, Roman Gielke
Kamera: Alexandra Medianikova
Montage: Andrea Muñoz
Darsteller: Mathilde Bundschuh, Susanne Wolff, Viola Hinz u.a.
Laufzeit: 97 min.

Fotos: ©
farbfilm verleih