Ein Festival der politischen Mitte.

Der Eröffnungsabend des Filmfestivals Max Ophüls Preis 2025 fand am 20. Januar an einem symbolträchtigen Datum statt, der Amtseinführung des US-amerikanischen Präsidenten Donald Trump, durch den der 46. Präsident der Vereinigten Staaten Joe Biden abgelöst wurde. Auch das wichtigste Festival des deutschsprachigen Nachwuchsfilms geht in die 46. Runde, die politischen Verwerfungen der Weltpolitik und der Bundesrepublik durch die zunehmende Akzeptanz der AFD sind mehr oder weniger deutlich im gesamten Festivalverlauf spürbar, nahezu jede Eröffnungsrednerin und jeder -redner berühren diese Themen.

Umso bemerkenswerter bleibt die Geschlossenheit, mit der die (zumindest im Saarland noch einigermaßen großen) Volksparteien der politischen Mitte aus CDU und SPD hinter dem Filmfestival stehen. Daran lassen Saarbrückens CDU-Oberbürgermeister Uwe Conradt und SPD-Ministerpräsidentin Anke Rehlinger während der Veranstaltung keinerlei Zweifel aufkommen und signalisieren sinngemäß: Wir möchten, dass das Festival noch lange besteht und seinen eingeschlagenen Weg fortsetzen kann. Es bleibt zu hoffen, dass dieser kulturpolitische Burgfrieden auch in Zukunft erhalten bleibt, denn in der Geschichte des Max-Ophüls-Preises gab es Phasen, in denen die CDU diesem jährlichen Stelldichein des deutschsprachigen Filmnachwuchses nicht wirklich wohlgesonnen war; schließlich führen dessen historische Wurzeln zurück in die Zeiten, als die politische Macht in der saarländischen Landeshauptstadt noch fest bei der SPD verankert und mit Namen wie Oskar Lafontaine und Hans-Jürgen Koebnick verbunden war…

Eine mediokre Politsatire als Einstieg

Die Eröffnung war insgesamt durch die Projektion von MUXMÄUSCHENSTILL˟ (D 2024) geprägt, einer Quasi-Fortsetzung des gleichnamigen Festivalabräumers von 2004. Von der Festivalleitung bereits im Vorfeld als politisches Statement gepriesen und im Filmvorspann von Regisseur, Autor und Hauptdarsteller Jan Henrik Stahlberg explizit als Politsatire angekündigt: Vorschusslorbeeren dieser Art schüren hohe Erwartungen, denen der Film am Ende leider nicht gerecht wird. Der soziopathische Spießbürger „Herr Mux“ ist doch nicht tot, wie es der erste Film nahelegt, sondern nach 20 Jahren aus dem Koma erwacht und verfasst nun voller Tatendrang das Manifest des „Muxismus“ und gründet eine politische Sammlungsbewegung mit dem Ziel, durch sogenannte Solidarjobs den Neoliberalismus und die Langzeitarbeitslosigkeit zu überwinden. Das klingt  als Idee recht gut, wird allerdings in der filmischen Umsetzung seinen eigenen Ansprüchen an Satire nicht gerecht: Zu wortlastig, zu unlustig, zu ideenlos quält sich das Ganze dahin, findet auch kein überzeugendes Ende.

Ging bereits MUXMÄUSCHENSTILL von 2004 nach 60 Minuten die Puste aus, so kommt die aktuelle Fortsetzung erst gar nicht auf Touren. Das hat auch damit zu tun, dass der von Stahlberg gezeigte, vorgeblich aktuelle politische Aktivismus unserer Zeit maßlos hinterherhinkt. Mux ist nicht wirklich im Internet und den sozialen Medien engagiert. Wer schreibt und liest heute noch revolutionäre Manifeste? Nach Beendigung des Wachkomas mutiert die konservative und reaktionäre Hauptfigur ohne nachvollziehbaren Grund zum antikapitalistischen Sozialreformator, obwohl sich die politische Akzeptanz in der (realen) Bundesrepublik in eine Richtung entwickelt, in der soziale Gerechtigkeit, aber auch der Respekt vor gesellschaftlichen Außenseitern und Minderheiten immer weniger geschätzt wird. Ein eigentlich gelungener Gimmick der Filmproduktion, „muxistische“ Manifeste im Anschluss an das Screening zu verteilen, die dem gelben Schullektürenheft des kommunistischen Manifests von Marx und Engels in der Reclamausgabe nachempfunden sind, wird ein junges Publikum nicht erreichen, allenfalls noch ein paar wenige altsozialistische Senioren. In Anlehnung an Hermann Hesse heißt es im Film abgedroschen und phrasenhaft: “Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne” – dem Ende aber eben nicht mehr. Quod erat demonstrandum…

Politische Statements auf dem Festival Max Ophüls Preis – gestern und heute

Man könnte gegen diese Kritik am Eröffnungsfilm einwenden, dass ein Filmfestival keine Akademie für politische Bildung sei, dennoch ist es eingebettet in die politische Meinungsbildung der Menschen, die es besuchen, die die Filme rezipieren, die dort gezeigt oder prämiert werden bzw. zeitversetzt im Streaming oder einem späteren Kinostart ansehen werden.

Als gelungenes Beispiel aus der Festivalgeschichte sei die Durchführung des Sonderprogramms „Spurensicherung: Krieg“ aus dem Jahr 2003 erwähnt, mit dem der damalige Festivalleiter Boris Penth im Vorfeld des dritten Golfkriegs die „Behandlung großer gesellschaftlicher Ängste“ als so bedeutsam erachtete, dass in Zusammenarbeit mit dem damaligen Arbeitskreis „KinoKirche“ des Projekts Johanneskirche und der Evangelischen Akademie im Saarland eine Retrospektive mit elf Filmen zu den Themenschwerpunkten Krieg, Vertreibung und Terrorismus stattfand.

„Spurensicherung: Krieg“ war ein fundiertes Statement zu den Krisen und Disruptionen des Jahres 2003, die den heutigen weltpolitischen Problemen nicht so unähnlich sind. Vielleicht wäre es an der Zeit, im Festivaljahr 2026 etwas Vergleichbares zu versuchen.

Max Ophüls – Die Bedeutung des Namengebers verblasst

Auch unterschiedliche (nicht nur filmhistorische) Ausprägungen des Filmexils könnten ein ergiebiges Thema von bestürzender Aktualität für ein Sonderprogramm sein und würden darüber hinaus Verknüpfungen zur Biographie und den Filmen des Namengebers Max Ophüls ermöglichen, dessen Bedeutung für das Festival immer mehr verblasst. Zwar konnte auch 2025 Ophüls’ Urenkel, der Filmwissenschaftler Andréas-Benjamin Seyfert, auf bewährt souveräne Weise (allerdings wegen der Großbrände in Kalifornien nur via Internet-Schaltung) den großartigen Film Noir THE RECKLESS MOMENT (USA 1949) des Regiemeisters im Kino “achteinhalb” zeigen, dennoch bleibt es dort nur eine Nischenveranstaltung, allerdings auf einem hohen Diskurs und Reflexionsniveau.

Wo bleibt der Wolfgang-Staudte-Preis?

Vor allem soziale und politische Fragestellungen spielen bei der Vergabe des Preises für die etwas nebulöse Kategorie des „gesellschaftlich relevanten Films“ eine exponierte Rolle. Man könnte das Profil des Preises eventuell dadurch schärfen, dass man ihn einem weiteren Saarbrücker Filmregisseur widmet, nämlich Wolfgang Staudte, dessen Nachkriegsfilme in Ost- und Westdeutschland mutig den Finger in die Wunde der verdrängten NS-Verbrechen legten, wie dies kein zweiter Regisseur mit Filmen wie DIE MÖRDER SIND UNTER UNS (SBZ 1946), ROSEN FÜR DEN STAATSANWALT (BRD 1959) und KIRMES (BRD 1960) getan hat. Auch wäre es an der Zeit mit einer solchen Tat das langjährige Engagement der saarländischen Wolfgang-Staudte-Gesellschaft und ihrer Gründerin Uschi Schmidt-Lenhard zu würdigen, die auch in diesem Jahr auf dem Festival mit der üblichen hohen Verve die viel zu selten gezeigte Staudte-Version (BRD/F 1963) von Brechts DREIGROSCHENOPER im Rahmen der alljährlichen Hommage-Veranstaltung präsentierte.

Der stärkste Film im Spielfilmwettbewerb

Der in inszenatorischer und inhaltlicher Hinsicht stärkste Film im Spielfilmwettbewerb war ICH STERBE, KOMMST DU? (D 2025). Er erhielt zwar zwei Auszeichnungen (eben jene für den gesellschaftlich relevanten Film, dazu bemerkenswerterweise auch den Publikumspreis), aber keinen der bedeutenderen Hauptpreise. Im Film geht es um die letzten Wochen einer jungen, kranken alleinerziehenden Mutter im Sterbehospiz, konsequent und anrührend von Regisseur Benjamin Kramme auf der Grundlage eigener beruflicher Erfahrungen erzählt – aber ohne falsche und aufgesetzte Sentimentalitäten. Jennifer Sabel verkörpert diesen Part kompromisslos und authentisch, aber für den Darstellerinnen-Preis hat es dann am Ende erstaunlicherweise doch nicht gereicht. Auch nicht für den Preis der Ökumenischen Jury, die das Mutter-Sohn-Drama SCHAM (D 2025) von Lukas Röder prämierte.

Soziale Kälte im ökumenischen Familiendrama und poetischer Realismus im Schweizer „Bagger-Ballett“

SCHAM ist ebenfalls ein radikaler Film, aber in seinem gnadenlosen Seelenstriptease zu roh und abstoßend. Formalästhetisch verstärkt ein Splitscreen reziprok und simultan von Mutter und Sohn aufeinander ausgerichteter Handykameras die voyeuristische Tristesse des dargestellten Konflikts, der im Finale des Films keine dramaturgisch adäquate Auflösung findet. Mutter und Sohn verletzen einander in diesem psychologischen (Handy-)Kammerspiel maßlos, für das Kinopublikum bleiben beide Parteien in ihrer wechselseitigen Unversöhnlichkeit unzugänglich und lassen es über die Sichtung des Films hinaus seelisch belastet zurück. SCHAM weidet sich an diesem Niedergang seiner Figuren und vertritt als Träger eines ökumenischen Filmpreises ein merkwürdig unchristliches Menschenbild, ein desaströses Abbild des familiären Miteinanders, in dem soziale Kälte und emotionale Gespaltenheit die Familie als Keimzelle des gemeinschaftlichen Zusammenlebens längst zerstört haben…

Auch Piet Baumgartners BAGGER DRAMA (CH 2024) befasst sich mit dem Bedeutungsverlust der Institution Familie am Beispiel einer schweizerischen Mittelstandsfirma im Baumaschinengewerbe. Beeindruckend, wie es dem Regisseur gelingt, die Auswirkungen der sozio-ökonomischen Verflechtungen des Unternehmens auf den privaten Bereich darzustellen, allerdings ohne pädagogisch-didaktischen Zeigefinger, sondern mit einem poetischen Realismus, der immer wieder ironisch aufgebrochen wird, – ein “Bagger-Ballett” inklusive – in einem phantasievollen und preiswürdigen Film. BAGGER DRAMA erhielt verdientermaßen den Regie-Preis des Festivals (auch Preis der saarländischen Ministerpräsidentin genannt) und den Fritz-Raff-Drehbuchpreis.

ROTE STERNE ÜBERM FELD – Prätentiöse Odyssee im Dickicht der Geschichte

Überambitioniert und unausgeglichen präsentiert sich hingegen ROTE STERNE ÜBERM FELD (D 2025) als ein soziohistorisches Kaleidoskop aus satirischem Polit-Essay und Kostümfilm, in dem Sentenzen aus Walter Benjamins Geschichtsphilosohie im Stile eines agitatorischen Propagandafilms montiert werden, um verdrängte und schuldbeladene Stationen der deutsch-deutschen Vergangenheit zu thematisieren, deren Auswirkungen die Gegenwart der Bundesrepublik Deutschland in ein gespensterhaftes, halluzinatorisches Dasein verwandeln. Mal abgesehen davon, dass die Verwendung der Benjamin-Zitate und die Cameo-Auftritte von Till Lindemann in einen Zusammenhang gebracht werden, der nicht wirklich stimmig ist, verpufft der erhebliche technische Produktionsaufwand, mit unterschiedlichen Filmformaten und -materialien in Schwarzweiß und Farbe zu arbeiten, bei einer sterilen Digitalprojektion nahezu vollständig.

Die Jury für den Preis der Filmkritik war von dem prätentiösen Gesamtresultat in ROTE STERNE ÜBERM FELD trotzdem begeistert. Die Abgeklärtheit Walter Benjamins hat allerdings nicht auf die Regisseurin Laura Laabs abgefärbt: Während der Preisverleihung haut sie ein paar markige Anti-AFD-Sprüche raus, obgleich es besser gewesen wäre, einen weniger verblasenen und abgehobenen Film zu machen, der sich auch in politischer Hinsicht hätte klarer positionieren können…

Christian Petzolds Gespenster der deutschen Geschichte sind auch noch da

Als Kontrastprogramm zu ROTE STERNE ÜBERM FELD bot sich der Besuch von Christian Petzolds „Tribute-Reihe“ mit den Filmen DIE INNERE SICHERHEIT (D 2000), PHOENIX (D/PL 2014) und TRANSIT (D/F 2018) an. Das Figurenensemble seiner Protagonisten stellt ebenfalls Personen dar, die durch traumatisierende Erlebnisse an disruptiven Fluchtpunkten deutscher Geschichte gewissermaßen zu lebenden Toten, zu Gespenstern geworden sind – allerdings verzetteln sich Petzolds Konstruktionen nicht im Pluralismus des postmodernen, pseudo-essayistischen Genre-Mashup-Rauschs, wie es im Film von Laura Laabs der Fall ist.

46. Filmfestival Max Ophüls Preis
2025

Fotos: ©
Carlos Vasquez/Amerikafilm (ROTE STERNE ÜBERM FELD), Jan David Gunther (UNGEDULD DES HERZENS), Philip Gröning Filmproduktion GmbH (SCHAM), Mafilm (ICH STERBE. KOMMST DU?), Mux Filmproduktion, Ralf Noak (MUXMÄUSCHENSTILL*), SewTornLLC ORISONO (SEW TORN), Dschoint Ventschr (BAGGER DRAMA), Werner Stein, Festival Max Ophüls Preis