Etwas ist faul im Staate der Olympier.

Der Druck auf die Herrschenden wird größer. Das heiligste aller Feste, das Olympiafest, wird sabotiert. Ein riesiger Haufen Scheiße mit der Inschrift „Fuck the Gods“ wird enthüllt. Göttervater Zeus schaut sich das im TV an und ist total pissed. Der unsichere Obergott hält Prometheus als potenziellen Verräter an einer Klippe gefesselt gefangen, der kann es nicht sein. Die Rebellen sind damit noch nicht entlarvt.

Der Machtkampf zwischen Göttern und Menschen ist nicht die einzige Geschichte, die in der Miniserie KAOS erzählt wird. Im Stil von Baz Luhrmanns ROMEO UND JULIA werden auch klassische Geschichten aus der griechischen Sagenwelt wie die von Orpheus und Eurydike, Ariadne und Caeneus neu erzählt in einer modernen Welt wie unserer, aber ganz anders. Was die Einzelgeschichten auffächern, ist ein vielschichtiges Gesellschaftstableau, das äußerst unterhaltsam am Anachronismushebel drehend unsere Gesellschaft seziert. Es ist einiges faul im Staate der Olympier.

Befinden wir uns im Himmel bei den Göttern, wird eine helle, fröhliche Bubblegum-Welt inszeniert, die an Greta Gerwigs BARBIE erinnert. Der kindische und paranoide Zeus (Jeff Goldblum) schwängert ständig junge Frauen und scheint damit seinen langsamen Machtverlust zu kompensieren. Seine Frau Hera (Janet McTeer) ist die kluge Grande Dame, die es sich aber nicht nehmen lässt, ein rein sexuelles Verhältnis mit dem prolligen Poseidon (Cliff Curtis) zu unterhalten. Die jungen Dinger von Zeus verwandelt sie indes in Bienen. Ihre Macht mit oder hinter Zeus würde sie allerdings nicht aufgeben. Später wird noch Hades aus der Unterwelt dazu kommen, auch er in der Unterwelt mit massiven „gesellschaftlichen“ Problemen konfrontiert.

Grundtreiber für die göttlich inszenierten Probleme ist die langsame Emanzipation der Menschheit auf der Erde und im Reich der Toten, was den Machtverlust des Göttervaters Zeus einzuläuten scheint. Natürlich sind hier Oligarchen aller Länder gemeint, insbesondere natürlich diejenigen in unseren Breitengraden. Dass ihre Position gerade zu dem Zeitpunkt als fragil dargestellt wird, da sie in der Realität sicherer denn je in ihrer Position sitzen (die Gewinne von Musk, Bezos & Co. sind seit der Pandemie größer denn je), zeigt den Wunschtraum der Serie, die Verhältnisse chaotischer werden zu lassen. KAOS will die bestehende Ordnung etwas in Frage stellen und schüttelt die griechische Mythologie kreativ durch. Chaos meint nicht das entstehungsgeschichtliche Chaos als Ursprung der alten Griechen, das Nichts (bzw. etymologisch bedeutet Chaos „gähnende Leere“), sondern meint die heutige Vorstellung von Unordnung (als Gegenteil von Ordnung).

Auch im Verhältnis zwischen den Geschlechtern herrscht Aufruhr. Der mythologische Sänger Orpheus ist in KAOS ein großer Rockstar (Killian Scott), der trotz Ruhm und Verliebtheit nicht bemerkt, dass Freundin Eurydice, kurz Riddy (Aurora Perrineau), mit ihrem Status als Projektionsfläche seiner Liebe nicht mehr zufrieden ist. Es erfüllt sie auch nicht mit Freude, als er seinen neusten Song nach ihr benennt. Zum Humor der Serie gehört es, dass die Lyrics entlarvend sind: “Is it a little too much / Breathin’ the air from your lungs? / Is it a little bit much / Under the weight of this love?”

Riddys überraschender Tod führt sie in eine Unterwelt, in der sie sich in Canaeus verliebt, Trans-Person – und dementsprechend wird sie sich über die Ankunft von Orpheus gar nicht freuen. In der Unterwelt agieren weitere Frauen, Medusa und Persephone, die nicht nur als Gefangene im Reich eines weiteren männlichen Übergottes sind, wie überhaupt Frauen die Welt der Menschen und Götter ziemlich durcheinander bringen – weil sie, nicht wie Hera, keine Privilegien zu verteidigen haben. Vor allem Ariadne, kurz Ari (Leila Farzad), ist heftig involviert in der Rebellion gegen die Götter.

Die konsequent in Schwarzweiß gefilmten Szenen in der Unterwelt verraten das wahre Ausmaß der Grausamkeit, welche die Götter den Menschen antun. Alle Menschen im Totenreich müssen – sehr religiös-heilsam – durch einen See gehen, an dessen Ende ein heiliges Licht-Tor steht. Hier sollen die Seelen der passierenden Menschen erneuert werden (übersetzt gesagt: reinkarniert). In Wahrheit aber schickt Zeus die Menschen hier ins Nichts und sammelt so die Seelen ein, die auf dem Olymp die Quelle des Mäanderbrunnens speisen, dessen Wasser die Grundlage für die Unsterblichkeit der Götter ist. Noch mehr Klassenkampf also.

Das Problem hier für die Götter: Hades und Persephone informieren Zeus über die Überpopulation in der Unterwelt. Die vielen Menschen, sie stets sterben und die Unterwelt bevölkern, haben zum Versagen des Lichttors geführt. Hier kommt also auch ein bisschen Chaostheorie zum Zug. Die Komplexität der (drei) Welt(en) in dieser knallbunten, schwarzweißen, stilgemixten Serie, in denen das eine zum andern führt und bewirkt, in der das Gleichgewicht zwischen Himmel, Erde und Unterwelt ins Wanken geraten ist, schafft Probleme, die kaum noch zu meistern sind von einem Zeus, der sich bis anhin nie hinterfragen musste. Nur Prometheus hängt angekettet am Berg und lacht, wenn ihm nicht grad wieder die Leber von einem Adler herausgepickt wird.

KAOS
UK 2024
Regie: Georgi Banks Davies, Runyararo Mapfumo

Drehbuch: Charlie Covell, Georgia Christou
Kamera: Kit Fraser, Pau Esteve Birba
Musik: Isabella Summers
Darsteller: Jeff Goldblum, Janet McTeer, Aurora Perrineau, Cliff Curtis, Stephen Dillance, Nabhaan Reizwan, Killian Scott u.a.
Laufzeit: 8 x 50 min.

Fotos: ©
Netflix

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