In ganz Europa geht der Strom aus. Eine Achterbahn bleibt stehen, irgendein Irrer hat Panik und steigt aus, bevor die Feuerwehr oben ist. Frauke Michelsen (Marie Leuenberger) wartet vergebens am Bahnhof auf ihre beiden Kinder, denn im HB Berlin gehen die Lichter ebenso aus wie auf allen Gleisen die Züge abrupt stoppen. Die Mitarbeiter in den Kraftwerken Europas wissen nicht, weshalb die Turbinen Probleme anzeigen und müssen abschalten. Zack, Zack, Zack, auf der nächtlichen Europakarte gehen in allen Ländern die Lichter aus. Totales Blackout.
Nur der ehemalige Hacker Piero Manzano (Moritz Bleibtreu) in Bozen hat sehr bald eine Ahnung davon, wo das Problem liegen könnte. Natürlich glaubt ihm die überforderte italienische Polizei seine Theorie vom Hackerangriff nicht, worauf er sich zur Innsbrucker Zentrale seines Stromkonzerns durchschlägt, von der aus er aber relativ zügig von Europol nach Den Haag entführt wird. Vermutung: Er hat mit dem Terroranschlag auf die europäische Stromversorgung zu tun.

Die Miniserie BLACKOUT basiert auf dem Bestseller von Marc Elsberg aus dem Jahr 2012, der auf clevere und wissenschaftlich fundierte Art durchdeklinierte, wie ein Blackout im Europa mit gemeinsamem Stromnetz provoziert werden kann und was dessen Auswirkungen sind. Kurz gesagt droht in zwei Tagen der totale Kollaps, weil von Nahrungsmittellagerung, Wasserversorgung, Internet, Geldverkehr bis hin zum Auto tanken oder Kühe melken praktisch alles, was unseren Alltag überhaupt erst funktionsfähig macht, am Strom hängt. Chaos, Schmutz, Kerzen, Kampf um Nahrungsmittel, Plünderungen, Gewalt sind die Folge. Elsbergs Roman exerziert das mit einem dramaturgisch guten Storyaufbau auf 800 Seiten durch, agiert aber oft mit sehr „funktionalen“ Charakteren. Selbst story-relevanten Personen wie der Krisenmanagerin Frauke Michelsen fehlt im Roman eine gewisse Tiefe. Bei Elsberg sind die Personen oft nur Funktionen.
Das haben die Drehbuchschreiber der Miniserie, Lancelot von Naso und Kai-Uwe Hasenheit, geändert. Bei ihnen erhält Frauke Michelsen ein Drama an die Backe. Ihre beiden kleinen Mädchen wurden von ihrem E-Mann einfach ohne Aufsicht in den Zug gesetzt, der nicht in Berlin ankommt. Statt evakuiert werden die Mädchen von einem Mann entführt, von dem nicht klar ist, ob er pädophil ist oder nicht. Aus der Leerstelle „Michelsen“ wird also ein äußerst dramatischer Nebenstrang „Michelsen“. Ähnlich verfahren Naso/Hasenheit mit dem Protagonisten Manzano, der zwar in Elsbergs Buch eine gute Backgroundstory hat, die hier aber zugespitzt wird. Statt dass der ehemalige Hacker mit seiner Intelligenz einfach nachvollzieht, wie die Terroristen vorgegangen sind, ist er in der Serie viel mehr mit dem Komplott verbandelt. Dafür ist die Odyssee Manzanos mit der Journalistin Lauren Shannon (Hannah Hoekstra) massiv gekürzt und all die Innenansichten der deutschen und europäischen Polizeibehörden fallen stark unter den Tisch.
Was allerdings bleibt, sind die Rückblicke auf das einschneidende Ereignis für Manzano und viele Linke: Der GA-Gipfel in Genua 2001, in dem die Regierung Berlusconi die gesammelte europäische, globalisierungskritische Linke in schwersten Auseinandersetzungen zusammenprügeln ließ. Hunderte Personen wurden verletzt (darunter Ärzte und Journalisten), dazu führte die Polizei Folterungen und U-Haft mit Kontaktsperren durch, und nicht zuletzt wurde ein Globalisierungsgegner von der Polizei erschossen. Was Elsberg richtig erkannte, war wohl, dass hier einer internationalistisch denkenden Linken das Genick gebrochen wurde – und daraus entwickelte er die Motivationen für die Story. Allerdings nicht so simplifiziert wie in der vorliegenden Serie. Schade.

Auch wenn BLACKOUT etwas zu deutsch und durchschaubar emotional geraten ist, bietet sie angenehme Spannung. Eine Katastrophenserie mit ein paar Leerläufen, die auch ideologisch nicht in eine allzu konservative Richtung schlägt. Und für den sehr klugen Herrn Elsberg, den ich einmal live zum Thema Datenschutz erleben durfte, sicher auch ein verdientes und willkommenes zusätzliches Verdienst – obwohl auch er mit der Verfilmung nicht zufrieden sein dürfte.
Richtig enttäuschend ist übrigens die Verfilmung von Frank Schätzings Bestseller DER SCHWARM geraten. Mit einem viel grösseren Budget als BLACKOUT, in wunderschönen Locations und manch ansprechenden CGI-Effekten gefilmt, driftet die Story bald ab in eine unglaubwürdige Langeweile, über die hier gar nicht mehr Worte verloren werden sollen.

Blackout
Deutschland 2021
Regie: Lancelot von Naso, Oliver Rihs
Drehbuch: Lancelot von Naso, Kai-Uwe Hasenschart
Kamera: Jan Döppert, Kolja Brandt
Darsteller: Moritz Bleibtreu, Marie Leuenberger, Heiner Lauterbach, Jessica Schwarz, Barry Atsma, Stephan Kampwirth, Herbert Knaup, Hannah Hoekstra, Claudio Caiolo u.a.
Laufzeit: 6 x 45 min.