Wenn Giallo-Filme und andere subkulturelle Filmpreziosen aus der Vergangenheit ihr Überleben in Nischen-DVDs und -Blurays und in Büchern und (zumeist Online-) Magazinen wie diesem für den Moment gesichert haben, droht die Nische der Nische in der Versenkung zu verschwinden: das auf Effekte hin gestaltete Werbematerial zu den „schockierend-blutigen“ gelben Krimis. Dem wirkt der Kleinverlag „Creepy Images“ seit über 15 Jahren mit einem Magazin entgegen – und jetzt mit dem Buch „Giallo Movie Posters 1961 – 1969“, dem ersten Teil einer Serie, in der zu möglichst vielen Gialli möglichst viele Werbemittel (v.a. Plakate) aus einer breiten Anzahl Länder dargestellt werden.
Die sechziger Jahre waren eine Zeit des Umbruchs, eine gute Zeit für Innovationen in der kommerziellen Kultur. Vor allem die Werbung machte Anfang des Jahrzehnts ihren wichtigsten Paradigmenwechsel überhaupt durch: Werbung wurde clever, verspielt, kreativ. Die berühmte US-Werbekampagne für den VW Käfer von Doyle Dane Bernbach legte den Grundstein dafür, was kreative Werbung auch heute noch ausmacht. Parallel dazu vollzog auch die Welt der Kinowerbung Schritte in neue Gefilde: Von William Castles trashigen PR-Stunts Ende der 1950er bis hin zu Saul Bass‘ eleganten, minimalistischen Filmplakaten für Hitchcock.

So waren die Voraussetzungen da, dass Grafikdesigner in den Swinging Sixties aus dem Vollen schöpfen konnten. Die Gesellschaft war offen für Neues, auch was das Normative im Genrekino betraf. Heißt: Auch Filmplakate von Gialli bedienten sich der unterschiedlichsten stilistischen Mittel – und setzten dem oft noch eins drauf. Denn schließlich ging es um das Sensationelle, das Beängstigende, das Blutige. Illustration und Fotografie (neu in den 60ern), grelle Farben und Tiefschwarz, aufgerissene Augen und nackte Körper, hypermoderne und klassische Fonts, bis hin zu psychedelischen (z.B. in ORGASMO): Das stilistische Spektrum der Sixties-Gialli ist unglaublich breit und die Fans von Creepy Images haben das so detailreich und liebevoll zusammengetragen, dass jede Seite von Neuem Spaß macht. „Plakate zu Giallo-Filmen haben dabei einen ganz besonderen Reiz, denn kein anderes (kommmerzielles) Genre der 60er und 70er Jahre war so experimentierfreudig und visuell opulent. Und das spiegelt sich oft in der Gestaltung der Filmplakate wider“, schreibt Thorsten Benzel im Vorwort.
Recht hat er. Höchst stilvoll illustriert und eher klassisch etwa das wunderschöne Filmplakat zu Romolo Guerrieris DER SCHÖNE KÖRPER DER BEBORAH mit Carroll Baker, gestaltet vom berühmten Lutz Peltzer (u.a. PSYCHO). Im Gegensatz zu den single-minded illustrierten Plakaten stehen die Plakate mit mehreren Bildern, die mehrere Schlüsselszenen der jeweiligen Filme aufnehmen. Und dazwischen gibt es immer wieder diese coolen, innovativen Dinger wie das Kleinplakat (Locandina) von Guerrieris UN DETECTIVE, von Giuliano Nistri: Franco Nero im Mantel, dahinter ein überdimensionales Augenpaar, getaucht in Tiefrosa. Oder ein deutsches DIN-A1-Plakat von Alberto Martinos EXZESS, in dem nicht die Bilder laut herausschreien, sondern die Typografie.

Das Buch ist zweisprachig (deutsch/englisch) angelegt, aber natürlich vor allem ein Bildband, allerdings alles mit Detailkenntnis beschriftet. Das Buch ist vorwiegend mit Softcover erhältlich (Hardcover sehr limitiert, auch zeitlich auf den Vorverkauf) – beide Buchvarianten haben jedenfalls die hochglanz-gedruckten Innenseiten, auf denen die Plakate und anderes Werbematerial bestmöglich zur Geltung kommen. Hier zeigt sich, dass bei Creepy Images nicht nur die Sammelleidenschaft zählt, sondern auch die Sorgfalt und Liebe, dass das Material auch bestmöglich aufbereitet ist – visuell und „historisch“.
Mit diesem Buch haben auch Giallo-Fans endlich ein Coffeetable-Book, zu dem sie genüsslich ihre Blutorangen schälen können. Und der zweite Band folgt sogleich – bzw. ist eben erschienen (to be discussed here).

Thorsten Benzel: Giallo Movie Posters Volume 1: 1961 – 1969. Frauenberg, 2024.
ISBN 978-3-9826607-0-7
Bildrechte: Die Beispielseiten wurden uns von CREEPY*IMAGES zur Verfügung gestellt.